Nach 63 Tagen Pause beginnt die Fußball-Bundesliga wieder mit dem Spielbetrieb – jedoch ohne Zuschauer als sogenannte Geisterspiele. Das ist ein Teil des Hygienekonzepts, das die Deutsche Fußballliga (DFL) erarbeitet hat, um einen eingeschränkten Spielbetrieb zu ermöglichen. Der ehemalige ARD-Sportreporter Manni Breuckmann sagte im Dlf, er befürchte, dass diese Geisterspiele recht langweilig würden und Aspekte wie der Heimvorteil für Mannschaften größtenteils wegfielen.
Er stellte auch hervor, dass er eine Entfremdung des Profifußballs von Teilen der Bevölkerung beobachte, was er auch daran zu erkennen glaubt, dass nur eine Minderheit die Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der Bundesliga mit Geisterspielen befürwortet. Auch das Argument, dass die Fußball-Bundesliga eine Vorreiterrolle übernehmen könnte, bezweifelt Breuckmann. Andere Sportarten seien nicht mit dergleichen Finanzkraft ausgestattet wie der Fußball.
Nach Breuckmanns Auffassung sei es auch der einzige Grund, warum der Spielbetrieb wieder aufgenommen würde, dass die Vereine die rund 300 Millionen Euro an TV-Übertragungsgelder nicht zurückzahlen wollen.
Gleichzeitig attestiert er der DFL ernsthafte Absichten sich zukünftig mit extrem hohen Ablösesummen, Gehältern und Beraterhonoraren auseinandersetzen zu wollen. Da könne die Coronakrise ein Anfang sein. Aber er gibt auch zu bedenken, dass ein Kurswechsel nur in europäischer Absprache funktionieren könnte.
Philipp May: 15.30 Uhr, Dortmund Schalke Revierderby – mehr Emotionen gibt es normalerweise nicht in der Liga. Freuen Sie sich drauf?
Manfred Breuckmann: Nein. Also ich muss es erklären. Natürlich habe ich Entzugserscheinungen, natürlich bin ich immer noch Fußballfan. Aber auf diese Geisterspiele bin ich vielleicht neugierig, aber die große Freude stellt sich da nicht ein, weil ich ja so ungefähr weiß, wie das laufen wird, wie öde das ablaufen wird. Wir haben das ja schon gesehen, als Borussia Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln spielte und dann ein paar Tage später Borussia Dortmund bei Paris Saint-Germain zu Gast gewesen ist. Wenn da erst mal zwei, drei Spieltage absolviert sind, dann wird man feststellen, mein Gott, das ist langweilig – vielleicht aber auch nicht, ich lasse mich mal überraschen. Aber ich bin in erster Linie nur neugierig.
May: Man kann sich ja möglicherweise auch dran gewöhnen und konzentriert sich dann wirklich auf die spielerischen Feinheiten auf dem Platz.
Breuckmann: Ja, da wird es zum Beispiel auch für die Mannschaften sehr drauf ankommen. Es haben sich ja viele die Frage gestellt: Wie geht das denn jetzt aus? Spielen die jetzt immer sieben zu sechs, oder eher so schlimm, null zu null? Wer profitiert von dieser Situation, die, die fitter sind, die die größte Mentalität haben, die individuell Besseren? Es wird für die Trainer und auch für die Psychologen, manche Vereine haben ja Psychologen, darauf ankommen, dass sich bei den Spielern nicht im Kopf festsetzt, das ist so eine Art Training, nur zu Matchbedingungen. Das ist ja auch schon Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach damals aufgefallen, dass er sich fühlte wie im Training – aber es war ernst.
May: Und das heißt, wer wird dann davon profitieren?
Breuckmann: Ich glaube, dass die, die die individuell besseren Spieler haben, davon profitieren werden, und ich glaube auch, dass der Heimvorteil zwar nicht so richtig aufgehoben ist, dass er aber nicht mehr so viel zählt wie sonst. Man muss sich doch vorstellen, bei diesem Derby zum Beispiel Dortmund gegen Schalke – da sitzen oder stehen 25.000 auf der Südtribüne, peitschen die Mannschaft nach vorne. Am Sonntag spielt an der alten Försterei Union Berlin gegen Bayern München: Da hätten die Bayern sicherlich keine Angst vor diesem Publikum, aber es hätte sie eventuell beeindruckt.
May: Ein zwölfter Mann hätte schon geholfen gegen die Bayern.
Breuckmann: Ja, ja, schade eigentlich, ne?
"Extrawurst für diesen Profifußball"
May: Ja. Jetzt kommen wir mal auf die öffentliche Stimmung, das öffentliche Meinungsbild. Eine deutliche Mehrheit in Deutschland ist gegen die Fortsetzung der Bundesliga unter Corona-Bedingungen. Können Sie das nachvollziehen?
Breuckmann: Ich kann das nachvollziehen, wenn ich mir die Entwicklung des Fußballs in den letzten Jahrzehnten angucke. Da haben doch mittlerweile einige den Eindruck, es handelt sich hier um eine Ansammlung von gierigen Schnöseln, die zusammen mit eiskalten Geschäftsleuten dafür sorgen, dass die Emotionen in manchen Zusammenhängen nur noch vorgetäuscht werden.
Ich hätte das nicht so hart erwartet: Nur ein Drittel hat sich für die Geisterspiele ausgesprochen. Man muss natürlich hinzufügen, dass sich ungefähr nur die Hälfte der Bevölkerung für Fußball intensiv interessiert. Aber ich glaube, da hat es doch eine gewisse Entfremdung gegeben beim Image des Fußballs. Die nötige politische Lobby ist ja offensichtlich nach wie vor da, Söder, Laschet und Spahn, die Dreier-Spitze, haben in erster Linie dafür gesorgt, dass das überhaupt durchgeführt werden konnte, was da heute Nachmittag beginnt, denn es ist ja eine Extrawurst für diesen Profifußball.
May: Haben sich die Politiker da möglicherweise verzockt? Haben sie diese gesellschaftliche Entfremdung nicht gesehen?
Breuckmann: Ich glaube, die haben das nicht gesehen. Die haben geglaubt, dieser Fußball ist immer noch so stark verankert und so populär wie er immer war. Das ist ja auch nicht ganz weg. Man muss ja jetzt nicht übertreiben und sagen, diese Corona-Situation hat dazu geführt, dass der Fußball hinterher nicht mehr heiß geliebt wird.
Aber es ist schon ein gewisser Image-Schaden. Und wenn man sich dieses ganze schizophrene Treiben da heute Nachmittag angucken wird, da ist ja ein 51-seitiger Hygienekatalog entfernt worden: Auf der Bank findet da ein Maskenball statt, die Spieler dürfen beim Tor nicht gemeinsam jubeln, und dann kommt die Ecke und dann schubsen und stoßen und versprenkeln ihren Schweiß im 16-Meter-Raum ungefähr 15 Spieler – das ist ja Schizophrenität hoch drei.
May: Ja, ich habe auch gelesen, dass der Mannschaftsarzt von Hoffenheim von Mauerbildung bei Freistößen abrät.
Breuckmann: Ich halte das jetzt für eine Fake-Nachricht, das klingt verrückt.
May: Aber es klingt so schön.
Breuckmann: Es klingt ganz großartig. Das hat übrigens auch der Torwart von Augsburg gesagt: Dadurch, dass keine Zuschauer da sind, fällt ein Stressfaktor weg. Damit dürfte er aber in der absoluten Minderheit sein.
"300 Millionen an TV-Geldern nicht zurückzahlen"
May: Jetzt verhehlt ja aber fairerweise die Liga nun wirklich auch nicht, dass der Fußball vor allen Dingen ein Wirtschaftszweig ist, an dem mehr als 50.000 direkte Arbeitsplätze hängen. Ist es da nicht legitim, genau wie Kaufhäuser und Restaurants nach Wegen zu suchen, auch einfach den Betrieb wieder aufzunehmen, trotz Corona? Es muss ja auch irgendwann wieder weitergehen.
Breuckmann: Also das mit den 50.000 Arbeitsplätzen finde ich sensationell, vor allen Dingen bei Geisterspielen kommen die ja gar nicht zum Zuge, und viele dieser Arbeitsplätze hängen ja nicht nur am Fußball, sondern sind auch in anderen Zusammenhängen relevant. Man darf sich da doch nichts vormachen: Die spielen heute nicht für mich als Fußballfan, sondern die spielen dafür, dass sie die 300 Millionen an TV-Geldern nicht zurückzahlen müssen. Dafür spielen die in der Fußball-Bundesliga, in einer offensichtlich auf Kante genähten Branche, wo vorne die Kohle reinkommt und hinten gleich wieder rausgeht.
May: Und ist das nicht legitim?
Breuckmann: Ja, sicher ist das legitim, das zu versuchen, aber es ist die Frage, ob man damit durchkommt. Und offensichtlich ist es dem Fußball gelungen, mit einer geschickten Verhandlungsführung von Christian Seifert, dem DFL-Boss, muss man auch mal sagen, damit durchzukommen.
"Umsatz von fünf Milliarden"
May: Jetzt argumentiert ja aber auch die Liga und auch die Politik, dass man Vorreiter sein kann für andere Branchen, also ein Versuchslabor, um es mal positiv zu sagen, ich sage jetzt nicht Versuchskaninchen. Und am Ende zieht man Bilanz, was gut lief und was schlecht, und gewinnt dann auch möglicherweise Erkenntnisse für andere Branchen, für andere Sportarten. Könnte das nicht auch tatsächlich dann am Ende ein Vorteil sein, dass die Bundesliga jetzt vorangeht?
Breuckmann: Ich sehe das deswegen nicht, weil die großen finanziellen Interessen, die in der Bundesliga vorherrschen, die haben ja in der ersten und in der zweiten Liga einen Umsatz von fünf Milliarden, sind ja in den anderen Profiligen alle gar nicht da. Und das ist ja der entscheidende Punkt in diesem Zusammenhang, dass es der Bundesliga gelungen ist, jetzt weitermachen zu können unter sogenannten Geisterbedingungen. Also diese Vorreiterrolle sehe ich persönlich nicht.
May: Was man jetzt allerdings auch viel hört im Profifußball: Diese Coronapandemie ist ein Fanal dafür, dass es so – Sie haben es ja angesprochen, die Schnösel – nicht weitergehen kann. Die Zeit der 100-Millionen-Ablösesummen, die Zeit der Riesengehälter, die Zeit der unglaublichen Provision für Spielervermittler, die ist vorbei. Glauben Sie an diese Läuterung durch Corona?
Breuckmann: Ich höre die Botschaft, ich will dieser Botschaft sogar Ernsthaftigkeit unterstellen. Christian Seifert, um ihn noch mal zu zitieren, hat ja schon angekündigt, dass es im Herbst noch mal eine Task Force "Zukunft Profifußball" geben soll, da wird dann geredet über Gehälter, über Ablösesummen, über Beraterhonorare.
Ich habe das erst für ein taktisches Argument gehalten, um ein gutes Klima für den Fußball zu schaffen. Ich will ihm aber mittlerweile die Ernsthaftigkeit gar nicht absprechen. Aber da hängt ein derartiger Rattenschwanz von Problemen dran, unter anderem auch eine europäische Abstimmung, die in manchen Fällen nötig wäre, und juristische Einwände, die da erhoben werden, dass man von einem Erfolg jetzt nur sehr bedingt ausgehen kann.
Die 50-plus-1-Regel könnte fallen
May: Der Brexit macht es wahrscheinlich auch da nicht leichter, die Premier League hat ein anderes Geschäftsmodell, und dann kommt der Scheich aus Abu Dhabi und zahlt trotzdem seine weiter 100 Millionen für, was weiß ich, Timo Werner.
Breuckmann: Ja, und so ist das, und dann wird vielleicht auch mal wieder über 50 plus 1 geredet, also über das Verbot in Deutschland, dass da ein Investor sich einen Club kauft, und da sind wir mal wirklich gespannt, was dabei rumkommt. Die Kappung der Honorare für Spielerberater oder die Deckelung der Einnahmen, die die Spieler selber haben – ich sehe das noch nicht so richtig.
May: Könnte ja auch der Umkehrschluss passieren, dass jetzt diese 50-plus-1-Regel, also die Regel, wonach mehr als die Hälfte des Besitzes eines Vereins beziehungsweise einer Profiabteilung immer im Verein bleiben muss, dass die jetzt gerade durch Corona, durch die wirtschaftlichen Verwerfungen fällt am Ende.
Breuckmann: Das könnte natürlich auch sein, dass sich da die Meinung durchsetzt. Ich kann davor nur warnen, denn erstens: Wo sind die vielen Investoren? Und zweitens: Sind diese Investoren gut für den Fußball im traditionellen Sinne? Also ich halte es da nach wie vor damit, dass der Fußball anders organisiert sein soll.
May: Und trotz allem: Wir wissen, Sie sind Schalke-Fan, heute Revierderby, die Frage muss ich Ihnen jetzt noch stellen: Wer gewinnt das heute?
Breuckmann: Es geht heute vier zu vier aus, zur Pause führt Borussia Dortmund vier zu null, und in der 90. Minute fällt das vier zu vier. Nur der Torschütze von damals, Naldo, der ist leider nicht mehr dabei bei den Schalkern, ohne Zuschauer.
May: Also einen kleinen Überraschungsmoment, den haben wir dann doch noch, auch wenn wir das Interview mit Ihnen jetzt gehört haben.
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