Eigentlich hat Sylvie Courselle kaum Zeit, mit der Journalistin zu sprechen – ein Weinhändler hat sich angekündigt, der für einen großen britischen Kunden arbeitet. Ein wichtiger Termin für die Winzerin von Château Thieuley, rund 30 Kilometer südöstlich von Bordeaux gelegen. Sie will schauen, dass sie noch möglichst viel ihrer Rot- und Weißweine loswird, bevor der Brexit die Dinge erschwert. Doch der Händler hat Verspätung und Courselle kann noch kurz die großen Weintanks und die malerisch aufgereihten Fässer ihres Familienbetriebs zeigen.
Händler haben wenig Einblick, was nach dem Brexit passiert
Rund zehn Prozent der Produktion aus ihren 80 Hektar Weinbergen, ungefähr 15.000 Flaschen jährlich, gingen zuletzt nach Großbritannien. Jetzt bemerkt Courselle, die das Weingut zusammen mit ihrer Schwester betreibt, dass ihre britischen Kunden nervös werden.
"Ich glaube, es wird noch einige Bestellungen vor dem Brexit geben, um nicht allzu sehr von dem wahrscheinlich schlechten Tauschkurs betroffen zu sein. Die Zölle wurden bisher nicht verhandelt, selbst die Engländer wissen nicht genau, ob und wie sie eingeführt werden. Wir haben sehr wenig Einblick, was in nächster Zeit passieren wird."
Schon in den vergangenen Jahren haben billigere Weine aus Australien, Neuseeland, Chile oder Argentinien in Großbritannien den französischen Wein zurückgedrängt – auch bei Courselle ist der Anteil der britischen Kunden zurückgegangen; sie versucht längst, neue Kunden anderswo zu gewinnen. Dennoch will sie die Briten nicht ganz aufgeben:
"Der britische Markt ist ein sehr reifer Markt, die Leute sind große Kenner und Verkoster. Unsere Weine müssen auf jeden Fall weiterhin auf diesen Markt kommen, der für Bordeaux-Weine so wichtig ist, und von diesen Kunden getrunken werden. Wir werden uns von diesem Markt nicht abwenden, sondern Kompromisse finden."
Denn im Vergleich beispielsweise zu Deutschland sei man in Großbritannien doch eher bereit, ein bisschen mehr für eine Flasche guten Wein zu zahlen – und Weißweine, die Courselle in für die Gegend unüblichem Maß produziert, sind bei den Briten eben besonders beliebt.
Gesunkene Umsätze und kommende Unsicherheiten
Jetzt ist der Weinhändler angekommen und wartet auf die Verkostung – er will sich lieber nicht im Interview zum Brexit äußern, alles sei noch zu unklar, ihm schwant jedoch nichts Gutes. Sylvie Courselle sagt zum Abschied noch:
"Ich mache mir grundsätzlich Sorgen um den internationalen und nationalen Kontext, das ist nicht nur der Brexit. Die Unsicherheiten des Jahres 2019 bringen viele Fragen mit sich. Wir haben schon einen Abfall des Alkoholkonsums Ende 2018 beobachtet, es wurde wenig Wein außer Haus getrunken, das haben wir schon gespürt. Deswegen sind wir nicht sehr optimistisch für 2019 - aber wir bemühen uns, damit es wieder aufwärtsgeht."
Von gesunkenen Verkaufszahlen und kommenden Unsicherheiten kann auch Dominique Orain erzählen.
Sie betreibt die Boutique Tea Cosy in der Altstadt von Bordeaux – ein kleines Lädchen voller Teekannen, Geschirr, Stoffe und Gadgets aus Großbritannien. Schon als Kind hat die zierliche Frau ihre Liebe zur großen Insel entdeckt und daraus vor 28 Jahren mit der Eröffnung der Boutique ihren Beruf gemacht. Viele Veränderungen hat sie in dieser Zeit erlebt: Während sie früher noch in England in großen, staubigen Lagerräumen das schönste Geschirr für ihre französischen Kunden aussuchte, kann sie heute die Modelle selbst entwerfen und bestellen. Einige Firmen haben die Produktion vor Jahren in Billiglohnländer ausgelagert. Manche haben ihre Fabriken aber - der Qualität wegen – schon wieder zurück nach Großbritannien geholt.
Und jetzt steht wieder eine große Umstellung an: der Brexit. Dominique Orain erwartet, das vieles komplizierter wird:
"Weniger zügige Verhandlungen, mehr Verwaltungsaufgaben, vor allem die Zollformalitäten. Selbst wenn der Brexit zum 30. März passieren sollte, wird kaum alles bereit sein, das ist unmöglich. Es kann sein, dass es einige Stichprobenkontrollen gibt, die es zuvor nicht gab. Vermutlich ist das zunächst alles."
"Es ist unmöglich, dass es keine Verzögerungen gibt"
Orain fährt häufiger selbst nach Großbritannien, um ihre Ware dort auszusuchen und zumindest einen Teil davon in ihrem Auto mitzunehmen. Das dürfte ab dem 30. März wegen der Einfuhrkontrollen komplizierter werden – und teurer, wenn gar kein Handelsabkommen geschlossen wird und tatsächlich Zölle auf alle Waren anfallen. Über deren Höhe weiß Orain noch gar nichts. Außerdem rechnet sie mit Staus und Lieferverzögerungen, selbst wenn die Hafenbetreiber behaupten, das ließe sich vermeiden:
"Nein, das glaube ich überhaupt nicht, das ist unmöglich. Man hat schon den Güterverkehr zwischen Großbritannien und Frankreich gemessen, es ist enorm, was hier ankommt, sei es in Calais oder in den anderen Häfen. Es ist unmöglich, dass es keine Verzögerungen gibt. Das glaube ich keine Sekunde."
Der Brexit ist aber nicht die einzige Unsicherheit, mit der Orain zu kämpfen hat. Seit Mitte November schließt sie ihren Laden samstags früher, aus Angst vor Beschädigungen durch die Gelbwesten, die wöchentlich in Bordeaux demonstrieren. Anfangs hatte sie große Sorge, dass ihre Schaufensterscheiben eingeschlagen werden, passiert ist noch nichts. Aber Orain merkt schon, dass samstags auch vor der Demonstration einfach weniger los ist.
"Im Dezember hatten wir zwölf Prozent weniger Umsatz – das ist viel, weil das ein wichtiger Verkaufsmonat ist. Ansonsten kann ich es noch nicht einschätzen – die Auswirkungen werden das ganze Jahr über noch zu bemerken sein, denke ich."
Noch macht sie weiter und versucht, nicht allzu pessimistisch zu sein – aber irgendwann in ein paar Jahren will Orain ihre Boutique aufgeben und viel wandern gehen, am liebsten in Schottland. Daran wird sie auch der Brexit nicht hindern.