Tagelang hatte Boris Johnson öffentlich geschwiegen. Der ehemalige Außenminister ließ gezielt den anderen Kandidaten den Vortritt, sich zu erklären, in welche Richtung sie denn ihre Partei führen wollen. Jetzt meldet sich Johnson mit einem Paukenschlag zu Wort. Er will, sollte er der nächste Regierungschef werden, die der EU zugesagten 39 Milliarden Pfund erst einmal nicht überweisen. "Unsere Freunde und Partner müssten verstehen", sagt Johnson in einem Interview der Zeitung "Sunday Times", "dass wir erst größere Klarheit möchten, wie es weiter geht."
Teile des Interviews veröffentlicht die Zeitung als Audio-Mitschnitt.
"Ich habe es immer für außergewöhnlich gehalten, dass wir den vollständigen Scheck anweisen sollen, bevor wir einen Abschlussvertrag haben. Das finde ich ungewöhnlich, dass wir erst zahlen sollen, bevor wir einen Vertrag über unser künftiges Partnerschaftsverhältnis abschließen."
Johnson: Bin am ehesten geeignet
EU und Großbritannien planen, zwei große Verträge miteinander zu vereinbaren. Der erste, der Ausstiegsvertrag, regelt die Bedingungen des Brexits, unter anderem dass das Vereinigte Königreich ausstehende Beiträge und Verpflichtungen bezahlen muss. Sie werden auf 39 Milliarden Pfund, also umgerechnet 45 Milliarden Euro geschätzt. Dieser Vertrag ist vom britischen Unterhaus dreimal abgelehnt worden.
Der zweite Vertrag soll das künftige Verhältnis beider Seiten zueinander regeln. Dazu gibt es bisher nur eine politische Absichtserklärung. Die EU besteht bislang darauf, dass erst Vertrag Nr. 1 ratifiziert wird, bevor man über Teil 2 verhandelt. Johnson will sich seiner eigenen Partei mit diesen Positionen als kampfbereit präsentieren, auch um die eigene Partei, die Tories, vor dem Absturz zu bewahren.
"Ich bin am ehesten geeignet, der Herausforderung zu begegnen, die von der neuen Brexit-Partei und von den Liberaldemokraten ausgeht, die sich an der gegenwärtigen Krise ergötzen. Ich bin auch der, der am ehesten Jeremy Corbyn und seine kleine linke Londoner Clique bezwingen kann."
Der interne Wahlkampf versinkt schon zu Teilen im Morast
Umfragen zufolge liegt Boris Johnson in der Gunst seiner Partei weit vorne. Die meisten seiner innerparteilichen Kontrahenten befinden sich derweil mitten in einer bizarren Drogenaffäre. Vor allem Johnsons aussichtsreichster Gegenkandidat, Umweltminister Michael Gove, ist deswegen angeschlagen. Gove musste zugeben, dass er vor etwa 20 Jahren Kokain geschnupft hat – ein gefundenes Fressen für die britischen Medien.
"Dieses Eingeständnis überschattet alles", berichtet die BBC-Reporterin. "Ihm wird auch Heuchelei vorgeworfen, weil er damals in einem Aufsatz die aufstrebende Elite beschuldigte, Drogen zu nehmen."
Der interne Wahlkampf bei den Tories, wer Theresa May beerben soll, hat gerade erst begonnen und versinkt schon zu Teilen im Morast. Das Lager von Gove beschuldigt namentlich eine ehemalige hohe Mitarbeiterin, die Enthüllungen den Zeitungen gesteckt zu haben. Diese Mitarbeiterin gehört jetzt zum Kampagnenteam von Dominic Raab, dem früheren Brexit-Minister, der sich auch Hoffnungen darauf macht, neuer Premierminister zu werden.