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Brexit-Chaos
Sprecher Bercow bremst May aus

Der britische Parlamentspräsident John Bercow lehnt ein drittes Votum über das EU-Austrittsabkommen der Regierung ab - mit einer jahrhundertealten Regelung. Die wurde vor 415 Jahren beschlossen und zuletzt vor 107 Jahren angewendet. Damit wird der Brexit-Streit noch komplizierter.

Von Friedbert Meurer |
John Bercow, Parlamentspräsident des Unterhauses
Will er einen weicheren Brexit? John Bercow, britische Parlamentspräsident, sorgt mit seinem Kniff für eine Wende im Brexit-Streit (House Of Commons/PA Wire/dpa)
"Saboteur" und "Brexit-Zerstörer": die Schlagzeilen in den britischen Zeitungen heute Morgen gelten dem Speaker des Unterhauses, John Bercow. Bei anderer Gelegenheit habe er sich doch gegen althergebrachte Konventionen entschieden. Bercow wird als "Windbeutel" beschimpft, als "Psychopath" und "Despot".
Andere Kommentatoren machen sich über den Furor gegen John Bercow lustig und fragen, ob er denn jetzt wie schon sieben andere unbotmäßige Speaker im mittelalterlichen England hingerichtet werden soll.
John Bercow in der Rolle seines Lebens
"Manche in Theresa Mays Kabinett spotteten, solch ein Schicksal sei zu gnädig für den gegenwärtigen Amtsinhaber." John Bercow ist in der Rolle seines Lebens. Er sieht sich in der Tradition eines anderen Ketzers: "hier stehe ich und kann nicht anders".
"Ich sage die Wahrheit im Angesicht der Macht und lasse mich von niemanden herumschubsen." Premierministerin Theresa May war von Bercow gestern nicht vorab unterrichtet worden. Der Ärger soll groß sein.
Großbritanniens neuer Brexit-Minister Stephen Barclay 
Brexit-Minister Stephen Barclay: "Er beruft sich auf eine Entscheidung aus dem Jahr 1604" (AFP / Ben Stansall )
Ihr Brexit-Minister Steve Barclay ließ ihn heute Morgen auch durchblicken. "Wir akzeptieren immer die Entscheidung des Schiedsrichters. Die Hürde wurde jetzt schon hoch gelegt. Aber ich verweise darauf, wie der Speaker bei anderen Gelegenheiten entschieden hat. Wenn er sich immer nur an Althergebrachtes halte, würde sich doch nie etwas an unseren Verfahren ändern. Und jetzt beruft er sich auf eine Entscheidung aus dem Jahr 1604."
Der Tenor am Morgen danach in London lautet: vielleicht ist der Schaden für Theresa May doch nicht so groß. May hätte diese Woche eine dritte Abstimmung ohnehin verloren.
"Da finden sich Wege"
Die frühere Rechtsberaterin der Regierung Nikki da Costa: "Die Premierministerin und die Regierung werden wohl eine dritte Abstimmung ansetzen können. Da finden sich Wege. Es wird nur extrem schwierig, eine vierte Abstimmung zu bekommen. Die Abgeordneten müssen jetzt sehr vorsichtig sein."
Die Lesart lautet: eine dritte Abstimmung hätte May diese Woche verloren, weil sich mögliche Dissidenten von Labour noch nicht aus der Deckung wagen. Wenn diese aber sehen, dass ihre Stimme die Entscheidung bedeutet, dann würden sie springen. Aber erst bei einer vierten Abstimmung, um nicht unnötig zu Ausgestoßenen in ihrer Partei zu werden.
Nur noch zehn Tage Zeit
Henry Newman, Chef des Think Tanks "Open Europe", eigentlich ein Brexit-Befürworter, ist derweil über etwas anderes erstaunt: warum sind eigentlich auch die Brexiteers auf einmal so begeistert von John Bercow? Sonst ist der Speaker doch ihr Lieblingsfeind.
"Ich bin geschockt, dass die Hardliner glauben, dass bereite jetzt den Weg zu einem Brexit ohne einen Vertrag mit der EU. Theresa Mays Brexit ist aber der härteste Brexit, den es im Angebot gibt. 'No Deal' wird es nicht geben, der ist abgesagt."
Trotzdem: in Großbritannien ist der 29. März als Austrittsdatum gesetzlich festgelegt. Das Unterhaus hat nur noch zehn Tage Zeit, das Gesetz zu ändern. Im allgemeinen Chaos könnten zehn Tage schneller vorbei sein, als mancher glaubt.