Trotz des enormen politischen Drucks, der derzeit auf den Schultern von Theresa May lastet, gibt sich die britische Premierministerin beim Streit um den Brexit an einem Punkt weiter unnachgiebig. Ein neuerliches Referendum, also eine zweite Volksbefragung darüber, ob Großbritannien die EU verlassen soll oder nicht, lehnt sie kategorisch ab. Das betonte May selbst nach ihrer historischen Niederlage im Parlament, das in der letzten Woche mit deutlicher Mehrheit den mit der EU ausgehandelten Scheidungsvertrag hatte durchfallen lassen:
"Das britische Volk erwartet weiterhin von uns, dass wir beim Brexit liefern. Ich glaube, dass gerade ich der Aufforderung des britischen Volkes nachkommen muss, dass wir die EU verlassen. Und daran will ich mich halten."
Alles andere, so heißt es immer wieder zur Begründung, würde zu einer schweren Vertrauenskrise bei den Wählern führen, hatten die sich doch 2016 knapp für den Brexit ausgesprochen. Doch die Befürworter eines zweiten Referendums wollen dies nicht gelten lassen – Rosie und Peter etwa, die letzte Woche auch an der Protestveranstaltung von People's vote, einer Graswurzelbewegung für eine zweite Befragung, teilgenommen hatten:
Regierung verweist auf technische Probleme
"Normalerweise sollten über den Brexit die Parlamentarier entscheiden. Aber weil die dazu nicht in der Lage sind, sollte es das Volk machen". "Wir haben jetzt eine wirkliche Entscheidungsgrundlage: Wollen wir den Deal von Frau May, wollen wir einen harten Brexit oder sagen wir – war eine schlechte Idee, wir bleiben?"
Ähnlich sehen das auch viele Labour-Abgeordnete; 71 haben sich öffentlich für ein zweites Referendum ausgesprochen. Doch die Regierung verweist neben den politischen Argumenten gegen eine zweite Volksbefragung auch auf technische Probleme – ein Jahr würde es dauern, bis ein solches Referendum durchgeführt werden könnte. Dem widerspricht der Verfassungsrechtler vom University College London der Universität London, Robert Hazell mit Verweis auf eine neue Studie:
"Ein Referendum wäre, ab der Entscheidung der Regierung dafür, innerhalb von fünf oder sechs Monaten durchführbar. Drei Monate würde wohl die Verabschiedung der notwendigen Gesetze im Parlament dauern, die Wahlkommission müsste dann die entsprechende Befragung ausarbeiten und die eigentliche Kampagne würde dann – das wäre die zweite Periode, zehn bis zwölf Wochen benötigen".
Die Frage nach der Abstimmungs-Frage
Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Da ist zum einen der knappe Zeitplan – schon Ende Mai finden die EU-Wahlen statt, an denen Großbritannien nicht mehr teilnehmen soll. Würde aber der eigentliche Brexit-Termin Ende März für das Referendum verschoben, müsste eine Lösung dafür gefunden werden, dass Großbritannien trotz formaler EU-Mitgliedschaft nicht mehr an der Wahlen teilnimmt. Aber, so der Rechtsexperte Robert Hazell, es gebe auch noch zwei andere große Probleme bei der Durchführung eines Referendums:
"Das eine ist, es muss so schnell wie möglich durchgeführt werden. Aber wenn es zu schnell geht, dann werden die Menschen sagen, es sei nicht fair gewesen und dann würde die Legitimität des Ergebnisses in Frage gestellt werden. Und der nächste Punkt ist, über welche Fragen eigentlich abgestimmt werden soll".
Robert Hazell schlägt ebenfalls drei Fragen vor: Annahme des ausgehandelten Deals mit der EU; Scheidung ganz ohne Vertrag, also ein harter Brexit oder aber Verbleib in der EU? Doch ungeachtet aller technischen Überlegungen: derzeit gibt es im britischen Unterhaus für ein zweites Referendum keine Mehrheiten.
Wenn überhaupt, das räumt auch Robert Hazell ein, müsste der politische Druck noch erheblich zunehmen. Erst unmittelbar vor einem drohenden No-Deal-Brexit könnte auch Theresa May ihre Haltung überdenken und sich für eine zweite Volksbefragung stark machen. Dann aber würden die technischen Probleme bei der Umsetzung des Referendums erst beginnen.