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Brexit-Deal
Britische Bürger vor dem EU-Ausstieg verunsichert

Am 19. Juni 2017 saßen Brexit-Unterhändler von EU und Großbritannien zum ersten Mal in Brüssel am Verhandlungstisch. Für Sonntag sind nur gut zwei Stunden für das Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs anberaumt. Die Stimmung bei den Briten ist vor dem EU-Ausstieg gespalten.

Von Anne Demmer |
    Theresa May am 16. November 2018 in London vor dem Regierungssitz in der Downing Street 10
    Theresa Mays Beliebtheit steigt in den Umfragen, trotzdem sind viele Menschen in Großbritannien über mögliche Konsequenzen nach einem EU-Austritt verunsichert. (AFP)
    King's Cross St. Pancras: Von dem Bahnhof im Zentrum von London fahren Züge in alle Richtungen des Landes. Tony aus Buckinghamshire in Südengland will Freunde in London besuchen. Er ist mit dem Abkommen zufrieden, das am Sonntag in Brüssel unterschrieben werden soll:
    "Ich bin begeistert. Theresa May hat einen verdammt guten Job gemacht. Sie ist dafür wirklich schlecht von ihren Kollegen behandelt worden. Ich hoffe, dass das Abkommen jetzt durchgeht und wir endlich mit unserem Leben weitermachen können. Es gibt uns all die Freiheit, die wir brauchen. Wir sind dann endlich in der Position, wo wir nicht mehr von einer Institution in Brüssel regiert werden, die wir nicht gewählt haben. Deswegen wollte ich auch nie Teil von Europa sein."
    Das Austrittsabkommen umfasst 500 Seiten
    Louise und Kerin Colins steigen gerade um. Sie kommen aus The Wirral im Nordwesten Englands. Louise hält rein gar nichts von dem Deal. Sie und ihr Mann haben vor zwei Jahren für den Verbleib in der EU gestimmt. Was tatsächlich in dem über 500-seitigen Austrittsabkommen steht, wissen sie nicht.
    "Ich höre bei den Nachrichten gar nicht mehr hin. Es ist genauso wie mit Trump, wenn der spricht, zieht mich das auch runter, da schalte ich ab. Es ist von Anfang an ein Desaster gewesen und ist es jetzt noch. Wir sind gerade auf dem Weg zur Uni-Abschlussfeier unseres Sohnes. Ich mache mir wirklich Sorgen um seine Zukunft und die seiner Kinder. Wir leben in einer Welt, wo es nur noch um Eigeninteressen geht und das ist sehr ungesund. Ich wünsche mir eigentlich für ihn, dass er überall in Europa arbeiten kann, dass er überall willkommen ist und auf der anderen Seite hier alle willkommen sind."
    "Wir haben in der EU einfach keinen Einfluss"
    Die Londonerin Anne Joseph hofft auf ein zweites Referendum. "Ich denke nicht, dass es ein guter Deal ist, eigentlich sind wir in einer ähnlichen Position wie vorher, vieles bleibt ja noch offen, aber wir haben in der EU einfach keinen Einfluss mehr, das ist doch wirklich dumm."
    Doch dann fügt sie noch hinzu: "Theresa May hat wahrscheinlich ihr Bestes gegeben. Ich bin kein Tory, ich habe schon immer für Labour gestimmt. Aber ich bewundere Theresa May, wenn man sich überlegt, unter welchem Druck sie steht. Trotzdem würde ich mir wirklich eine Labour-Regierung wünschen, aber ich will auch, dass wir in Europa bleiben. Das ist natürlich ein Dilemma."
    "Wir müssen jetzt die Konsequenzen tragen"
    Denn der oppositionelle Labour-Chef Jeremy Corbyn ist selbst ein Euroskeptiker. Zu einem zweiten Referendum hat er keine eindeutige Position.
    Dave mit Hipsterbart und zerschlissener Jeans hat es eilig, er will zum Zug, bleibt nur kurz stehen. Auch wenn er gegen den Brexit gestimmt hat, ist er der Meinung: "Wir müssen da jetzt dadurch. Ein zweites Referendum würde nur Chaos verursachen, wir müssen jetzt die Konsequenzen tragen. Ich denke unsere 'Mutter Theresa' macht einen guten Job. Sie ist großartig."
    May liegt in Umfragen deutlich vor Corbyn
    Während Theresa May im Parlament für ihren Brexit-Deal von allen Seiten kritisiert wird, steigt ihre Beliebtheit. In der Gunst der Briten liegt sie laut jüngsten Umfragen von Yougov trotz Brexit-Chaos deutlich vor dem oppositionellen Labour-Chef Jeremy Corbyn. Während 35 Prozent der Befragten mit Theresa May zufrieden sind, glauben nur 22 Prozent, dass Corbyn ein guter Premierminister wäre.
    Stoisch hat sie ihren Plan durchgezogen, hat in BBC-Radioshows in den vergangenen Wochen zwei Mal den Hörern Rede und Antwort gestanden. Sogar ihre Roboterart hat sie ein bisschen abgelegt, vielleicht sogar ein wenig Charme versprüht. Doch im Parlament ist derzeit für den Brexit-Deal keine Mehrheit absehbar.
    Im BBC-Radio warnt die britische Premierministerin: "Wenn das Brexit-Abkommen nicht durch das Parlament kommt, dann fangen wir wieder von vorne an. Es wird mehr Unsicherheit geben und weitere Spaltung. Wenn wir dann zurück zur EU gehen und sagen: Die Leute wollen den Deal nicht, dann wird die EU sicher nicht auf uns zukommen und sagen - klar wir geben euch einen besseren Deal. Dieses Abkommen ist gut für Großbritannien."