Dienstagabend in Wisbech, die Clarkson Singers haben wieder Chorprobe. Das hübsche Städtchen in den Fens, der einstigen Moorlandschaft, lebt vor allem von der Landwirtschaft. In den letzten Jahren ist die Bevölkerung um mehr als ein Drittel gewachsen: Osteuropäische Einwanderer helfen bei der Ernte. 75 Prozent stimmten hier für den Brexit.
Sind sie zufrieden? Die Zustimmung erklingt vielstimmig. Eine Dame war wohltuend überrascht, eine andere ist glücklich. Vor der Abstimmung hielten sich die Befürworter des Austritts bedeckt, seither sehe man mehr Leute mit einem Lächeln auf den Lippen: Wir haben es geschafft! Ein pensionierter Bauführer erklärt: England habe in viktorianischen Zeiten die Welt regiert, seine Industrie produzierte alles. Und jetzt? Er wolle sein Land zurückhaben.
Revolte des bislang schlummernden englischen Nationalismus
England, wohlgemerkt, nicht Großbritannien. Das Referendum war auch eine Revolte des bislang schlummernden englischen Nationalismus. Sie habe nichts gegen die Einwanderer persönlich, aber es gebe schlicht zu viele hier, klagt eine Sängerin. Ihre Kollegin stimmt zu.
Diese Leute könnten nicht einfach hierbleiben und von der britischen Wohlfahrt leben. Diese Aussage ist zwar statistisch falsch, aber dennoch populär. Es ist auch die Rede davon, man brauche nur qualifizierte Einwanderer, was hier in Wisbech ja nur vereinzelt zutrifft, denn zum Obstpflücken braucht es kaum eine besondere Ausbildung. Und was meinen die Clarkson Singers, benannt nach einem lokalen Kämpfer gegen die Sklaverei, zu den erwarteten wirtschaftlichen Konsequenzen eines Brexit, falls die Zuwanderung beschränkt wird? Wir werden das schon schaffen, sagt eine Dame grimmig.
Die Angst der Einwanderer, sie müssten nun das Land aufgrund von Brexit verlassen, sei völlig unbegründet. Im polnischen Fleischwarengeschäft Polska Chata am Marktplatz von Wisbech bedient Sylwia Kobieska weiterhin ihre Landsleute. Sie sei schockiert gewesen, dass drei Viertel der Einheimischen für Brexit gestimmt hätten. Dabei sei sie seit elf Jahren in Wisbech. Sie erinnert sich an die ersten Reaktionen der Austrittsbefürworter: Manche seien überzeugt gewesen, dass alle Einwanderer sogleich ihre Sachen packen und heimkehren müssten.
Das habe sie nicht gewusst. Sie nahm das Plebiszit persönlich und zog die Konsequenzen: Sie hatte eigentlich im August ein eigenes Haus kaufen wollen, doch das hätte ja bedeutet, noch für viele Jahre in Wisbech zu bleiben. Sie gehöre nicht hierher, und so trat sie vom Kaufvertrag zurück, übergab die Metzgerei ihrer 19-jährigen Tochter Emilia und kehrt in den nächsten zwei Jahren nach Polen zurück, um ihre dreijährige Tochter dort einzuschulen.