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Brexit
"Theresa May mäandert sich von Krise zu Krise"

Theresa Mays Stuhl wackle schon seit der Neuwahl im letzten Jahr, sagte Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Dlf. Aber ihre Gegner hätten nicht genug Stimmen, um sie zu stürzen. Jetzt käme es darauf an, welche Einigung die Premierministerin beim nächsten Brexit-Gipfel erreiche.

Nicolai von Ondarza im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Die britische Premierministerin Theresa May beim EU-Gipfel in Salzburg (20.9.2018).
    Die britische Premierministerin Theresa May steht unter großem Druck (AP / Matthias Schrader)
    Sarah Zerback: Der Brexit spaltet, soviel steht schon mal fest. Die EU, die Briten selbst auch, Regierung und Opposition, die seit Monaten darum ringen, wie der Austritt aus der EU für Großbritannien am wenigsten schmerzhaft gestaltet werden kann. Für ihre Pläne holt sich Premierministerin Theresa May immer wieder Körbe in Brüssel, aber auch zum Beispiel von ihrem innerparteilichen Gegenspieler Boris Johnson, dem ehemaligen Außenminister. Da musste sie sich unlängst sogar wortwörtlich den Krieg erklären lassen. Unter welchem Druck sie steht, das zeigt sich gerade wieder wie unter einem Brennglas beim Parteitag ihrer konservativen Tories, und da können wir jetzt mal in die Analyse gehen mit Nicolai von Ondarza, Großbritannien-Experte und Leiter der Forschungsgruppe Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen!
    Nicolai von Ondarza: Guten Morgen!
    Zerback: Theresa May, so hat sie es angekündigt, will die Reihen hinter sich schließen auf diesem Parteitag in Sachen Brexit. Reines Wunschdenken?
    von Ondarza: Das wird reines Wunschdenken bleiben, denn in ihrer Partei – Sie haben es schon gesagt – drängt Boris Johnson jetzt mittlerweile mit großem Verve, sie tatsächlich herauszufordern. Gleichzeitig gibt es auch die harten EU-Gegner, von denen schon reihenweise Abgeordnete gesagt haben, für ihre Pläne werden sie im Parlament nie stimmen.
    "Im Grunde wackelt ihr Stuhl seit der verkorksten Neuwahl"
    Zerback: Wir wissen, dass Boris Johnson gegen ihren Brexit-Kurs ist. Er ist schon als Außenminister zurückgetreten aus Protest und schießt scharf gegen sie. Wackelt denn der Stuhl von Theresa May jetzt durch diese erneuten Attacken noch ein bisschen mehr, als es ja sowieso schon seit Monaten prognostiziert wird?
    von Ondarza: Im Grunde wackelt ihr Stuhl seit der verkorksten Neuwahl im letzten Jahr. Aber es bleibt eigentlich das gleiche Bild. Es gibt keine Alternative, denn die harten Brexitiers um Boris Johnson selber können sie zwar die Mehrheit im Parlament kosten, haben aber selber nicht genügend Stimmen, um Boris Johnson selber in der Number ten zu installieren. Deswegen mäandert sich Theresa May eigentlich von Krise zu Krise und hat zwar nicht die Kraft, einen Brexit-Kurs durchzusetzen, aber gleichzeitig haben ihre Gegner auch nicht die Stimmen, um sie zu ersetzen.
    Zerback: Wie würden Sie die aktuelle Stimmung einschätzen? Hätte Boris Johnson tatsächlich Chancen, wenn es zu diesem Putsch kommen würde?
    von Ondarza: Das glaube ich nicht. In der Konservativen Partei braucht man 48 Abgeordnete, die sagen, wir wollen die Premierministerin ablösen. Die könnte Boris Johnson wohl zusammenbringen. Danach braucht er aber eine Mehrheit in der Parlamentsfraktion. Das sind knapp 160 Abgeordnete. Davon ist er noch weit entfernt. Man schätzt, dass ungefähr 60 bis 80 Abgeordnete für ihn stimmen. Das heißt, ich würde sagen, unmittelbar ist Theresa May eigentlich noch sicher im Stuhl. Es kommt jetzt eher darauf an, was sie im Oktober oder möglicherweise auf einem Sondergipfel im November von Brüssel als Einigung zurückbringt und ob sie dann selber dafür eine Mehrheit bei den eigenen Leuten bekommt.
    "Auf der oberen politischen Ebene gibt es sehr aggressive Rhetorik"
    Zerback: Kollegen wie Boris Johnson, aber auch der neue Außenminister, sein Nachfolger Jeremy Hunt, die sind kräftig dabei, die EU zu brüskieren. Da gab es jetzt gerade einen direkten oder indirekten Vergleich der EU mit einem Gefängnis und da gab es schon kräftig Kopfschütteln in Brüssel. Macht Boris Johnson und macht Jeremy Hunt damit Theresa May bewusst die Verhandlungen in Brüssel noch schwerer? Ist das das Ziel?
    von Ondarza: Ich glaube eher, dass die Briten Stärke demonstrieren wollen gegenüber ihren eigenen Leuten. Denn wie gesagt, es gibt keine Einigung in der Konservativen Partei. Eine der einzigen Methoden, wie sie versuchen, noch mal die Einigung herzubekommen, ist, Brüssel als den Feind darzustellen. Wir kriegen deswegen gerade sehr, sehr unterschiedliche Signale aus London. Auf der oberen politischen Ebene gibt es sehr aggressive Rhetorik. Die EU wird teilweise sogar mit der Sowjetunion verglichen. Gleichzeitig versucht aber Großbritannien auf der diplomatischen Ebene Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Die Uhr tickt. Im Oktober oder spätestens November muss eigentlich eine Einigung her. Ich glaube, nach diesem Parteitag werden die Briten dann alles daran setzen, um auf der politischen Ebene auch einen Kompromiss zu bekommen.
    Zerback: Ich habe gerade von dem Kopfschütteln gesprochen, das Boris Johnson und Jeremy Hunt über diese jüngsten Äußerungen in Brüssel geerntet haben. Was macht denn diese ganze Unsicherheit, dieses Ringen auch um den richtigen Brexit-Kurs? Wie kommt das in Brüssel an? Da sind Sie ja auch gut vernetzt.
    von Ondarza: Das ist sehr, sehr schwierig, weil man verhandelt im Grunde mit einem Partner in Großbritannien, der selber nicht weiß, was er will. Im Grunde seit dem Brexit-Referendum verhandelt Großbritannien vor allen Dingen mit sich selbst, und selbst nach der Einigung von Chequers hören wir immer wieder von einzelnen Ministern aus Großbritannien, dass sie den Kurs der Premierministerin nicht mittragen.
    Ich glaube, man wird bis zum letzten Moment eigentlich nicht wissen, ob Theresa May für das, was die dann letztlich mit Brüssel verhandelt hat, eine Mehrheit hat, und das bedeutet für die EU, obwohl eigentlich Großbritannien derjenige ist, der austreten will, dass die EU die harte Arbeit machen muss und das ganze Austrittsabkommen entworfen hat, um einen rechtlichen Weg zu realisieren, wie man eigentlich einen geordneten Brexit, an dem ja alle ein Interesse haben, hinbekommen können.
    Zerback: Geben Sie uns doch noch mal eine kleine Auffrischung, ein Update. Was sind jetzt noch die größten Knackpunkte, die dem im Wege stehen?
    von Ondarza: Es gibt im Grunde noch vier Knackpunkte. Das eine sind einfach die institutionellen Formen, welche Rolle hat beispielsweise in Zukunft der Europäische Gerichtshof, um Bürgerrechte zu überwachen. Dann gibt es noch einige Handelsfragen wie zum Beispiel einen der Klassiker, wie werden geographische Herkunftsbezeichnungen wie Feta oder Champagner in Großbritannien geschützt. Aber die eigentlich beiden großen kritischen Fragen, an denen es noch scheitern kann, ist die Grenze in Nordirland, wo Großbritannien sagt, wir wollen keine Sonderlösung für Nordirland, und eine Erklärung über das zukünftige Verhältnis, wo Theresa May verankern will, dass Großbritannien sich weiterhin die Rosinen aus dem Binnenmarkt rauspicken kann, und das ist ja das, was die EU-Staats- und Regierungschefs in Salzburg so brüsk zurückgewiesen haben. Diese beiden Punkte, Nordirland und wie sieht das zukünftige Verhältnis aus, die haben es wirklich in sich und können auch dazu führen, dass die Verhandlungen letztlich scheitern und man nicht zu einer Einigung kommt.
    "Labour hat ein Interesse daran, Neuwahlen zu provozieren"
    Zerback: Da gibt es auch in Großbritannien andauernd harsche Diskussionen. Auch die Opposition ist ja gespalten in Sachen Brexit. Das hat auch der Parteitag von Labour vor einer Woche gezeigt. Wie verlaufen denn da die Konfliktlinien?
    von Ondarza: Labour hat vor allen Dingen ein Interesse daran, Neuwahlen zu provozieren. Die Parteiführung hat gesagt, sie wollen gegen das Abkommen von Theresa May stimmen, wenn es irgendwie die Form annimmt, wie sie das vorgeschlagen hat, ringt aber selber noch darum, ob sie bei solchen Neuwahlen tatsächlich für ein zweites Referendum eintreten würden. Deswegen würde ich die Labour-Strategie gerade so charakterisieren: Sie werden gegen alles stimmen, was Theresa May aus Brüssel zurückbringt. Aber wenn es tatsächlich zu Neuwahlen kommt, wissen sie selber eigentlich nicht, wie sie mit dem Brexit-Referendum umgehen sollen.
    Zerback: Diese immer wieder auftauchenden Gedankenspiele zu einem neuen Referendum, halten Sie die für realistisch?
    von Ondarza: Da wären relativ viele Schritte notwendig. Für ein Referendum in Großbritannien ist noch ein längeres Parlamentsverfahren notwendig. Beim letzten hat es sechs Monate gedauert. Und es müsste vor allen Dingen eine Partei dafür eintreten. Ich kann mir das nur in der Abfolge vorstellen: Theresa May scheitert in Brüssel, das provoziert Neuwahlen in Großbritannien, die müsste Labour gewinnen und dann eine Mehrheit für ein zweites Referendum haben. Das sind ziemlich viele Wenns, die dafür erfolgen müssten. Deswegen gehe ich eigentlich eher noch davon aus, dass man jetzt in Brüssel alles daran setzen muss, eine Einigung mit Theresa May zu bekommen, die dann letztlich aber noch die roten Linien der EU respektiert, vor allen Dingen was den Binnenmarkt angeht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.