Kate Maleike: Großbritannien hat heute Mittag seinen Austrittsantrag offiziell gestellt, und damit beginnt jetzt das große Verhandeln und die Frage, wie die Beziehungen künftig weitergeführt werden können. Die Achse Deutschland-Großbritannien ist dabei die stärkste, wenn es um die Bereiche Wissenschaft und Hochschule geht, und besonders die, die im Austausch stehen, fragen sich natürlich nun, wie es weitergehen kann, wenn das gemeinsame EU-Dach wegfällt. 14.000 Studierende aus Deutschland sind nämlich gerade an britischen Hochschulen, dazu viele Wissenschaftler und Praktikanten. Doktor Georg Krawietz leitet das Büro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in London. Hallo!
Georg Krawietz: Einen wunderschönen guten Tag nach Köln!
Maleike: Was ist denn das für ein Tag für die deutsch-britischen Wissenschaftsbeziehungen? Ist der so wunderschön, wie Sie gerade gesagt haben?
Krawietz: Der Himmel ist hier momentan bewölkt, und ich würde mal sagen, das ist auch das Stimmungsbild der direkt von dem Thema Betroffenen an britischen Hochschulen und die britische Wissenschaft betrifft. Ich denke, nach dem 24. Juni, als das Referendumsergebnis feststand, ist der heutige 29. März sicherlich kein Tag, dem die Betreffenden an den entsprechenden Institutionen mit Freude entgegen sehen, nein.
Maleike: Wo wird Ihrer Ansicht nach denn der Brexit diese Beziehungen, also speziell die deutsch-britischen, am meisten treffen, am empfindlichsten?
"Es ist ungeklärt, ob Erasmus weiter bestehen bleibt"
Krawietz: Es ist so, dass britische und deutsche Universitäten in verschiedenen Bereichen sehr eng kooperieren. Wenn man sich etwa die Zahlen von Horizon 2020 anschaut, sind beide Länder …
Maleike: Also dem Europäischen Wissenschaftsprogramm …
Krawietz: Genau. Dann sind etwa 4.750, 4.800 Programme federführend von Hochschulen in beiden Ländern geführt. Wenn man die Zahl der European research grants sich anschaut, dann steht Großbritannien sogar mit 700, 200 Einheiten vor Deutschland, das etwa 500 grants bekommen hat, gefolgt von anderen europäischen Ländern, und auch die Erasmus-Zahlen muss man natürlich berücksichtigen, die in Großbritannien in den letzten Jahren erfreulicherweise gestiegen sind. Wir haben also eine höhere Bereitschaft von britischen Studierenden, ins europäische oder ins Erasmus-Ausland zu gehen. Es ist momentan ungeklärt, ob Erasmus in der derzeitigen Form oder anderer Form weiter bestehen bleibt – eine von vielen Unsicherheiten, mit denen man momentan hier umzugehen lernt. Das wird sich sicherlich auch noch fortsetzen.
Maleike: Welche Konsequenzen hat denn diese Entscheidung nun zu Beispiel für einen deutschen Studenten, der, sagen wir mal, gerade im zweiten Semester in Großbritannien studiert?
Krawietz: Wer im zweiten Semester in Großbritannien studiert, hat im Herbst 2016 angefangen, und diese Gruppe wird weiterhin die sogenannten home fees, das heißt also die inländischen fees, die identisch sind mit den fees, die auch ein EU-Studierender zu zahlen hat, zahlen. Die britische Regierung hat angekündigt im Herbst vergangenen Jahres, dass diese Regelung für EU-Ausländer, und damit eben auch für Deutsche, auch für diejenigen gilt, die ab 2017 noch mit einem Programm anfangen, was im Bachelorbereich in der Regel dreijährig ist, diese Regelung wird also bis 2020 gehen, und damit voraussichtlich etwa ein bis anderthalb Jahre länger als es das derzeitige Austrittsdatum Frühjahr 2019 nahelegt. Für diejenigen im Masterbereich stellt sich das Problem nicht ganz so dramatisch, weil 90 Prozent und mehr der Programme einjährig sind. Das heißt, diejenigen, die 2016 angefangen haben oder 2017 anfangen werden, sind noch innerhalb des Zeitraums, in dem das UK weiterhin Mitglied der EU ist, und damit werden sich keine Änderungen ergeben.
Maleike: Gucken wir mal in die Zukunft und stellen wir die Frage, wird Großbritannien aus Erasmus rausfliegen, was denken Sie?
"30 Prozent aller Forscherinnen und Forscher sind Ausländer"
Krawietz: Ich wage da keine Prognose. Ich weiß nur, dass es für alle Beteiligten nicht das Ziel ist, es dazu kommen zu lassen, denn das würde bedeuten, dass auch weniger Möglichkeiten für europäische Studierende, im UK einen Aufenthalt an einer Hochschule wahrzunehmen, das würde reduziert werden, und das würde genauso die ohnehin schon nicht sehr große Neigung britischer Studierender, in Europa zu studieren, aber sie ist eben gestiegen in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren. Auch beides wäre sozusagen negativ davon betroffen, das will keiner.
Maleike: Von deutscher Seite wird ja auch immer betont, dass ganz wichtig ist, dass die Mobilität der Wissenschaftler frei bleibt. Wo sind da Gespräche, können Sie sagen, ob das in Angriff genommen wird?
Krawietz: Migration war – das kann man sicherlich sagen – das Thema in der Referendumsphase und hat sicherlich auch mit zu dem Ergebnis, dass eben 52 Prozent für den Austritt waren, beigetragen. Weniger geht es da in der allgemeinen Wahrnehmung um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und vielleicht auch nicht um Studierende, sondern um Arbeitnehmer ganz generell. Tatsache ist aber eben auch, dass rund 30 Prozent aller Forscherinnen und Forscher an britischen Universitäten Ausländer sind, also aus der EU und auch darüber hinaus. Es ist absehbar, dass britische Universitäten – und das tun sie auch schon seit einiger Zeit – sich sehr dafür einsetzen werden, dass die Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen für diesen Personenkreis sich nicht erschweren, denn der internationale Ruf liegt sicherlich auch an der wissenschaftlichen Exzellenz der britischen Universitäten, die aber wiederum auch dadurch gefördert wird, dass es so viele ausländische Forscherinnen und Forscher hier gibt.
Maleike: Damit haben Sie die Stimmungen an den Unis schon angesprochen. Was hören Sie von da? Also sind zum Beispiel deutsche Wissenschaftler verunsichert und orientieren sich vielleicht eher auch in andere Länder, weil, ich meine, Sie haben es ja gerade gesagt, die Exzellenz der britischen Universitäten, des Forschungsstandortes Großbritannien ist ja unumstritten?
"Man setzt darauf, dass Pragmatismus weiterhin das Ziel ist"
Krawietz: Es ist schwierig, da ein Gesamtbild momentan zu erkennen. Es gibt die sogenannte anecdotal evidence, die man von verschiedenen Institutionen hört, dass es einerseits Interessensbekundungen europäischer Bürgerinnen und Bürger gibt, die an Hochschulen tätig sind, das Land wieder zu verlassen, es gibt Bericht darüber, dass, wenn Stellen ausgeschrieben wurden international, es deutlich weniger Bewerbungen gegeben hat aus dem EU-Raum, weil einfach die Verbleibsperspektive zumindest über zwei Jahre hinaus nicht gegeben ist. Das ist aber schwierig, in Zahlen zu fassen. Der DAAD hat vor allen Dingen in der Phase nach dem Referendumsentscheid letztes Jahr im Sommer einige Anfragen bekommen. Momentan hält es sich etwas zurück. Ich denke, man setzt darauf, dass Pragmatismus hier weiterhin sozusagen das Ziel ist, aber die politische Stimmungslage im Land ist momentan so, dass man eher von Ideologien sprechen kann als von Pragmatismus, und das nehmen natürlich auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier im Land wahr.
Maleike: Herr Krawietz, in der "Ode an die Freude", die wir vorhin gehört haben, also der Europahymne, heißt es an einer Stelle, "deine Zauber binden weiter, was die Mode streng geteilt". Was wird aus Ihrer Sicht die stärkste Verbindung zwischen Deutschland und Großbritannien über den Brexit hinaus bleiben – der Studierendenaustausch?
Krawietz: Ich hoffe das sehr, und ich hoffe vor allen Dingen auch darauf, dass die Wissenschaftskooperationen zwischen beiden Ländern, die getragen wird von den jeweiligen Institutionen in beiden Ländern, weiter voranschreitet, aber, wie bereits eingangs erwähnt, das sind Dinge, die man nur im Kontext der größeren politischen Rahmenbedingungen sehen kann, und von denen weiß man momentan nicht, wie sie in etwa zwei Jahren, wenn es dann zum Austritt kommen wird, aussehen werden.
Maleike: Ganz kurz noch: Sie haben gesagt, Präsenz ist ganz, ganz wichtig in Zukunft. Wie sieht es aus mit dem DAAD? Wird Ihr Büro in London bleiben?
"Unser Interesse ist es, den Austausch auf dem Niveau zu halten"
Krawietz: Davon ist auszugehen, ja. Das ist das erste Büro, das 1952 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde. Gott sei Dank sind viele unserer Programme nicht an die Mitgliedschaft in europäischen oder sonstigen politischen, internationalen Vereinigungen eben gebunden. Unser Interesse ist es, den Austausch weiterhin auf dem Niveau zu halten. Ob wir ihn intensivieren können, muss man eben schauen, aber definitiv ist momentan nicht geplant, das Londoner Büro, das auch für die Republik Irland zuständig ist, zu schließen. Das halte ich eigentlich für ausgeschlossen.
Maleike: Doktor Georg Krawietz vom Deutschen Akademischen Austauschdienst war das aus London, und wir haben gesprochen über den Brexit und die Folgen für die deutsch-britischen Beziehungen in Hochschule und Wissenschaft. Vielen Dank!
Krawietz: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.