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Bretonische Fischer in britischen Gewässern
Der "Brexit" als Damoklesschwert

Mitbekommen? In Brüssel ist gerade die vierte Brexit-Verhandlungsrunde vorüber - wieder ein zähes Ringen. Viele EU-Bürger dürften die Folgen des Brexit kaum zu spüren bekommen. Aber für die Fischer in der französischen Bretagne könnte er fatale Folgen haben.

Von Marcel Wagner |
    Ein Seemann auf dem Fischtrawler "Gwenvidik" am 13. Dezember 2001 vor der Küste der Bretagne
    Das Fischen in britischen Gewässern ernährt eine Großteil der Bevölkerung ums bretonische Le Guilvinec. Entsprechend besorgt sind die Fischer über die Aussicht, demnächst täglich mit einer EU-Außengrenze konfrontiert zu sein (picture alliance / dpa / Marcel Mochet)
    Über dem Hafenbecken von Le Guilvinec, ganz im Westen der Bretagne, segeln einige Möwen im frischen Morgenwind. Während sich das Fischerdorf noch verschlafen an die Küste schmiegt, bereiten Erwann Gouzien und sein Team an der Kaimauer ihr Fischerboot auf die nächste Fahrt vor:
    "Das hier ist ein Hochsee-Fischerboot, damit sind wir normalerweise fünfzehn Tage am Stück auf See. Wir fangen Seeteufel, Dorsch, Butt, Sankt-Petersfisch oder auch Rochen."
    Im Bauch des Schiffes reinigen die Kollegen die Lagerräume. Kapitän Gouzien lehnt auf der Brücke entspannt am Ruder und blickt durch die schwarzrandige Brille zufrieden zum offenen Meer rüber:
    "Wir fangen im Moment immer mehr Fische. Es gibt einfach weniger Boote. In den vergangenen Jahren gab es gezielte Abwrackpläne, manche Boote waren auch einfach zu alt und deshalb nicht mehr rentabel. Deshalb bleiben für die anderen Schiffe immer mehr Fische übrig."
    "Wir fischen viel in englischen Gewässern"
    Sein eigenes Boot, erläutert Erwann lächelnd, sei aktuell rentabel. Wegen der Fangmengen. Dank angemessener Preise für den Fisch, vor allem aber wegen des immer noch moderaten Benzinpreises. Dass der wieder steige, sei für ihn die zweitgrößte Gefahr, erzählt der Kapitän, plötzlich deutlich ernster. Denn eine andere Gefahr bereitet dem erfahrenen Seemann deutlich größere Sorgen, der Brexit:
    "Im Moment ist ja noch alles okay. Aber wir fischen viel in englischen Gewässern. Wenn sie die für uns dicht machen, können wir ganz einfach nicht mehr arbeiten."
    Brexit, dieses Wort klingt für alle, die hier in Guilvinec mit der Fischerei zu tun haben, nach Damoklesschwert. In der Hafenhalle nur ein paar Meter vom Kai entfernt, türmen sich die Kisten mit dem Fang, den die Kollegen am Abend abgeliefert haben.
    Die Einkäufer bieten heute auf Kuckucksrochen, Tintenfisch, Leng, Schellfisch. Fast der gesamte Fang kommt aus Gewässern im Süden Irlands oder vor England. Fanggebiete, die vor allem für die Erträge der Fischerei in der westlichen Bretagne eine riesige Bedeutung haben, erklärt Guy Le Moin, Vizepräsident der örtlichen Fischereibehörde:
    "Die Fischerei außerhalb unserer Gewässer, also die Boote, die mehrere Tage auf See bleiben, machen nur 20 Prozent der Beschäftigung aus, aber 80 Prozent der Erträge, um die Bevölkerung zu ernähren. In der Tagesfischerei arbeiten 80 Prozent der Beschäftigten, sie liefert aber nur 20 Prozent der Erträge."
    "Wir haben auch historische Rechte"
    Wenn Guy Le Moin über den Austritt Großbritanniens aus der EU spricht, legt auch er die Stirn in Sorgenfalten:
    "Der Brexit ist für uns ein riesengroßes Problem. Es arbeiten einfach viele unserer Boote in englischen Gewässern. Also haben wir irgendwie auch historische Rechte. Aber es wird natürlich die Diskussion geben, ob wir weiter in diesen Zonen arbeiten können."
    Die Finistère, ganz im Westen der Bretagne, ist das fangstärkste Departement in ganz Frankreich. Über 50.000 Tonnen Fisch und Krustentiere landen jährlich in den Häfen, rund ein Drittel davon in Le Guilvinec. Kein Wunder, dass auch Philippe Le Carre, Chef der regionalen Industrie- und Handeslkammer, regelmäßig im Hafen vorbei schaut:
    "Der Hafen von Le Guilvinec war schon immer in dieser Region hier eine Lokomotive für die Fischerei. Der Hafen zählt zu den drei wichtigsten von Frankreich, er ist im Moment auf Platz zwei, also wirklich eine Lokomotive."
    Auch Präsident Emmanuel Macron hatte das erkannt und Guilvinec bei seinem Wahlkampf im Frühjahr medienwirksam besucht. Auch, wenn die EU mit ihren Fangquoten aus Sicht der Fischer hier nicht alles richtig macht: Der pro-europäische Kurs von Macron gefiel den meisten angesichts der Gefahren durch den Brexit deutlich besser als etwa der Kurs der rechten, europafeindlichen Marine Le Pen, auch wenn diese versucht hatte, sich als Patronin der Fischerei zu inszenieren. Macron hatte damals versprochen, im Falle seiner Wahl die Modernisierung der Fischfangflotte besonders zu fördern.
    Auf hoher See mit alten Schiffen
    Wie das konkret aussehen soll, ist noch nicht klar. Philippe Le Carre hat die Ankündigung trotzdem mit Genugtuung gehört:
    "Die Fischerboote, die weiter weg auf Fischfang gehen, verbrauchen extrem viel Benzin. Die meisten sind schon alt, im Schnitt hier in der Bretagne 28 Jahre. Die Schiffe zu erneuern, ist also eine wichtige Herausforderung, auch um junge Leute anzulocken. Denn das erhöht die Sicherheit und sorgt dafür, dass die Boote sich rechnen."
    Draußen am Kai haben Erwann Gouzien und sein Team das Boot fast startklar für die nächste Tour in Richtung England. Auch sein Kutter zählt eher zur älteren Generation der Schiffe im Hafen.
    "Das wäre schon super, wenn wir die Flotte hier erneuern könnten", meint der Seemann. "Aber im Moment können wir das einfach nicht. Und ich selbst muss noch zehn Jahre arbeiten. Also werde ich wohl schauen, dass das Boot einfach noch zehn Jahre hält."