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Brexit
"Das größte Problem ist die Spaltung der Tories"

Heute wird im britischen Unterhaus über Theresa Mays Plan B für den Brexit sowie zahlreiche Änderungsanträge von Abgeordneten abgestimmt. Die Liberaldemokratin Wera Hobhouse hält es für besonders wichtig, einen Austritt ohne Vertrag auszuschließen. Das könnte die gespaltene Tory-Fraktion jedoch verhindern, sagte sie im Dlf.

Wera Hobhouse im Gespräch mit Christine Heuer | 29.01.2019
    Die britisch-deutsche Politikerin Wera Hobhouse, Abgeordnete der Liberal Democrats
    Die britisch-deutsche Politikerin Wera Hobhouse, Abgeordnete der Liberal Democrats (imago stock&people)
    Die Möglichkeit eines ungeordneten Austritts aus der EU müsse vom Tisch, sagte Hobhouse. Das größte Problem dabei sei die gespaltene konservative Partei der Regierungschefin. Wären die Tories nicht zerstritten, hätte es das Brexit-Referendum nie gegeben, meint Hobhouse.
    Sie unterstütze zudem das Vorhaben, den Brexit zu verschieben. Ob Großbritannien bei einer Verschiebung des Austrittsdatums im Mai an den Europawahlen teilnehmen sollte, hänge von der EU ab.
    Für ein zweites Referendum sieht die Abgeordnete derzeit keine Mehrheit. Denn dafür brauche es die Unterstützung der Labour-Partei. "Wir warten darauf, dass Jeremy Corbyn sich öffentlich dafür ausspricht".
    Den Antrag zur Rücknahme der sogenannten Backstop-Lösung, mit der eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland garantiert werden soll, hält Hobhouse für "total schizophren". "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EU da mitmacht".
    Das britische Unterhaus will heute Abend darüber abstimmen, wie es in der Brexit-Frage weitergehen soll. Die Abgeordneten haben mehrere Anträge vorgelegt, um sich mehr Einfluss zu sichern. Ein Vorstoß der oppositionellen Labour-Partei sieht vor, dass die Regierung eine Verschiebung des Brexit beantragt, wenn bis Ende Februar kein Abkommen ratifiziert ist. Andere Anträge fordern eine Streichung oder Befristung der umstrittenen Backstop-Regelung, mit der eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland garantiert werden soll.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Plan A, mit ihm ist Theresa May im Unterhaus bekanntlich krachend gescheitert. Plan B, den erwarten nun alle von der britischen Regierungschefin. Änderungsvorschläge liefert heute das Parlament. Zur Wahl stehen unter anderem eine Verschiebung des Brexit und Änderungen am umstrittenen Backstop für die innerirische Grenze. Wie sich das Unterhaus entscheiden wird bei der Abstimmung heute Abend, das könnte dann ein wichtiger Fingerzeig sein darauf, wie es wirklich weitergeht mit dem Brexit in Großbritannien. Abstimmen wird unter anderem heute Wera Hobhouse, Abgeordnete der Liberaldemokraten im britischen Parlament. Sie war gegen den Brexit. Sie ist jetzt am Telefon in London mit uns verbunden. Guten Morgen, Frau Hobhouse!
    Wera Hobhouse: Guten Morgen!
    Mehrheit für ein weiteres Referendum nicht in Sicht
    Heuer: Sie sind, wenn ich da noch auf dem Stand der Dinge bin, für ein zweites Referendum. Wie viele Abgeordnete der anderen, der großen Parteien haben Sie denn für diese Position schon gewinnen können seit Mays Niederlage vor zwei Wochen?
    Hobhouse: Im Moment sieht es eben noch nicht so aus, als wenn wir im Parlament eine Mehrheit für das weitere Referendum gewinnen könnten, weil eben Jeremy Corbyn, also der Führer der Oppositionspartei, sich bisher nicht dafür ausgesprochen hat. Die Labour-Partei hat allerdings ja im Oktober bei ihrer Parteikonferenz so verschiedene Schritte vorgelegt, wie sie vorgehen würden. Und das zweite Referendum steht da auf jeden Fall mit auf dem Tisch, nachdem eine Generalwahl ausgeschlossen ist. Und weil ja Jeremy Corbyn den Misstrauensantrag verloren hat, also im Moment eine Neuwahl nicht ansteht, sollte doch das zweite Referendum näher in Sicht rücken. Aber er hat sich bisher immer noch nicht direkt öffentlich dafür ausgesprochen, und darauf warten wir.
    Heuer: Das heißt aber, heute Abend keine Mehrheit für das von Ihnen gewünschte Referendum?
    Hobhouse: Nein. Und die Frage ist eben auch, ob über diesen Vorschlag überhaupt abgestimmt wird. Wir wollen natürlich, und so kalkulieren ja alle mit ihren eigenen Vorschlägen – keiner will, dass der eigene Vorschlag verliert. Insofern ist das also alles ganz taktisch ausgelegt. Was legt man vor, um zu vermeiden, dass sozusagen die eigene Lösung schon mal abgewählt worden ist. Insofern warten wir eben.
    Heuer: Verstehe. Was ist dann Ihr persönlicher Plan B, Frau Hobhouse? Den Brexit verschieben?
    Hobhouse: Das Wichtigste ist erst mal, und dafür gibt es auf jeden Fall eine Mehrheit, aber wiederum haben wir die Möglichkeit der Abstimmung bisher nicht gehabt. Das Erste ist, den No-Deal-Brexit auszuschließen. Das ist das, worauf wir versuchen hinzuarbeiten. Aber das ist eben auch wiederum schwierig, weil, obwohl in der Tory-Partei ganz viele Abgeordnete sagen, No-Deal-Brexit ist ein richtiges Desaster, das wollen wir nicht, dafür gibt es auf jeden Fall eine Mehrheit. Aber der Antrag, der das ausschließen will, von Yvette Cooper zum Beispiel, den hoffen wir eben zu gewinnen, und von dem hoffen wir eben auch, dass Tory-Abgeordnete sich dahinter stellen und dafür stimmen.
    Einigung im Parlament ist das Wichtigste
    Heuer: Aber Sie stimmen ja auch für etwas und nicht nur gegen etwas. Ich frage noch mal: Sind Sie dafür, den Brexit zu verschieben?
    Hobhouse: Ja, das ist auf jeden Fall auch ein Antrag, der vorliegt, und den unterstütze ich, ja. Meine ganze Partei, und die Labour-Partei auch. Allerdings, die Labour-Führung sitzt da wieder so ein bisschen auf dem Zaun. Insofern wird das so ein bisschen. Das ist heikel, aber ich hoffe, dass das durchkommt.
    Heuer: Okay. Aber wir können das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Trotzdem, wenn das durchkommt, dann lautet der Antrag von Yvette Cooper von Labour, dann soll der Brexit bis zum Jahresende verschoben werden. Dazwischen liegen im Mai die Europawahlen. Frau Hobhouse, sollen die Briten da allen Ernstes noch mal antreten?
    Hobhouse: Wir müssen alles im Moment Schritt für Schritt, einen halben Schritt vor dem anderen halben Schritt gehen. Erst mal wäre für mich wichtig, dass im britischen Parlament es für eine Lösung eine Mehrheit gibt. Das liegt heute an. Und natürlich kommt es dann auf die europäischen Partner an, ob sie sich darauf einlassen. Andere Anträge liegen vor, dass der Backstop wieder vom Tisch genommen werden soll.
    Heuer: Könnte auch eine Mehrheit bekommen.
    Hobhouse: Könnte auch eine Mehrheit bekommen. Aber vieles liegt daran, wie die europäischen Partner dann darauf reagieren. Aber das Wichtigste ist, dass wir erst mal mit dem Parlament uns einigen. Das ist ja das größte Problem.
    "Wir brauchen einen Heilungsprozess im Land"
    Heuer: Aber noch mal, wenn der Brexit verschoben wird und die Briten treten noch mal bei der Europawahl an – also nehmen wir mal an, das käme so –, dann schlagen sich doch Brexiteers und Remainers in Ihrem Land erst recht die Köpfe ein.
    Hobhouse: Die schlagen sich sowieso die Köpfe ein. Das ist ja das größte Problem, das wir haben. Wir haben auch einen Antrag über sogenannte Citizen Assemblies, das ist eine meiner Wunschvorstellungen auch. Das sind Vorschläge, wie man das Land wieder zusammenführen kann in diesen großen Citizen Assemblies. Ich glaube, wir brauchen einen Heilungsprozess im Land. Das liegt heute nicht auf dem Tisch, aber in den nächsten Monaten müssen wir uns ganz seriös darüber den Kopf zerbrechen und darüber nachdenken.
    Heuer: Aber vielleicht deutet sich doch so etwas wie Heilung oder ein erster Schritt der wieder einkehrenden Vernunft an. Es gibt Signale von den Brexit-Hardlinern bei den Tories, dass sie Theresa May dann doch vielleicht zustimmen, allerdings eben mit dem Auftrag, den Backstop wegzuverhandeln in Brüssel. Das würde zumindest die Lage mal etwas beruhigen bei Ihnen, Frau Hobhouse.
    Hobhouse: Wenn sich die Tory-Partei – das größte Problem, das wir haben, ist, dass die Tory-Partei gespalten ist. Deswegen hatten wir das Referendum, deswegen haben wir diese großen Auseinandersetzungen. Wenn die Tory-Partei sich einig wäre, dann würden wir heute Morgen dieses Interview nicht führen müssen. Das kann ich aber nicht beeinflussen. Das liegt daran, wie die Emotionen und wie die Verhandlungspositionen innerhalb der Tories sind.
    Heuer: Aber gut, es besteht ja die reale Möglichkeit, dass neue Backstop-Verhandlungen da heute Abend beschlossen werden. Wenn es so kommt, Frau Hobhouse, was wünschen Sie sich von den Liberaldemokraten dann eigentlich von der EU?
    Hobhouse: Das kann ich wiederum überhaupt nicht bestimmen. Ich bin in dem Fall natürlich eine Betrachterin der Situation. Es scheint mir unwahrscheinlich.
    No-Deal-Brexit "ist die größte Sorge"
    Heuer: Sie stimmen mit ab.
    Hobhouse: Na ja, Moment. Die Abstimmung, den Backstop zu verändern, da stehe ich nicht dahinter, denn wir haben ja hier genügend auch selbst von der Premierministerin gehört, dass der Backstop nicht verändert werden kann. Also insofern scheint mir das, dass die Regierung das nun selbst unterstützt, total schizophren. Das kann ich mir gar nicht vorstellen, dass die EU sich darauf einlässt. Und das scheint mir auch nur eine Taktik zu sein der Premierministerin, die EU noch mal unter Druck zu setzen. Aber wie das ausgehen soll, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Also mich hinter was zu stellen, was wirklich keinen Sinn macht, das kann ich nicht machen.
    Heuer: Ihre größte Sorge, Frau Hobhouse, ganz kurz, Ihre größte Sorge im Moment für Ihr Land, welche ist das?
    Hobhouse: Die größte Sorge für das Land ist schon nach wie vor, dass es zu einem No-Deal-Brexit kommt. Deswegen ist für mich das Wichtigste, dass diese Möglichkeit heute Abend ausgeschlossen wird.
    Heuer: Wera Hobhouse von den Liberaldemokraten. Sie ist Parlamentarierin im britischen Unterhaus. Danke fürs Interview, Frau Hobhouse!
    Hobhouse: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.