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Bremerhaven
Stadt mit spektakulärer Architektur

In den vergangen Jahren ist Bremerhaven immer wieder als Problemfall in die Medien geraten: Die Krise der Werftindustrie und große Veränderungen bei der Fischverarbeitung kosteten Tausende Arbeitsplätze in der Stadt. Bei Hartz IV-Empfängern und überschuldeten Haushalten belegt Bremerhaven Spitzenplätze. Aber Bremerhaven hat auch andere Seiten.

Von Gaby Mayr |
    Das Klimahaus Bremerhaven
    Das Klimahaus Bremerhaven (Erlebnis Bremerhaven GmbH)
    Seelöwe Sailor hat Hunger. Mit einem wuchtigen Bauchklatscher wirft sich der fast drei Meter große Bulle ins Wasserbecken, um sich seinen Anteil an der Fischmahlzeit zu holen. "Bei uns gibt´s hauptsächlich Hering und Makrele, wir haben aber auch noch Sprotte, hin und wieder gibt´s auch mal Calmar, ein bisschen Abwechslung muss ja auch mal sein." Carmen Gürster ist im Bremerhavener "Zoo am Meer" als Tierpflegerin zuständig für die Robben. Im Winter verfüttert sie mit ihrer Kollegin gut 70 Kilo Fisch pro Mahlzeit an Seelöwen, Seehunde und Seebären. Damit die ihre Speckschicht behalten. Gürster: "Das Haarkleid ist überhaupt nicht isolierend, und da müssen sie halt eine Speckschicht haben. Und zum Sommer hin ist das dann schon automatisch, wenn´s ihnen zu warm wird, dann machen sie halt Diät."
    Der "Zoo am Meer" ist Deutschlands kleinster Tierpark und liegt vor dem Weserdeich. An dieser Stelle weitet sich die Weser zu einem Trichter, bevor sie in die Nordsee mündet. Zoodirektorin Heike Kück hat den Neubau des Zoos ab 2001 maßgeblich mitbestimmt: "Das ist beim Bau bewusst gemacht worden, dass man immer durch die Anlagen durchschauen kann, auf das Wasser, und das zeigt so ein bisschen die Weite, Zoo am Meer, dass man immer Kontakt zum Meer hat."
    Vor hundert Jahren war an dieser Stelle ein Aquarium zur Unterhaltung der Reisenden, die dort am Anleger des Norddeutschen Lloyd auf ihren Dampfer warteten. Später wurden daneben Tiergrotten errichtet. Bei der Auswahl der Tiere, die im "Zoo am Meer" leben, spielt die geographische Lage des Tierparks eine wichtige Rolle. Kück: ""Wir haben den Themenschwerpunkt wasserbezogen und nordisch". Der Star im Zoo am Meer ist momentan Eisbärmädchen Lale - inzwischen ist sie eine sportliche Jugendliche. "Vierzig Jahre hatten wir hier keinen Eisbärnachwuchs mehr und Ende 2013 ist dann die kleine Lale geboren", ezählt die Zoodirektorin.
    Größter Autoumschlaghafen
    Lale sieht beim Blick aus ihrem Gehege nicht nur Wasser - sondern auch einen veritablen Containerhafen. Hafengebiet ist normalerweise Sperrgebiet. Aber in Bremerhaven kommt man per Bus aufs Hafengelände. Stadtführer Detlef Paul sorgt für das volle Programm: "Wir kriegen die sogenannten High and Heavies, die schweren und sperrigen Ladegüter zu sehen, wir kriegen die großen Autotransporter zu sehen. Bremerhaven hat den größten Autoumschlaghafen in Europa." Die voll gestellten Autoparkplätze reichen bis zum Horizont. Und die Schiffe, in deren Bäuche die Fahrzeuge einzeln hineingefahren werden, wirken vor allem klobig. Damit das Einladen schneller geht, erzählt Detlef Paul, stecken in den Autos die Zündschlüssel. Fahrzeugdiebstähle gibt es trotzdem nicht - der Hafen ist bekannt für sein ausgeklügeltes Sicherheitssystem.
    Menschen sieht man kaum. Stattdessen wird unser Bus auf einmal von knallroten, langbeinigen Fahrzeugwesen umzingelt. Wir sind mittlerweile in dem Teil des Hafens, wo Container auf Frachter verladen werden. Die roten Vancarrier schnappen sich einen Metallbehälter aus einem Containergebirge und rasen damit an die Kaje. Dort krallt sich der Greifer einer Containerbrücke die Allerweltskiste und befördert sie auf den Frachter. Wenn man ganz genau hinschaut, entdeckt man oben an den roten Vancarriern und in luftiger Höhe an den Containerbrücken kleine Gehäuse - darin sitzen die Menschen, die hier das Geschehen steuern. Beim Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Krisensumpf zu ziehen, setzt man in Bremerhaven auch auf Architektur. Neue Bauwerke greifen oft Formen auf, die an ein traditionelles Leitmotiv der Seestadt erinnern: an Schiffe. Am Deich steht seit 2008 ein Hochhaus als markantes Wahrzeichen: Es hat die Form eines geblähten Segels. Über den Blick von der Aussichtsplattform sind sich alle einig: "Phänomenal! Man sieht ja schon die Erdkrümmung, und der Übergang von der Weser in die Nordsee, das ist toll", sagt eine Besucherin.
    Bremerhaven setzt auf Forschung
    Am Fuß des Hochhauses sind rund um ein Hafenbecken Bauwerke versammelt, in denen Forschung und intelligente Unterhaltung stattfinden: Zum Beispiel das Alfred Wegener-Institut für Polarforschung - es ist in einem preisgekrönten steinernen Dampfer mit weißen Aufbauten untergebracht. Das Klimahaus sieht aus wie ein riesiges Schlauchboot. Dort kann man auf einer Kontinente übergreifenden Wanderung entlang des achten Längengrades Ost, auf dem auch Bremerhaven liegt, jede Menge über Klimazonen und Wetterphänomene erfahren. In dem Hafenbecken liegt eine ganze Armada ausgemusterter Schiffe zur Besichtigung.
    Ein wenig abseits der Bremerhavener spektakulären Architektur liegt der Fischereihafen. Früher gingen hier die Fischkutter vor Anker. Der Fang wurde gleich nebenan auf Fischauktionen verkauft, verpackt und per Bahn verschickt oder in Fischereibetrieben verarbeitet. Sebastian Gregorius war als junger Mann Auktionator: "Das waren damals so pro Tag zwischen zehn- und zwanzigtausend Zentner - also Kisten kann man auch sagen -, die in der Halle 10 damals aufgereiht waren. Die Halle war durchgehend 550 Meter lang und da passte schon eine ganze Menge Fisch rein." Mit Auktionen im großen Stil ist es vorbei, aber die zweistöckigen Backsteinhallen rund um das Hafenbecken sind erhalten geblieben. Fisch spielt hier immer noch die wichtigste Rolle. Ein Fischverkäufer: "Speziell bei mir der Tresen ist ein Räucherfischtresen. Hier gibt es alles, was man sich nur vorstellen kann. Wir räuchern jeden Tag alles selbst: Aale, Lachs, Makrelenfilets, Bücklinge. Sprottenfilets gibt es nur bei mir." Sebastion Gregorius hat daran mitgearbeitet, dass aus dem Fischumschlagplatz mit harten Arbeitsbedingungen ein Ort moderner Fischverarbeitung wurde, wo Besucher viel über Fische erfahren können: "Wir haben hier zum Beispiel die Möglichkeit, dass man in die Betriebe durch kleine Schaufenster teilweise noch reingucken kann."
    Kochstudio aus den 1920er-Jahren
    Während hinter der Glasscheibe Arbeiterinnnen in Schutzkleidung und mit Kopfbedeckung den heute gültigen strengen Hygienevorschriften genügen, können wir draußen den alten Fischkuttern beim Dümpeln im Hafenbecken zuschauen. Oder uns beim Seefisch-Kochstudio anmelden. Das ist keineswegs ein Abklatsch all der Fernsehkochshows - dieses Kochstudio gab es schon in den 1920er Jahren. "Die jungen Backfische, wie die damals genannt wurden, die jungen Frauen, wurden noch unterwiesen, wie sie denn ihren späteren Ehegatten ein schmackhaftes Mahl zubereiten können. Die Zeiten haben sich zum Glück geändert, heute haben wir da doch viel gemischtere Gruppen", sagt Gregorius.
    In einer schmalen Seitenstraße des Fischereiquartiers gibt es einen Betrieb, der nichts mit Fisch zu tun hat: Seit 16 Jahren hat Ulrike Andersen dort ihr Figurentheater. Wir gehen eine schmale Treppe hinauf und stehen schon fast im schwarz ausgekleideten Bühnenraum mit vier Sitzreihen. Für heute hat Ulrike Andersen Anton Tschechows Stück "Rothschilds Geige" mit einer Marionette und zwei Menschen als Gastspiel in ihr Theater geholt: "Der Liebe wegen bin ich nach Bremerhaven gezogen. Und in den Fischereihafen, weil wir einen Raum gesucht haben, der groß genug ist zum Proben. Und das ist dann immer besser angenommen worden, so dass es letztendlich ein Figurentheater geworden ist, ein richtig festes Haus." Im Erdgeschoss lagern Fischkonserven und nebenan hat der Bundesverband der Mobilen Fischhändler sein Büro. Inzwischen kennt man sich: "Es hat eine Weile gedauert. Aber so nach zehn Jahren kamen dann auch die ersten Fischhändler, die hier in der Nachbarschaft sind, und haben gesagt: Jetzt wollen wir doch mal gucken, was die hier eigentlich macht."