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Brennpunktschulen in Frankreich
Politik der kleinen Klassen

Kleine Klassen an Brennpunktschulen - mit diesem Pilotprojekt möchte die französische Regierung seit dem Jahr 2017 sozial benachteiligte Kinder fördern. Der Minister wertet das Konzept in einer ersten Bilanz als Erfolg - von Bildungsexperten und Schulen gibt es aber auch Kritik.

Von Suzanne Krause |
    Schüler und Schülerinnen auf einem Schulhof in Muret, in der Vorstadt von Toulouse
    Kleine Klassen an Brennpunktschulen - ein Versprechen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (Remy Gabalda / AFP)
    Die Politik der kleinen Klassen sei erfolgreich, fasste Bildungsminister Jean-Michel Blanquer kürzlich im Fernsehen die erste Bilanz zusammen.
    "Die 60.000 Kinder, die 2017 in kleinen Klassen antraten, haben schneller sichtbare Fortschritte als Gleichaltrige andernorts gemacht. Vor allem aber ist es gelungen, das Niveau bei denen anzuheben, die anfangs die größten Probleme hatten."
    Das ist Sinn und Zweck der Maßnahme an Brennpunktschulen. Denn für Bildungsminister Blanquer hat eines oberste Priorität.
    "Ziel der Grundschule ist es, allen Kindern Lesen, Schreiben, Rechnen und Respekt gegenüber Mitmenschen beizubringen. Um das hundertprozentig umzusetzen, müssen wir benachteiligten Kindern ermöglichen, in der Schule gut mitzukommen."
    Magere Bilanz der Wissenschaftler
    Die kleinen Klassen sind seit ihrer Einführung unter der Lupe eines wissenschaftlichen Begleitteams. Zweimal, zu Beginn und zu Ende des Schuljahres, wurden 15.000 Kinder zu Wissensstand und Selbstwertgefühl getestet. Dieselben Tests bekam eine gleich große Vergleichsgruppe vorgelegt: Gleichaltrige, ebenso sozial benachteiligt, aber aus Klassen mit 25 Kindern.
    Die ersten Ergebnisse allerdings sind magerer als erhofft und von der Regierung dargestellt. In den kleinen Klassen ist der Anteil derer, die im Französisch-Unterricht als große Problemfälle galten, um 7,8 Prozent gesunken, in Mathe um 12,5 Prozent. Doch Bildungsminister Blanquer hebt hervor: 98 Prozent der Lehrer hätten mitgeteilt, die Bedürfnisse der Erstklässler besser identifiziert zu haben.
    Ähnliches hört auch Nathalie Lagouge von ihrem Lehrerteam. Lagouge leitet die Grundschule Romain Rolland in Evreux, einer Kleinstadt nordwestlich von Paris.
    "Unser Viertel gilt als Brennpunktort: 75 Prozent der Anwohner sind sozial benachteiligt. Wir unterrichten Kinder, deren Eltern aus dreißig Ländern stammen."
    Die Stimmung in den neuen kleinen Klassen sei viel besser als bei Erstklässlern früherer Jahrgänge, versichert Nathalie Lagouge. Die Lehrer seien überaus zufrieden.
    "Sie haben ihre Arbeitsmethoden geändert, sie lassen die Kinder mehr im Team arbeiten. Im Sportunterricht bringen teils zwei Lehrer ihre Klassen zusammen und setzen nun auf Co-Erziehung."
    Politischer Druck auf Schulen
    Doch im Alltag ist Schulinspektorin Marie Dupuis manche Schattenseite aufgefallen.
    "Kaum haben die Kinder eine Unterrichtsaufgabe erledigt, schon steht die nächste an. Natürlich ist es gut, dass die Lehrer nun intensiv auf jedes Kind eingehen können. Dafür aber müssen sie pädagogisch anders vorgehen, unter anderem eine direktere Beziehung zu jedem Schüler aufbauen. Das klappt längst noch nicht immer."
    Derzeit fühle sich mancher Lehrer von den hohen Erwartungen des Ministeriums unter Druck gesetzt, sagt die Schulinspektorin. Das bestätigte im letzten Sommer auch eine Erhebung der SNUIPP, der wichtigsten Gewerkschaft französischer Grundschullehrer. Deren Credo: Kleine Klassen? Ja gerne - aber für alle Kinder in Brennpunkt-Grundschulen, sagt Gewerkschafterin Nelly Rizzo.
    "Wir haben es mal durchgerechnet: Würden die Mittel, die derzeit in die kleinen ersten beiden Klassen gesteckt werden, verteilt, ließen sich damit alle Grundschulklassen verkleinern, auf maximal 20 Kinder. Das könnte langfristigen Lernerfolg sichern."
    Dieses Ziel hat sich auch Staatspräsident Emmanuel Macron, wie kürzlich angekündigt, auf die Fahnen geschrieben.