John Nichols steht an der Hafenmole von Ramsgate und blickt auf gut ein Dutzend Fischkutter, die wegen des windigen Wetters an diesem Tag nicht auslaufen können. Mehr als vier Jahrzehnte lang ist der 65-Jährige als Fischer in den Gewässern vor der britischen Küste unterwegs gewesen, seit einem Jahr ist er im Ruhestand, regt sich aber immer noch über die Fischereipolitik der EU auf.
Die EU nennt John eine Diktatur, die mit ihren Fangquoten sein Geschäft kaputt gemacht habe. John steht der Vereinigung der Fischer in diesem Teil von Kent vor und bleibt ein leidenschaftlicher Kämpfer für den Brexit. Er fordert, dass künftig wieder allein London und nicht mehr Brüssel die Spielregeln für die Fischerei festlegt. Dass die Premierministerin auch raus will aus dem EU-Binnenmarkt und aus der Zollunion, findet er gut. Theresa May, lobt John, mache einen klasse Job in einer extrem schwierigen Zeit.
Große Mehrheit für den Brexit
Die Fahrt von London nach Ramsgate mit dem Hochgeschwindigkeitszug dauert nur knapp 80 Minuten und doch liegen Welten zwischen der Millionen-Metropole und der 40.000-Einwohner-Stadt hier im südöstlichen Zipfel Englands. "Seit Jahrzehnten geht es in Ramsgate nur bergab", klagt Linda, die gerade in der kleinen Fußgängerzone unterwegs ist. Es gebe heute mehr Obdachlose und mehr Trinker auf der Straße als früher.
Der Stadtrat von Ramsgate ist der erste und bislang einzige in Großbritannien, in dem UKIP die Mehrheit stellt. 2015 wollte Nigel Farage, damals Chef der Anti-EU-Partei, hier ein Unterhaus-Mandat gewinnen, scheiterte jedoch knapp an einem ebenso EU-feindlichen Konservativen. Etwa 65 Prozent der Wähler in dieser Region haben für den Brexit gestimmt.
So wie Jean, die auf einem Supermarkt-Parkplatz gerade Einkaufstüten in ihrem Auto verstaut. "Schlimmer kann es für Ramsgate doch nicht werden", sagt die Rentnerin, "sondern nur besser". Keine Direktiven mehr aus Brüssel, endlich wieder Selbstbestimmung und nicht mehr so viele Ausländer, darauf freut sich Jean. Großbritannien sei nun mal nur eine kleine Insel.
"Wir sind in der Vergangenheit allein klargekommen, warum nicht jetzt auch wieder?" fragt Jean, die sich wegen des bevorstehenden EU-Austritts keinerlei Sorgen macht.
Viele Geschäfte und Restaurants bleiben leer
Oberhalb der Klippen von Ramsgate liegt das kleine, aber feine "Albion House Hotel", dessen Restaurant an diesem Mittag gut gefüllt ist. Ende 2014 haben der Ingenieur Ben Irvine und seine Frau Emma, eine Architektin, sich ins Hotelfach gewagt. Ben selbst war und ist gegen den Brexit, bedauert ihn auch nach wie vor, aber er bleibt Optimist: "Es ist, wie es ist", sagt Ben, "wir können nichts daran ändern". Als Hotelier muss er irgendwie zurechtkommen.
Im 19. Jahrhundert ist Ramsgate eines der beliebtesten englischen Seebäder, das sogar die spätere Königin Viktoria anlockt. Heute jedoch stehen etliche Geschäfte und Restaurants in der Innenstadt leer, und viele Straßenzüge wirken wenig einladend.
Zurück zum Hafen, wo bei guter Sicht die französische Küste zu erkennen ist, zurück zu John Nichols. Der ehemalige Fischer träumt von einer wunderbaren Welt nach dem Brexit. Großbritannien sei eine selbstbewusste Inselnation, sagt er, geografisch abgeschnitten von Europa, vollständig von Wasser umgeben. Und das gefällt ihm. Ich bin ein guter Engländer, sagt der Brexit-Vorkämpfer John aus Ramsgate zum Abschied noch stolz, aber ein schlechter Europäer.