Bugs ist erkältet. Seit gut einer Stunde sitzt er schon hier, an seinem Stammplatz in der Bremer Hemmstraße, vor dem Supermarkt. Eigentlich würde der 50-Jährige sein Geld gern als Schauspieler verdienen. Aber Bernhard Richter, so heißt Bugs wirklich, ist stattdessen Lebenskünstler geworden.
"Ich habe verschiedene Lehren gemacht und bin irgendwie mit Alkoholismus und der Nicht-Notwendigkeit, Karriere zu machen durch ein gut situiertes Elternhaus, nicht dazu gekommen, dass ich irgendwo richtig kontinuierlich Fuß gefasst habe. Da ist das mit den Zeitschriften natürlich eine gute Sache, dass ich da Zubrot habe."
Vor Bugs kleinem Hocker steht ein aufgeklappter Koffer. Darin hat er verschiedene Ausgaben der "Zeitschrift der Straße" aufgestellt. Ein ungewöhnliches, langes Format, auf dem Titelblatt markante Typografie: fett gedruckte Schlagzeilen und oben auf dem Cover ein Straßenname oder der Name eines Bremer Viertels. Fehrfeld. Bürgerpark. Bugs hat viele Stammkäufer.
"Weil das halt irgendwie so ein jugendlicher, innovativer Journalismus ist."
Die Artikel der "Zeitschrift der Straße", kurz: ZdS, schreiben Bremer Journalistikstudenten, um Bilder und Layout kümmern sich Designstudenten der Hochschule für Künste. Und das Marketing übernehmen die Studenten von Michael Vogel. Er hat das Projekt ZdS initiiert und leitet an der Hochschule Bremerhaven das Institut für Seetouristik mit einem Studiengang zwischen BWL und Kreuzfahrtbranche:
"Mein Gedanke war von vornherein, dass die Arbeit der Studierenden, die sie für ihr Studium erbringen, mehr wert ist, als dass nur ich sie zur Kenntnis nehme. Es war von vornherein eigentlich gedacht, dass die "Zeitschrift der Straße" als Lernprojekt, als Medienprojekt und als soziales Projekt vorgesehen war."
Eine in Anführungszeichen "übliche" Obdachlosenzeitung hätte die Studenten nicht gereizt, meint der Ökonom. Andererseits hat das ungewöhnliche Konzept auch einige Straßenverkäufer abgeschreckt. Schließlich geht es nur am Rande um ihre Geschichten. Die ZdS möchte alles, was auf der Straße passiert, thematisieren, sagt Michael Vogel.
"Jeder Beitrag in der Zeitschrift der Straße beginnt mit einer Beobachtung. Die Redakteure gehen hin, schreiben Beobachtungsprotokolle, bringen die dann in die Redaktionssitzung mit. Dann wird überlegt, welche der Beobachtungen eignet sich, um daraus einen Beitrag zu entwickeln. Und dann beginnt die Recherche. Es entstehen Interviews oder Fotostrecken oder Prosa, teilweise. Und das macht die Zeitschrift aufregend."
In der Zeitschrift selbst ist die Trennung zwischen Beobachtungs- und Erzählebene noch sichtbar. Auf einem perforierten Streifen, oben auf den Seiten, steht etwa: "22:30. Ladenschluss. Die Müllcontainer sind nicht gesichert." In der Reportage darunter geht es um Essen aus dem Müll.
Die Zeitschrift der Straße verkauft sich gut, sagt Armin Simon. Der leitende Redakteur erklärt das Erfolgsrezept der ZdS so:
"Unsere Idee war, dass wir ein Produkt schaffen, was so spannend ist, dass die Leute, die es lesen, es gerne kaufen wegen der Geschichten. Und dass sie es nicht kaufen, weil sie dem armen Menschen, der es verkauft auf der Straße, ein bisschen helfen wollen. Und deswegen haben wir gesagt, dann müssen wir uns mit unseren Geschichten, mit dem Inhalt des Heftes und mit der Gestaltung in erster Linie nach denen richten, die es lesen wollen. Und das sind nun mal nicht Leute, die Hartz-IV-Probleme haben."
Seit der ersten Ausgabe vor drei Jahren sind die Verkaufszahlen kontinuierlich gestiegen. Jede Nummer verkauft sich rund 8.000 Mal. Und die alten Ausgaben werden noch immer nachgefragt. Allerdings könnte der Erfolg noch größer sein, wenn mehr Menschen die ZdS verkaufen würden. Das Problem: Stigmatisierung. Wer auf der Straße Zeitschriften verkauft, wird oft komisch angeschaut.