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Brexit ohne Dominoeffekt
"Diese Art Unsicherheit wollen Europaskeptiker nicht"

Großbritannien und die EU sind enger miteinander verbunden als vorher absehbar war. Der Austritt sei aufwändig und damit kein Ansporn für EU-Gegner, sagte Josef Janning vom Thinktank ECFR im Dlf. Die neue Linie populistischer Parteien sei, in der EU zu bleiben und die vereinbarten Regeln zu brechen.

Josef Janning im Gespräch mit Katrin Michaelsen |
    Die Flaggen der Mitgliedsstaaten der EU sind zusammen mit der EU-Flagge auf einem Tisch im Europäischen Informationszentrum aufgestellt, fotografiert am 08.02.2017 in Erfurt (Thüringen).
    Flaggen der EU (picture-alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Katrin Michaelsen: Die Brexit-Verhandlungen bleiben also zäh, und sie zeigen: Der Austritt gestaltet sich schwieriger als gedacht. Und die Jubelstimmung der Brexit-Befürworter in Großbritannien unmittelbar nach dem Referendum im Juni 2016, die ist inzwischen mehr oder weniger verflogen. Stattdessen ist die Rede von "Rosinenpicken" und von "tickenden Uhren". Still geworden ist es auch um die Anti-Europäer, die das Brexit-Votum als den Beginn einer Trendwende in der EU gesehen haben. Der Nexit, der Frexit, oder in Tschechien auch Czexit - an Wortspielen herrschte 2016 kein Mangel, und die Sorge vor einem Domino-Effekt in Europa war groß. Eingetreten ist der bis heute nicht. Was auch daran liegt, dass weder Marine Le Pen noch Geert Wilders die Regierungsgeschäfte in ihren Ländern übernommen haben. Aber ist das der einzige Grund?
    Darüber kann ich nun mit Josef Janning sprechen von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Herr Janning, die Brexit-Verhandlungen treten bislang auf der Stelle. Liefern sie all jenen, die auch an einen Austritt gedacht haben, ein abschreckendes Beispiel?
    Josef Janning: Ja, Frau Michaelsen, das tun sie in der Tat. Ich glaube, dass sich viele, die seinerzeit den Ausgang des Referendums bejubelt haben, nicht vorgestellt haben, mit wie vielen Fäden und Vereinbarungen, Abkommen, Verwaltungsregelungen in Wirklichkeit mit den anderen Partnern in der EU verbunden ist. Und man findet das erst im Nachhinein heraus, und das ist kein Ansporn für diejenigen, die in anderen Staaten der EU unzufrieden sind mit der Lage der Europäischen Union oder dem Nutzen, den ihr Land vielleicht aus der EU zieht. Diese Art Aufwand, diese Art Kosten und diese Art Unsicherheit wollen auch europaskeptische Niederländer nicht.
    Das populistische Argument der Entmündigung zieht nicht mehr
    Michaelsen: Ist das denn der einzige Grund der Europakritiker? Denn Marine Le Pen, die auch mal Madame Frexit genannt werden wollte, die hat sich ja recht schnell wieder von diesen Plänen verabschiedet.
    Janning: Marine Le Pen hat auch erfahren müssen, dass ihre Idee, aus dem Euro auszutreten, bei den Franzosen nicht angekommen ist. Sie hat ja ihre große Chance krachend verspielt gegen einen Neuling an der Spitze einer neu geformten Bewegung, der mit einem dezidierten Europa-Plädoyer angetreten ist. Also, es zeigt sich, dass allein das populistische Argument, wir werden hier entmündigt durch eine ungewählte technokratische Bürokratie, die man vielleicht auf den Marktplätzen mit Erfolg äußern kann, beim Wähler am Ende doch nicht so zieht. Ich glaube, die Leute sind in der Gesamtheit weit weniger euroskeptisch, als sich das in der Stimmungslage auf den Plätzen manchmal artikuliert.
    Michaelsen: Angenommen, die EU und Großbritannien würden es jetzt nicht schaffen, sich auf einen geordneten Brexit zu einigen. Dann ständen der EU ja unsichere Zeiten bevor. Würde das den Rechtspopulisten politisch nicht in die Hände spielen? Womit rechnen Sie?
    Janning: Ich glaube, nicht. Denn in diesem Fall eines ungeordneten, eines nicht auf einer vertraglichen Basis erfolgten Brexit, entstünden erhebliche Lasten, und zwar für beide Seiten, für die Briten genauso wie für die Europäer. Und ich bin nicht der Auffassung, dass es selbst den klugen und versierten britischen Spin-Doctors gelingen würde, diese Schuld ausschließlich bei Brüssel abzuladen. Sondern das wird man dann erkennen, dass hierfür ein politisches Spiel für eine Art Risikokalkül innerhalb der konservativen Partei erhebliche Werte, Arbeitsplätze, Wohlstand geopfert wird und Chaos die Folge ist. Und ich glaube, das wird eine doch ziemlich abschreckende Wirkung entfalten.
    Linie der Populisten: "Wir geben nicht auf, wir gehen nicht weg, wir brechen die Regeln."
    Michaelsen: Sie sagen, mit einem EU-Ausstiegsszenario lässt sich unter europäischen Rechtspopulisten politisch nicht mehr punkten. Womit versuchen sie es denn momentan stattdessen, auch mit Blick auf die Europawahl im nächsten Jahr?
    Janning: Momentan ist die Schlagkraft der Populisten auf der Linie, zu sagen, wir werden es Brüssel zeigen. Wir geben nicht auf, wir gehen nicht weg, sondern wir brechen die Regeln, wir lassen uns nichts vorschreiben. Das ist die Linie, die etwa die italienische Regierung verfolgt, zumindest in der öffentlichen Begründung nach innen, weswegen sie in der Flüchtlingsfrage, aber auch etwa in der aktuellen Frage des italienischen Haushaltsentwurfs so kompromisslos vorgeht. Die Linie ist, wir lassen uns von Brüssel nicht einschüchtern. Wir sind nicht wie die Briten, die kneifen und gehen, sondern wir bleiben und wir verändern den Laden.
    "Orbán und Kaczyński wollen ein Europa der nationalen Souveränität."
    Michaelsen: Was meinen sie, sie verändern den Laden? Wenn sie meinen, ein anderes Europa statt eines, aus dem man austreten muss?
    Janning: Nun, Viktor Orbán und sein polnisches Pendant, Jaroslaw Kaczyński, haben ein Europa vor Augen, das vor allen Dingen auf dem Respekt vor der nationalen Souveränität aufgebaut ist. Sie wollen eines der sozusagen informellen Grundgesetze der europäischen Integration, nämlich Souveränität im Sinne von faktischer Handlungsfähigkeit dadurch zu sichern und zu erwerben, dass man die formale Souveränität, die bei den Staaten liegt, in der EU bündelt, dieses Grundgesetz wollen sie aushebeln, indem sie eben sagen, nein, diese nationale Souveränität ist unteilbar, und sie gehört in die Hände der Nation. Damit betreiben sie gleichzeitig sozusagen eine Art Demokratie-Argument, indem sie sagen, nur dann, wenn der Souverän, nämlich das Volk, den vollen Umfang der Souveränität selbst in Händen hält und dies dann in die Hände seiner Regierung gibt, dann ist es wirklich demokratisch, dann ist es wirklich Herr seiner Dinge. Das ist sozusagen die konzeptionelle Kampflinie, die sie verfolgen. Eine, die sie in den allermeisten populistischen Bewegungen in der Europäischen Union, egal, wo Sie hingucken, wiederfinden werden. Das ist das verbindende Element. Und auf diese Auseinandersetzung muss man sich einstellen. In diesem Sinne wird ja jede Rede, die Donald Trump hält, wie zuletzt bei den Vereinten Nationen, wo er genau diesen Grundsatz verteidigt, nämlich dass die natürliche Ordnung der Dinge die sei, der Kooperation und des Konflikts zwischen souveränen Nationen, zwischen souveränen Staaten, mit Freude begrüßt. Das ist gewissermaßen Manna für Orbán und Kaczyński und ihre Idee einer Transformation Europas.
    Michaelsen: Finden Sie da auf europäischer Ebene Mitstreiter für diese Kampfansage?
    Janning: Unter den europäischen Populisten ja. Dies ist eine Linie, die auch Nationalisten mitgehen können, die ja ansonsten sich schwer tun würden, tiefe internationale Bindungen einzugehen, weil sie ja immer gewissermaßen das Meiste und das Beste für ihr eigenes Land wollen. Aber auf dieser Linie, nämlich einem europäischen Gebilde zu bestreiten, dass es Handlungsfähigkeit für seine Mitglieder bündeln dürfe, können alle mitgehen.
    Michaelsen: Haben Sie vielen Dank! Das war Josef Janning von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.