Archiv


Brechts Frauen

Neu ist das Thema nicht: Mit Brechts Frauen, seinen Geliebten und Mitarbeiterinnen, hat sich eine ganze Generation von Germanisten beschäftigt. Aufsehen erregte zuletzt John Fuegi, der in seinem Wälzer "Brecht & Co." den Dichter des finanziellen Betrugs an Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau und Margarete Steffin bezichtigte. Aber schon vorher wusste man, dass diese Arbeits- und Liebesbeziehungen nicht im Gleichgewicht waren: die Werke wurden gemeinsam produziert, aber sie erschienen unter Brechts Namen, und während er sich eine Art Harem hielt, mussten die Geliebten ihrem Meister treu sein. Nur Sabine Kebir befindet seit 1989 stur, dass Brecht "ein akzeptabler Mann" sei, wie schon der Titel ihres Buches behauptet. Viele sehen ihn anders, als Ausbeuter zum Beispiel. Oder als Häuptling eines Kreativpools, in dem er die Peitsche über seine Mitarbeiterinnen schwingt. Diese Sichtweise erschien im Dezember 1930 unter dem Titel "Johnnys Dichtfabrik" im Berliner Tageblatt als Auszug aus dem Drama "Der Tiefseefisch" von Marieluise Fleißer.

Eva Pfister | 07.10.2002
    Nun also noch einmal: Brechts Frauen. Die Münchner Germanistin Hiltrud Häntzschel befasst sich in ihrem Buch nicht nur mit den genannten Mitarbeiterinnen, mit den Jugendlieben Paula Banholzer und Marianne Zoff, sowie Helene Weigel, sondern auch mit der Dramatikerin Marieluise Fleißer. Diese hatte nie mit Brecht an seinem Werk gearbeitet, aber als Anreger und Vermittler war er in ihrem Leben zentral. Auch als Schwarm, - und als Trauma. 1963 hat die Fleißer dieses Trauma aufgearbeitet in der Erzählung "Avantgarde", der Geschichte von der Begegnung eines jungen Mädchens aus der Provinz mit einem Genie.

    Hiltrud Häntzschel sieht das anders - und ihre Sicht auf Marieluise Fleißer ist das einzig Neue in ihrem Buch. Was sie über die anderen "Brecht-Frauen" schreibt, entspricht weitgehend den Arbeiten früherer Forscherinnen. Die Fleißer, so behauptet Hiltrud Häntzschel, habe in ihrem Alterswerk, also von 1963 bis zu ihrem Tod 1974, eine fantastische Lebenserzählung produziert, die mit der Wahrheit nichts zu tun habe.

    Den Grund sieht sie in einer radikalen Kehrtwendung der Fleißer. Tatsächlich hatte sich diese 1929, nach dem Skandal um das Stück "Pioniere in Ingolstadt", von Brecht abgewandt. Unter dem Einfluss ihres damaligen Verlobten distanzierte sie sich zunehmend von ihrem früheren Schreiben und unterwarf sich auch seiner schwülstig-nationalistische Weltanschauung. In Marieluise Fleißers Briefwechsel, der letztes Jahr veröffentlicht wurde, kann man dies nachlesen. Nicht aber, dass sie diese Phase ihres Lebens verleugnet und sozusagen "überschrieben" habe. Die Thesen von Frau Häntzschel lassen sich durch nichts belegen. Weder, dass die Fleißer Texte mit bestimmter Thematik bei der Werkausgabe 1972 unterschlagen habe, stimmt, noch dass sie ihr Brecht-Bild je nach Konjunktur modifiziert hätte, und schon gar nicht, dass sie in ihren biographischen Notizen ihr Leben umgeschrieben habe. Gerade mal zwei Daten hielten der Nachprüfung nicht stand, so hatte sie etwa ihr Abitur 1920 statt 1919 bestanden. --Hiltrud Häntzschel geht so weit, alle nicht belegten Aussagen von Marieluise Fleißer ins Reich der Legende zu verweisen, darunter auch die kurze Liebesbeziehung zu Brecht, ja sogar ein Selbstmordversuch.

    Erstaunlicherweise fällt auf, dass Häntzschel den Vorwurf des manipulativen Erinnerns gegen alle Brecht-Frauen erhebt, die sich im Alter über ihn äußerten. Sie unterstellt ihnen pauschal, sich im Glanz von Brechts Ruhm posthum zu sonnen und zieht willkürlich Aussagen in Zweifel. Wenn Paula Banholzer in einem Interview sagte, dass sie sich an Brechts Seite immer zweitklassig empfunden habe, und er auch keinen Versuch unternommen hätte, ihr dieses Gefühl zu nehmen, so kommentiert Frau Häntzschel: "Ob diese Erinnerung - Erinnerung in Anführungszeichen - nicht auch aus dem Gefühl der enttäuschten alten Frau erwachsen ist, weit weg vom Genie ein mittelmäßiges Leben geführt zu haben?" Nur einige Seiten später stößt man auf ein Foto von Paula Banholzer, dessen Empfang Brecht mit den Worten bestätigte: "Ich danke dir für die Photographie, auf der Du so schön dumm aussiehst."

    Anders als Sabine Kebir geht es Hiltrud Häntzschel nicht darum, Bertolt Brecht in Schutz zu nehmen. Sie wehrt sich jedoch dagegen, die Brecht-Frauen als Märtyrerinnen darzustellen. Das wäre aber noch kein Anlass für den herablassenden Ton, der sich durch das Buch zieht. Schon der Titel: "Brechts Frauen" klingt wie "Brechts Harem". Wie Groupies, die auf einen Shooting-Star fliegen, gruppiert Häntzschel die sieben Frauen um das Genie Brecht. Dieser Eindruck entsteht auch dadurch, dass sie es versäumt, das gesellschaftliche Umfeld darzustellen. Kein Wort über weibliche Sozialisation zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nichts über die Chancen für eine Frau, sich im Kulturbetrieb zu behaupten.

    Marieluise Fleißer verdankte ihre frühen Erfolge größtenteils den Vermittlungen Brechts, und das hatte sie nie bestritten. Sie hat sogar in ihren Erzählungen, zum Beispiel in "Avantgarde", treffend beschrieben, wie eben dieses mangelnde Selbstbewusstsein eine junge Frau in die Abhängigkeit eines Mannes treiben kann. Freimütig, ohne sich zu schonen. Ausgerechnet der Fleißer Profilierungssucht zu unterstellen, ist also grotesk, und wirft ein zwielichtiges Licht auf diese Publikation.