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Brexit-Auswirkungen für den Fußball
"Es könnte für einheimische Spieler gut sein"

Wann und ob Großbritannien aus der EU austritt ist auch nach den jüngsten Entwicklungen weiter fraglich. Welche Folgen könnte ein Brexit für die stärkste Fußball-Liga der Welt, die Premier League, haben? "Times"-Redakteur Henry Winter sieht im Dlf eher Chancen für den englischen Fußball.

Henry Winter im Gespräch mit Matthias Friebe |
Die Spieler von Manchester City feiern den Sieg im Supercup
Ist der Brexit eine Chance für die Premier League? (picture-alliance/dpa )
Matthias Friebe: Gestern gab es eine außerordentliche Sitzung im Unterhaus. Der Brexit ist gerade das Thema in Europa schlechthin. Tangiert das die Fußballfans heute auch?
Henry Winter: Nun, ich denke, es betrifft jeden im Land, weil alle unglaublich emotional geworden sind. Und ich denke, unabhängig davon, wie sie den Brexit sehen, sind alle im Land ziemlich sauer. Sie haben wahrscheinlich die Szenen gesehen, die Demonstrationen, die Proteste. Sie wissen, wie die Engländer sind: Wir interessieren uns normalerweise nur für Musik, Fußball und das Wetter. Alle reden über Fußball und es geht nur um den Brexit. Es gibt ein bisschen Wut auf die Politik in diesem Land. Und ich denke, dass man das bei Fußballspielen sehen und hören kann. Sie haben es mit bestimmten Zwischenfällen in dieser Saison, mit Missbrauch und viel Wut gesehen. Sie sehen es online. Ich denke, eines der Nebenprodukte des Brexits ist diese Wut, die in Fußballspielen zu spüren ist. Es gibt natürlich auch andere Gründe: Ergebnisse, Form und ähnliches. Aber ich denke, die Spannungen im Land manifestieren sich bei einigen Fußballspielen.
Wegen des Brexit liegt im Fußball Wut in der Luft
Friebe: Hat Fußball die Kraft eine Brücke zu bauen zwischen Brexiteers und Remainern?
Winter: Das glaube ich nicht, denn das Zentrale am Brexit ist, dass er Familien, Generationen oder Freunde gespalten hat. Jeder hat eine andere Sichtweise. Ich denke also, wenn Sie Fußballfans fragen, könnte das auch gespalten sein – selbst innerhalb eines Vereins. Es kommt darauf an, es ist in verschiedenen Gebieten unterschiedlich. Der Brexit hatte definitiv Auswirkungen auf den Fußball. Fußball kann ablenken. Weil es eine so mächtige Kraft ist, denke ich, kann es helfen. Aber wir merken, dass wegen des Brexits bei Fußballspielen Wut in der Luft liegt. Sie finden das auch in Vereinen - bestimmten Vereinen wie Arsenal, Everton und Liverpool - die machen so viel Arbeit in der Gesellschaft. Und ich denke, auch wenn es sich nicht um politische Organisationen handelt, die eine gewisse Sicht auf den Brexit haben: Einige der Mitarbeiter, die in den gesellschaftlichen Programmen vieler Clubs arbeiten, merken, dass sie durch den Brexit ein bisschen mehr Arbeit zu erledigen haben.
Friebe: Es gibt eine ökonomische Perspektive. Wir haben inzwischen eine Zurückhaltung, was die Bereitschaft angeht, in Unternehmen und Projekte in Großbritannien zu investieren. Spürt man das auch im Bereich des Fußballs?
Winter: Ich weiß nicht, ob das im Fußball so ist. Fußball ist so eine seltsame Welt. Es ist wie ein eigenes Mikroklima. Manchmal wollen gerade die Menschen in wirtschaftlich schwierigen Gegenden zum Fußball gehen, als Eskapismus, Flucht. Es ist wie in Hollywood in den 20ern und 30ern und der Depression. Damals gab es einige der ganz großen Stars der Studios. Es ist schwer zu sagen. Ich glaube, es ist nicht so, dass weltweit weniger Menschen in den englischen Fußball investieren wollen. Ich meine, wenn ein Fußballverein zum Verkauf angeboten wird, für die meisten von ihnen, sogar wenn es sich finanziell nicht gerade um heiße Ware handelt, besteht auf der ganzen Welt immer noch großes Interesse von Menschen, die in den englischen Fußball investieren möchten. Ich denke, der englische Fußball wird immer noch als sehr attraktiv angesehen, trotz der Ereignisse im Rest des Landes.
Weniger mittelstarke Spieler in der Liga
Friebe: Sie glauben also, dass die Premier League auch nach dem Brexit die stärkste Liga der Welt bleibt?
Winter: Alle warten darauf, die Auswirkungen des Brexits auf das Land, aber auch auf den englischen Fußball zu sehen. Es besteht das Gefühl, dass es für einheimische Spieler, englische Spieler, die durch die Akademien kommen, gut sein könnte. Weil es viel einfacher ist, mit ihnen zu arbeiten, als mit Spielern, die eine zusätzliche Arbeitserlaubnis benötigen. Also gibt es dieses Element. Ich denke, Sie werden sehen, dass die wirklichen Superstars, die besten Spieler, aufgrund des Geldes und des Wunsches, in einer so attraktiven Liga mit vollen Stadien und allem zu spielen, immer noch zum englischen Fußball in der Premier League kommen werden. Aber die mittelstarken Spieler - von denen glaube ich nicht, dass der englische Fußball noch so viele holen wird. Aber noch weiß das niemand. Bei der Premier League arbeiten Leute am Brexit. Beim Verband, der FA, arbeiten Leute am Brexit. Bei der Fußballliga arbeiten Leute am Brexit. Und im Moment kratzen sich viele Leute am Kopf, weil niemand etwas weiß. Aber sie sind nicht die Einzigen, das ist auch außerhalb des Fußballs ein Problem. Man muss sich nur das Unterhaus ansehen, um zu erkennen, dass niemand wirklich etwas weiß.
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