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Brexit und die Industrie
Unklarer Brexit erschwert Planung für Unternehmen

Rückgang der Investitionen in Großbritannien, Stillstand der Produktionsketten - die Verschiebungen des Brexit verunsichern die Wirtschaft. Unternehmer kritisieren die strategisch geprägte Reaktion der Europäischen Union. Die EU 27 müsse sich gegenüber Großbritannien öffnen, fordern sie.

Von Brigitte Scholtes |
Ein Mann arbeitet in der Fertigungshalle der Honda-Fabrik bei Swindon (Großbritannien).
Alle Räder stehen still, aber der Brexit macht, was er will - Unternehmen versuchen sich auf ein sprunghaftes politisches Projekt einzustellen (dpa)
Seit Anfang des Monats stehen die Bänder bei der britischen BMW-Tochter still. Auch die bei Jaguar, Land Rover oder Honda. Denn für die ersten Tage nach dem geplanten Brexit wollten die Unternehmen kein Risiko für den Produktionsablauf eingehen, weil womöglich Zulieferteile fehlen könnten. So zog BMW die vierwöchigen Werksferien einfach vom Sommer auf den April vor.
Vergeblich, wie sich jetzt zeigt. Und etwas frustrierend für die Firmen und ihre Mitarbeiter, meint Ilja Nothnagel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des DIHK, des Deutschen Industrie- und Handelskammertags:
"Das war gut vorbereitet, und dann gab es politisch eine andere Entwicklung, und jetzt muss man alles noch mal umshiften und betreuen. Und ich glaube, dass für unsere Wirtschaft die Frage ist: Wie geht es eigentlich unseren britischen Geschäftspartnern? Wieweit sind die vorbereitet auf die neue Situation?"
Wie aber Vorkehrungen treffen auf eine Situation, die immer wieder verschoben wird? Das stelle die Unternehmen vor große Herausforderungen, meint Nothnagel:
"Das ist zur Vorbereitung im Unternehmen natürlich sehr, sehr schwierig. Aber im Zweifel, sollte es zum No-Deal-Brexit kommen auch für Zollbehörden und andere, die Unsicherheit, die ist schon mit Händen zu greifen. Eigentlich sendet der Brexit ja schon seine Vorboten sehr intensiv. Wir sehen, dass unser Geschäft mit Großbritannien schon seit dem Brexit-Vote zurückgeht. Jetzt ist natürlich noch mal durch die Unsicherheit ein sehr, sehr herausforderndes Umfeld."
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Voraussichtlich weniger Investitionen in Großbritannien
Denn Großbritannien ist seit dem Brexit-Referendum vom dritten auf den fünften Rang der Handelspartner Deutschlands gesunken. Für die stark exportorientierte Branche Maschinen- und Anlagenbau ist das Land immer noch wichtig, sagt Holger Kunze, Leiter des Europa-Büros des Branchenverbands VDMA in Brüssel. Seine Bedeutung aber lasse nach:
"Inwiefern sich die Verschiebungsbemühungen jetzt auch noch auf die Investitionen auswirken, ist im Moment schwer zu sagen. Aber natürlich ist anzunehmen, dass die Investitionstätigkeit in Großbritannien weiterhin zurückgehen wird. Und das werden unsere Unternehmen natürlich direkt merken als Investitionsgüterindustrie."
Das größte Problem sind die Wertschöpfungsketten, die jetzt unterbrochen werden: Die Produktionen auf der britischen Insel als auch auf dem Kontinent sind im europäischen Binnenmarkt eng miteinander verflochten. So werden in Großbritannien etwa die Flügel für alle Flugzeuge von Airbus hergestellt. Tom Enders, der Chef des europäischen Flugzeugbauers, hatte schon gewarnt, man werde die Produktion langfristig verlagern – nach China etwa oder in die USA.
Die meisten deutschen Industriebranchen raten ihren Unternehmen dazu, sich auf den schlimmsten Fall vorzubereiten – also auf einen ungeregelten Brexit. Die Verschiebungen des Austrittstermins sind deshalb ärgerlich, aber die Vorbereitungen auf den Brexit liefen ohnehin, sagt auch Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der chemischen Industrie:
"In dieser sehr schwierigen Situation, in der wir uns mit dem Brexit momentan befinden, weil keiner weiß genau, was wirklich kommt, und man kann noch kein klares Szenario aufzeichnen, haben wir die Unternehmen bestmöglich vorbereitet, sodass die Unternehmen jetzt eigentlich mit den Vorschlägen, die wir gemacht haben, ganz gut umgehen können. Man muss abwarten, was dann nachher wirklich passiert."
Firmen kritisieren strategische Reaktion der EU
Die Unternehmen kritisieren aber auch die strategisch geprägte Reaktion der EU auf den Brexit. So klagte Stefan Winter, Präsident des Verbands der Auslandsbanken, in dieser Woche:
"Wir können zwar verstehen, dass aus verhandlungstaktischen Gründen möglichst wenige europäische Übergangsregelgen getroffen und Zugeständnisse beim Marktzugang von Banken und Finanzdienstleistern aus Großbritannien heraus in die EU 27 erfolgen sollten. Wir müssen uns aber fragen, ob wir uns hier als EU 27 künftig öffnen oder – wie aktuell eher zu beobachten – abschotten."
Für die Finanzbranche ist die Abkopplung vom wichtigen Finanzplatz London eine besondere Herausforderung. Aber auch Dienstleister wie die Fluggesellschaften müssen sich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Das habe sein Unternehmen getan, versichert Carsten Spohr, Chef der Deutschen Lufthansa:
"Wir haben eine Projektgruppe, die arbeitet alle möglichen Varianten durch, inklusive, wie kriegen wir unsere Catering-Vorräte nach England? Wir bringen wir Ersatzteile zu unserem Technik Töchtern und so weiter. Ich glaube, toi, toi, toi, haben wir, glaube ich, unsere Hausaufgaben gemacht, der Kunde wird nichts davon spüren, wir sind auf alles vorbereitet."
Ob das tatsächlich so ist, das wird man wohl erst am Tag X wissen.