Vor einem Jahr hatte die TSG Bergedorf etwas mehr als 11.000 Mitglieder. Der Verein aus dem Hamburger Osten ist damit einer der größten Sportvereine Deutschlands. 26 Sportarten bietet er an, von Fußball bis Fitness.
Zwölf Monate und zwei Shutdowns später hat die TSG Bergedorf nur noch knapp 9.000 Mitglieder. Dass rund 2.000 Mitglieder den Verein im Laufe eines Jahres verlassen, sei normal, sagt der Vorstandsvorsitzende Boris Schmidt. Das Problem: Es gibt kaum neue Mitglieder.
Zweiter Lockdown tut viel mehr weh
"Man muss sagen, dass von November bis Februar, in diesen vier Monaten, so viele Mitglieder wie in den acht anderen Monaten eintreten", sagt Schmidt. "Das sind die eintrittsstärksten Monate im deutschen Sport, das Winterhalbjahr. Und deswegen tut der zweite Lockdown auch noch viel mehr weh."
Trotzdem kämen die meisten Vereine im Moment noch relativ gut durch die Zeit. Denn es lassen sich auch viele Kosten sparen – zum Beispiel beziehen die mehr als hundert Hauptamtlichen bei der TSG Bergedorf Kurzarbeitergeld, was den Verein entlastet.
Knapp 50 Millionen Euro Soforthilfe
Eine Deutschlandfunk-Abfrage bei allen Sportministerien der Länder zeigt, dass zwar inzwischen knapp 50 Millionen Euro an Soforthilfen in den Breitensport geflossen sind. In den meisten Bundesländern braucht aber nur ein kleiner Teil der Vereine diese Hilfen – und viele Hilfsfonds wurden nicht ausgeschöpft. Einige Länder haben das restliche Geld ins neue Jahr übertragen.
Auch Boris Schmidt glaubt: Die wirkliche Herausforderung sei die Zeit nach dem Shutdown. "Im Sport sind die Menschen nicht sofort wieder da und schwupp, jetzt treten mal die 1.300 bei uns innerhalb von zwei Monaten ein, die irgendwie weg sind, sondern das wird eine Zeitlang dauern. Vielleicht bei dem einen länger, bei dem anderen weniger", prophezeit der Sportfunktionär.
"Aber die Kosten sind eben sofort wieder die gleichen. Und da muss der Staat dann auch noch danach unterstützen, wenn er die Vereinsstruktur in der Republik beibehalten will", fordert er. "Sonst wird es nicht mehr 90.000 Sportvereine im Land geben."
Die Hälfte der Vereine erwartet Existenznot
Dies sei auch Einschätzung von anderen mitgliederstarken Vereinen, die sich im sogenannten Freiburger Kreis organisiert haben – Schmidt ist dort Vorstandsvorsitzender. Und auch die ersten Zahlen aus dem neuem Sportentwicklungsbericht zeigen, dass der zweite Shutdown die Unsicherheit im deutschen Sport verstärkt.
Rund 20.000 Vereine sollten auf einer Skala von 0 bis 100 angegeben, für wie groß sie die Wahrscheinlichkeit halten, in Existenznot zu geraten. Mehr als die Hälfte hat einen Wert von über 50 angegeben. Sorge bereitet den Vereinen vor allem der Rückgang von Mitgliedern und Ehrenamtlichen, sagt Christoph Breuer von der Sporthochschule Köln, der die Erhebung durchgeführt hat. Er geht davon aus, dass besonders die Vereine betroffen sind, die sich von einer Solidargemeinschaft hin zu einem eher dienstleistungsorientierten Anbieter gewandelt haben.
"Dadurch geht normalerweise eine schwächere Bindung der Mitglieder einher. Sie verstehen sich häufiger als Kunden und wir finden diese Mitglieder auch häufiger in Gesundheits- und Fitness-Angeboten der Vereine und nicht in den klassischen Wettkampf-Sportarten", so der Sportwissenschaftler.
Weniger Kündigungen bei Mannschaftssportarten
Eine Beobachtung, die auch Boris Schmidt macht. Denn aus den Abteilungen der klassischen Mannschaftssportarten würden bei der TSG Bergedorf deutlich weniger Mitglieder austreten als im – größeren – Bereich der Fitness- und Gesundheitskurse.
"In den kleineren Vereinen, die auch mehr auf klassische Sportarten ausgerichtet sind, ist deswegen auch die Kündigungsquote, deutlich geringer, würde ich sagen."
Wie stark die Mitgliederzahlen tatsächlich zurückgegangen sind, erheben die Landessportbünde gerade. Erste Zahlen aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zeigen, dass der Schwund in der Breite vielleicht nicht ganz so gravierend ausfällt, wie befürchtet: Dort sind die Zahlen zwischen drei und fünf Prozent gesunken.
Öffnungsperspektive für Vereine wichtig
Endgültige Zahlen, gerade auch aus den bevölkerungsreichsten Bundesländern, wird es aber erst in einigen Wochen geben. Wichtig für die Vereine in dieser Situation: Identifikation schaffen. Dafür müssten sie versuchen, kommunikativ auf ihre Mitglieder zuzugehen, meint Sportwissenschaftler Christoph Breuer. Und von der Politik brauche es eine Öffnungsperspektive.
"Wenn man das in so ein Bild eines 'Treue-Akkus' übersetzt, ist der 'Treue-Akku' bei Ehrenamtlichen sicher größer und länger haltend als der 'Treue-Akku' von den Mitgliedern. Der Punkt ist aber auch hier: Je länger sozusagen der Lockdown anhält, desto stärker verliert sozusagen der 'Treue-Akku' auch an Leistung. Und das gilt eben für beide, Mitglieder und Ehrenamtliche."
Bei der TSG Bergedorf gibt es noch genug Mitglieder, bei denen der Akku hält. Der Verein hat einen Einkaufsservice für ältere Mitglieder eingerichtet, jetzt bietet der Verein an, über 80-Jährige zum Impfen zu fahren. Und durch die Resonanz auf diese Aktionen ist Boris Schmidt erst richtig bewusst geworden, dass es für diese Menschen bei der Mitgliedschaft um mehr als nur Sport geht.
"Für die ist das Kaffeetrinken nach der Sportstunde mindestens genauso wichtig wie die Sportstunde selbst."