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Bremen
"Merkel hat zur Politikverdrossenheit beigetragen"

Angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung in Bremen müsse man aufpassen, dass "Demokratie nicht zum Elitenprojekt verkommt", sagte die Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann im DLF. Kanzlerin Merkel habe mit ihrem Stil zur allgemeinen Politikverdrossenheit beigetragen.

Johanna Uekermann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann.
    Die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann. (imago/Metodi Popow)
    Angesichts der Verluste der SPD bei der Wahl in Bremen sprach Uekermann von "gemischten Gefühlen", da die SPD einerseits noch deutlich vor der Union liege, andererseits bittere Verluste eingefahren habe. Als "erschreckend" bezeichnete sie die niedrige Wahlbeteiligung. Ihre Befürchtung sei, dass in Zukunft nur noch Besserverdiener wählen gehen und nicht das klassische SPD-Klientel.
    Kanzlerin Merkel habe mit ihrem Politikstil zur Verdrossenheit beigetragen. Die Parteien müssten unterscheidbar werden, sagte die Juso-Bundesvorsitzende: "Wenn es nach mir ginge, würde die SPD an vielen Stellen deutlicher werden" Auf Bundesebene wolle Uekermann keine Große Koalition mehr. Die Jusos kämpften hier um Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün, so Uekermann. Die SPD müsse mehr Mut zum Grundsätzlichen haben, Gesetzesinitiativen wie der Mindestlohn und die Rente mit 63 würden sich auf lange Sicht für die Partei auszahlen.
    Hinsichtlich der BND-NSA-Affäre verteidigte Uekermann die SPD-Kritik an Kanzlerin Merkel: "Merkel muss sich erklären und sich nicht länger wegducken." Andernfalls schwinde das Vertrauen in den Rechtsstaat.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Hat die SPD die Wahl in Bremen nun gewonnen oder verloren? Der Spitzenkandidat, Bürgermeister Jens Böhrnsen, empfindet den knappen Vorsprung für sein rot-grünes Bündnis vom Sonntag jedenfalls als so enttäuschend, dass er das Handtuch wirft.
    Mitgehört hat Johanna Uekermann, die Juso-Vorsitzende. Guten Tag, Frau Uekermann!
    Johanna Uekermann: Hallo!
    Zagatta: Frau Uekermann, Sie sind zwar die Chefin der Jungsozialisten, aber dennoch die Frage, wenn wir mit Bremen anfangen: Wie erklären Sie sich, dass die SPD so alt aussieht in Bremen?
    Uekermann: Na ja, wenn man nach Bremen guckt, dann hat man natürlich gerade gemischte Gefühle. Auf der einen Seite liegt die SPD immer noch zehn Prozentpunkte vor der Union, auf der anderen Seite ist der Verlust natürlich bitter. Und insbesondere bitter und erschreckend, finde ich, ist auch die niedrige Wahlbeteiligung. Das betrifft zwar natürlich alle Parteien, die sich da Gedanken machen müssen, aber es ist insbesondere das Wählerklientel auch der SPD, das zuhause bleibt und das Anlass zur Sorge gibt.
    Zagatta: Kann man das schon sagen, wo die SPD regiert, ist die Politikverdrossenheit besonders groß?
    Uekermann: Ich denke nicht, dass es möglich ist, das so einfach zu formulieren. Aber klar ist, dass die Demokratie, wenn wir nicht bald aufpassen, zu einem sogenannten Elitenprojekt verkommt und dass insbesondere die Besserverdiener und die Oberschicht zum Wählen gehen und nicht mehr das klassische SPD-Klientel, und da muss man tatsächlich endlich Lösungen finden. Die SPD macht da ja auch Vorschläge, aber das geht mir alles noch nicht weit genug.
    "Politik muss unterscheidbar sein"
    Zagatta: In welche Richtung müsste es denn gehen? Denn eigentlich heißt es ja, den Sozialdemokraten sagt man ja zweierlei nach: Zum einen können sie nicht mit Geld umgehen und zum anderen stehen sie eher für eine bescheidene Bildung, was die Anforderungen an Schulen angeht. Ist da Bremen nicht das beste Beispiel, dass das die Probleme der SPD sind?
    Uekermann: Ich würde viel grundsätzlicher anfangen. Ich glaube, es ist vor allem wichtig, dass wir wieder dahin kommen, klare Alternativen zu benennen, dass die Politik auch unterscheidbarer wird und dass die Wählerinnen und Wähler das Gefühl haben, dass es etwas bringt, wenn sie zur Wahl gehen, weil sich tatsächlich was ändert. Da hat mit Sicherheit der Politikstil der letzten Jahre - da nehme ich auch Angela Merkel nicht aus - dazu beigetragen, dass wir wenig Unterscheidbarkeit hatten und bei den Wählerinnen und Wählern eher ein Gefühl, es ist egal, ob ich jetzt wählen gehe oder nicht.
    Zagatta: Schuld ist Frau Merkel, weil sie an die SPD herangerückt ist mit ihren Positionen?
    Uekermann: Es geht mir um den Politikstil, der in den letzten Jahren sich breitgemacht hat: wenig Unterscheidbarkeit, wenig Alternativen. Da müssen wir auf jeden Fall davon wegkommen.
    Der zweite Schritt ist dann natürlich, dass man auch die richtigen Fragen und die richtigen Inhalte nach vorne stellen muss insbesondere einfach die Probleme der Bürgerinnen und Bürger adressieren muss. Dazu gehört natürlich die Bildungspolitik ganz vorne mit dazu und einfach die Sicherung der Lebensumstände der Menschen.
    Zagatta: Rückt denn die SPD aber nicht ziemlich an die Union heran und sorgt dafür, dass man sich schlecht unterscheidet, wenn man Projekte mitträgt, die man für völlig falsch hält, wie das Betreuungsgeld oder wie die Maut?
    Uekermann: Ja selbstverständlich trägt eine Große Koalition nicht dazu bei, dass die Unterscheidbarkeit zunimmt, oder dass Alternativen klarer zu sehen sind. Umso wichtiger ist, dass man auch in einer Großen Koalition Unterschiede benennt und aufzeigt, welche Positionen Kompromisse sind. Aber wenn es nach mir ginge, dann würde die SPD dort an vielen Stellen noch deutlicher werden.
    Zagatta: Was wäre da nötig? In welche Richtung sollte das denn gehen? Denn Bremen zeigt ja jetzt - in diese Richtung gehen Ihre politischen Vorstellungen ja vielleicht -, Rot-Grün ist da auch nicht sonderlich beliebt.
    Uekermann: Wenn man in Bremen bleibt, dann zeigen die Wahlumfragen sehr deutlich, dass Rot-Grün mit Abstand die beliebteste Koalition der Bremer(innen) war, und rechnerisch ist es nach wie vor möglich. Ich denke, sicher müssen die SPD und die Grünen in Bremen entscheiden, ob sie eine Koalition eingehen. Ich fände das gut, wenn es weiterhin Rot-Grün geben würde, und auch auf Bundesebene, gilt natürlich, möchte ich nicht noch mal eine Große Koalition, sondern als Jusos kämpfen wir immer für andere Mehrheiten, für linke Mehrheiten, und das heißt Rot-Grün oder im Zweifel Rot-Rot-Grün.
    "Die FDP spielt in den Überlegungen keine große Rolle"
    Zagatta: Das heißt, die SPD sollte sich Ihrer Meinung nach gegenüber der Linkspartei öffnen? An die FDP denken Sie wahrscheinlich weniger?
    Uekermann: Richtig. Die FDP spielt eher keine große Rolle in meinen Überlegungen. Da ist Die Linke uns deutlich näher, auf jeden Fall.
    Zagatta: Frau Uekermann, wie ist das einzuschätzen, dass die SPD jetzt auch in der Bundesebene jetzt nicht so gut wegkommt? Sie haben ja den Mindestlohn durchgesetzt, Sie haben die Rente mit 63 durchgesetzt. Warum zahlt sich das alles nicht aus?
    Uekermann: Ich glaube, darauf gibt es keine einfache Antwort, sondern es sind mehrere Faktoren, die da zum Tragen kommen. Mit Sicherheit dauert es einfach eine Zeit, bis Glaubwürdigkeit zurückerarbeitet wurde, und da hilft es mit Sicherheit, Projekte wie den Mindestlohn oder auch die Rente mit 63 umzusetzen. Bis sich das tatsächlich niederschlägt, denke ich, dauert es aber einfach ein Stück weit. Und dann kommt zum Tragen, wie ich finde, dass die SPD mehr Mut zum Grundsätzlichen haben muss und auch mehr Mut, Alternativen klar zu benennen und diese zu formulieren, sodass die Wähler(innen) merken, was ist die SPD-Position, was ist die Unions-Position, und was hätten sie auch nicht bekommen, wenn die SPD sich nicht dafür stark machen würde.
    Zagatta: Aber kann man denn Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wenn man sich in einer Regierung aufführt wie eine Opposition, jetzt beispielsweise in der BND-Affäre Frau Merkel, die Regierung, den Innenminister direkt angreift?
    Uekermann: Ich denke, es ist vollkommen richtig, wie die SPD im Moment handelt, weil es geht nicht um Taktik. Glaubwürdigkeit erringt man ja nicht zurück, wenn man sich taktisch verhält, sondern Glaubwürdigkeit erringt man dann zurück, wenn man Probleme klar benennt, wenn man Aufklärung fordert.
    Zagatta: Dann hätte man ja gegen das Betreuungsgeld oder gegen die Maut stimmen können. Da macht man es nicht.
    Uekermann: Es gibt natürlich einen Koalitionsvertrag, an den man auch in einer Art und Weise gebunden ist, an den man sich halten muss. So funktioniert das in einer Koalition. Darüber hinaus geht es aber bei der gerade benannten BND/NSA-Affäre um wesentlich mehr. Es geht um unseren Rechtsstaat, es geht darum, dass die Wählerinnen und Wähler und dass vor allem auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Recht haben, dass Angela Merkel endlich sich erklärt, dass die Selektorenliste offengelegt wird und dass vor allem gründlich erörtert wird, warum es kein No-Spy-Abkommen gibt und was Angela Merkel in diesem Zusammenhang gesagt und versprochen hat, was vielleicht dann gar nicht so zugesagt war.
    "Im Vordergrund steht das Recht nach Aufklärung"
    Zagatta: Aber kann man denn, wie Ihr Parteivorsitzender Gabriel das getan hat, zu diesem Zweck dann auch aus vertraulichen Gesprächen mit der Kanzlerin zitieren? Geht das nicht zu weit?
    Uekermann: Das kann ich im Detail nicht einschätzen, wie da die Absprachen zwischen Sigmar Gabriel und Angela Merkel sind. Das entzieht sich leider meiner Kenntnis. Für mich ist klar: Im Vordergrund steht das Recht nach Aufklärung für die Bürgerinnen und Bürger und für die Öffentlichkeit und da muss Angela Merkel sich jetzt endlich auch mal erklären und nicht länger wegducken.
    Zagatta: Hat sie ja sinngemäß gestern schon so gemacht, dass sie nach bestem Wissen gehandelt hat. - Das alles soll jetzt wahrscheinlich in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden. Da wissen wir ja aus der Erfahrung, da kommt nie was raus. Ist das Ende dieser Affäre schon absehbar?
    Uekermann: Ich denke nicht, dass das Ende schon absehbar ist. Auch ich bin gespannt, welche Enthüllungen da noch an die Oberfläche kommen. Ich finde auf jeden Fall, wir müssen das wirklich sehr genau aufklären und alle Details offenlegen. Da darf nicht länger gemauert werden. Da haben wir alle ein Recht drauf, denn sonst schwindet auf lange Sicht das Vertrauen auch in den Rechtsstaat.
    Zagatta: Johanna Uekermann, die Juso-Vorsitzende, heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Uekermann, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Uekermann: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.