"Du darfst" lautet das oberste Gesetz in der Fantasiestadt Mahagonny. Bertolt Brecht und Kurt Weill führen uns in ihren drastisch-schmissigen Songs vor, wie die hedonistische Haifisch-Gesellschaft dieser "Netzestadt" sich schließlich selbst zerstört. Wo man sich die grenzenlose Bedürfnisbefriedigung propagandistisch auf die Fahnen geschrieben hat, wird die Anarchie des Lustprinzips bald zum drangsalierenden Dogma erhoben. Der auf Dauer gestellte Exzess mündet in quälende Langeweile. Und überdies nagt von Anfang an der Wurm der kapitalistischen Lüge an dem vermeintlich seligmachenden Mahagonny-Paradies. Denn erfunden wurde es als knallhart kalkuliertes Profitunternehmen der Witwe Begbick. Daher wird, wer in Mahagonny kein Geld hat, hingerichtet.
Langeweile inszeniert
Das Inszenierungsteam der Berliner Staatsoper macht es sich einfach, indem es den Exzess gleich weglässt und von vorne herein nur die Langeweile inszeniert. Kapitalismuskritik, Dialektik und das Epische Theater hat der Regisseur Vincent Boussard als eine ihm offenbar allzugraue Theorie verworfen. Die Mahagonny-Parole "Du darfst" durchzieht das schick designte Bühnengeschehen stattdessen wie der Slogan einer Werbung für Schlankmacher-Produkte. Und leider hat auch der Dirigent Wayne Marshall die ohne rechten Antrieb spielende Staatskapelle auf Diät gesetzt. Es ist eine weichgezeichnete, widerstandslose und kraftlose Light-Interpretation, ein Weill ohne Prägnanz, Biss oder gar rhythmische Aufsässigkeit, den man zu hören bekommt.
Lemaires Bühnenbild und Lacroix als Kostümbildner
Vincent Lemaires Bühne zeigt einen beinahe leeren, von Spiegeleffekten und raffinierten Licht- und Video-Reflexionen animierten Raum, der - Achtung: Brecht'scher Verfremdungseffekt! - zum Publikum und zum hinteren Bühnenende hin von zwei Fadengardinen begrenzt wird. Die Idee, Mahagonny optisch als eine bloße Fata Morgana erstehen zu lassen, in der es - wie es im Librettotext heißt - "nichts gibt, woran man sich halten kann", scheint auf den ersten Blick nicht abwegig. Doch sie verläppert sich schon nach wenigen Minuten in jener völligen Beliebigkeit der Personenführung, zu der Modeschöpfer Christian Lacroix als Kostümbildner die passende Haute Couture entworfen hat: bunte Tüllkleider, Hotpants und neonfarbene Watte-Perücken für die Girls, maßgeschneiderte Anzüge und knallgrüne Koffer für die Männer.
Gabriele Schnaut als Witwe Begbick
Gabrielle Schnaut ist als ehemaliger, dramatischer Wagner-Sopranstar stimmlich eine folgenschwere Fehlbesetzung für die Partie der Witwe Begbick. Als Mannsweib im maßgeschneiderten Glitzerkleid oder mit Frackhose und Pailletten-Sakko ist sie immerhin szenisch eine imposante Erscheinung, wenngleich sie sich den ganzen Abend mit zwei immergleichen Regieeinfällen begnügen muss: Entweder zieht sie an einer Leine einen Einkaufswagen hinter sich her oder sie jongliert mit einer alten Metallkasse.
Das Sängerensemble müht sich verzweifelt, Weills Songstil durch Schöngesang zu opernhafter Glätte aufzuhelfen. Zwei Ausnahmen gibt es: Michael König als Jim Mahoney und Evelyn Novak als Jenny Hill gelingen die einzigen musikalisch berührenden Momente der am Ende heftig ausgebuhten Premiere.