"Wenn wir unsere Grenzen für Produkte aus allen EU-Ländern vollständig öffnen müssten, dann wären wir raus!"
Ein norwegischer Milchbauer in einer Reportage des britischen Fernsehens. Können wir etwas lernen von den Norwegern, das fragen sich vor allem die Briten, die nach Osten schielen über die Nordsee und sich für die vermeintlichen Vorteile des "norwegischen Modells" interessieren. Aber in dieser Reportage, wie in vielen anderen Berichten norwegischer Medien auch, stellt sich schnell heraus: So einfach ist das nicht, dieses Draußen sein, und trotzdem ein bisschen Dazugehören. Wer von der EU profitieren, oder im Fall des Brexits "weiter profitieren" möchte, der muss auch in Zukunft auf Brüssel hören. Die Norweger können ein Lied davon singen. Sie haben in rund zwei Jahrzehnten EU-Anlehnung etwa 10.000 Brüsseler Verordnungen übernommen, sagt Ex-Europaminister Vidar Helgesen. Das "norwegische Modell" bedeutet für uns:
"Das wir im Schnitt täglich fünf EU-Gesetze importieren. Quer durch alle Ressorts. Wir machen das, weil wir uns im Binnenmarkt bewegen wollen. Das ist eine große wirtschaftliche Chance für uns, die wir auslassen würden, wenn wir die Gesetze nicht übernähmen."
Ein heikles Thema. Die Norweger sind nun einmal nicht komplett nicht in der EU, denn es geht nicht ohne sie, ohne die EU, vor allem wirtschaftlich nicht. Etwa 80 Prozent der Waren werden in EU-Staaten exportiert, mehr als die Hälfte aller Importe kommen von dort – und damit auch viele Regelungen, sagte Verteidigungsministerin Ine Erikson-Söreide jetzt in einem langen Interview mit dem US-Sender CNN:
"Wir übernehmen Dreiviertel von dem, was Brüssel beschließt. Allein deshalb ist uns die britische Stimme in der EU so wichtig. Denn wir haben oft ähnliche Ansichten. Wir zahlen übrigens auch, aber können nicht mitreden."
Einwanderungsproblematik
Auch nicht beim zweiten ganz heißen Eisen in der gegenwärtigen Brexit-Debatte, der Einwanderungsproblematik. Laut Erikson-Söreide öffnet der Nicht-Mitglied-Status Norwegens dem Land da keinen Sonderweg.
"Nein, im Gegenteil. Wir haben Zugang zum Binnenmarkt, also gilt auch hier die Reisefreiheit. Allein 2015 haben wir so mehr als 30.000 Flüchtlinge aufgenommen."
Relativ zur Gesamtbevölkerung waren das sogar mehr als in Großbritannien. Auch der norwegische Immigrationsexperte Sylo Taraku warnt die Briten: "Wie groß euer Flüchtlingsproblem auch ist, oder empfunden wird, der Brexit wird es nicht lösen."
"Ob in- oder außerhalb der EU: Ihr werdet Einwanderung nicht wirkungsvoller kontrollieren."
Briten und Norweger sind in der NATO
Und noch ein Punkt: die Sicherheit. Klar, die Briten sind in der NATO, wie die Norweger. Und trotzdem hat Ine Erikson-Söreide hier ein weiteres Argument gegen den britischen EU-Austritt. Sie hält ihn sprichwörtlich für gefährlich:
"Als Verteidigungsministerin möchte ich sagen, dass wir Norweger die EU immer mehr auch als wichtigen Akteur in der Sicherheitspolitik sehen. In einer Zeit, in der es auf Einigkeit und Zusammenhalt ankommt, ist es wohl wichtiger als jemals zuvor, sich gemeinsam Schulter an Schulter den Herausforderungen zu stellen, die auf Europa zukommen."
Unterm Strich gibt es also eigentlich mehr Argumente für eine norwegische EU-Mitgliedschaft. Aber die ist nach dem doppelten "Nein" bei zwei Referenden nicht in Sicht und noch kann sich das reiche Norwegen den Sonderstatus leisten.