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Brexit und die Kirchen
Alte Wunden brechen auf

Im Nordirland-Konflikt spielt Religion eine wichtige Rolle: katholische Iren versus protestantische Eroberer. Die blutigen Kämpfe beendete das Karfreitagsabkommen von 1998, doch der Streit um den Brexit spült Vergangenes an die Oberfläche. Die Kirchen sehen sich nun als Vermittler.

Von Renardo Schlegelmilch |
Die Flagge Großbritanniens und die der Europäischen Union
Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wird auch die Grenze in Nordirland wieder zum Problemfall (Facundo Arrizabalaga, dpa picture-alliance)
Ein Satz ist wichtig, das sagen alle. Der Konflikt zwischen Nordirland und der Republik, zwischen Protestanten und Katholiken, habe nichts mit dem Glauben zu tun. Im Streit geht es nicht um das Evangelium, das Amtsverständnis, oder das Gottesbild. Treffen sich zwei Iren aus dem Norden und dem Süden, streiten sie sich nicht über ihre religiösen Ansichten, sondern über die Identität, die die Religion mit sich bringt. Seit Jahrhunderten gelten die Briten, die Protestanten, als Besatzer. Die Iren, die Katholiken, empfinden sich als Unterdrückte und Besetzte. Ein gefühlt ewiger, blutiger Konflikt - bis zum sogenannten Karfreitagsabkommen. Am 10. April 1998 haben beide Parteien ihre Waffen niedergelegt. Seitdem herrscht ein vorsichtiger, wackeliger Frieden.
Alexandra Bellinghausen kann sich noch gut an die Zeit davor erinnern. Sie lebt seit knapp 25 Jahren in Newry, direkt an der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland.
"Wir hatten vor unserem Haus einen britischen Land Rover stehen, mit schwer bewaffneten britischen Soldaten. Die Chinooks (= Helikopter) flogen übers Haus, es ratterte alles. Wenn man aus dem Haus musste, musste man den Pass zeigen. Wenn ich mit dem Kind im Kinderwagen spazieren ging, waren Maschinengewehre auf mich gedeutet."
Konflikt schlummert unter der Oberfläche
Heute ist das anders. Von der Grenze der beiden Staaten Irland und Großbritannien merkt man im ersten Moment nichts. Die Fahrbahnmarkierungen an der Autobahn ändern sich, und die Entfernungen werden in Meilen, nicht mehr Kilometern angezeigt. Ein Zustand, den viele jüngere gar nicht anders kennen. Der Konflikt schlummert aber nur unter der Oberfläche. Die Lage ist angespannt, erst im Januar gab es einen Bombenanschlag in der nordirischen Stadt Londonderry. Alles, was mit der Trennung verbunden ist, reißt alte Wunden auf, auch bei Alexandra Bellinghausen. 1995 ist sie mit ihrem Mann, einem Iren, aus Deutschland eingewandert. Heute arbeitet sie als Reiseführerin. Auch für sie würde eine harte Grenze durch den Brexit Probleme bedeuten.
Ein zerstörtes Auto steht im Dunkeln am Explosionsort auf der Bishop Street.
Explosion in der Innenstadt der nordirischen Stadt Londonderry (dpa / PA Wire / Steven Mcauley)
"Wenn die irische Armee hier Fuß fassen muss, dann muss die britische Armee auch kommen. Sobald die britischen Soldaten da sind, gibt’s Ärger. Und dann wird wieder auf die geschossen", sagt Bellinghausen.
Aber wird es tatsächlich so weit kommen? Das ist Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens noch ungewiss. Im Raum steht im Moment der sogenannte "Backstop", eine offene Grenze in Irland, dafür Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens. Eine Übergangslösung, aber selbst die ist noch nicht sicher. Viele Menschen in Großbritannien, wie in Irland, sprechen vom absoluten Chaos.
Auch die Mitglieder der deutschen lutherischen Gemeinde in Dublin. Traudi Ferguson ist Lehrerin und lebt seit 40 Jahren in Irland. "Ich bin eigentlich ziemlich entsetzt und kann es gar nicht glauben. Ich kann mich noch sehr gut an den 23. Juni 2016 erinnern. Alle Umfragen hatten gesagt, dass die ‚Remainers‘ gewinnen würden, die Leute, die in der EU bleiben wollen. Insofern war man relativ entspannt", sagt Ferguson. "Dann kam am 24. morgens, dass die Abstimmung verloren wurde. Man hat zwar vorher durch das Entstehen der UKIP-Partei gemerkt, dass sich etwas in Bewegung gesetzt hat, aber irgendwie hat man das nicht ernst genommen."
Ein Austritt aus der EU hätte schwerwiegende Folgen, auch für die Menschen in Irland. Ein Großteil der irischen Wirtschaft ist auf den Handel mit England, Schottland und Wales angewiesen. Vor allem die Landwirtschaft exportiert viel auf die Nachbarinsel. Aber auch hier kommt die Frage der Grenze ins Spiel.
"Es gibt Bauern, die wohnen in Nordirland, haben aber die meisten ihrer Felder und Weiden in Südirland", sagt Traudi Ferguson. "Das heißt: Jeden Tag gehen sie über die Grenze. Ihre Tiere gehen über die Grenze. Wenn ich jetzt plötzlich eine EU-Grenze habe, heißt das, meine Kuh kann heute nicht mehr über die Grenze gehen. Was mach ich dann? Es wird zum Beispiel auch alle Milch aus Nordirland in Südirland pasteurisiert."
Die Religion der Besatzer
Es ist aber eben nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Religion, die eine große Rolle in diesem Konflikt spielt. Die Iren betrachten sich in gewissem Sinne als die erste Kolonie des britischen Königreichs. Bis die Briten kamen, hatten sie ihre eigene Sprache, Kultur und die katholische Religion. Die Engländer haben ihre Staatsreligion, die anglikanische, protestantische, Kirche mitgebracht. Die Religion der Besatzer. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Insel geteilt. Der Süden wurde selbstständig, der Norden offizieller Teil des Vereinigten Königreichs. Umso mehr wurden dort Engländer, Protestanten, angesiedelt, um die britische Identität zu stärken, und das nicht immer friedlich. Die Religion ist also ein Reizthema, auch heute noch.
"Die Iren hier haben ihr Land verloren", sagt Traudi Ferguson. "Die anderen wurden die Großgrundbesitzer. Deshalb wurde Protestantismus mit den Leuten verbunden, die hier her geschickt wurden. Es ist nur Zufall, dass die einen Protestanten waren, und die anderen Katholiken."
Die Kirchen selber versuchen das heute anders zu sehen, versuchen ein Bindeglied zu sein, zwischen den beiden Volksgruppen. Stephan Arras ist der Pfarrer der lutherischen Gemeinde in Dublin, und er sieht die Religion als Brückenbauer.
"Heute ist das anders, weil Religion längst nicht mehr diese Rolle spielt, dass sie politisch prägt. Im Gegenteil. Heute ist das so, dass die Kirchen inselweit operieren. Das heißt auch, meine kleine lutherische Kirche ist für die gesamte Insel zuständig, also auch für Nordirland. Wir haben die große Chance, dass wir weiterhin Brücken bauen können, dass sich Nordiren und Republik-Iren begegnen und im Gespräch bleiben -auch miteinander streiten, aber dass sie eben zusammenkommen. Und darin sehe ich eine große Chance."
Religion als Teil des Problems und Teil der Lösung
Was passiert aber, wenn der Brexit kommt? Dann zieht sich durch seine Gemeinde eine EU-Außengrenze.
"Wir werden weiter unsere Gottesdienste auch in Belfast haben. Ich werde weiter dahin fahren. Was passieren kann, ist, dass die Gemeinde in Belfast kleiner wird, wenn Menschen sich entscheiden, Nordirland zu verlassen. Es gibt die große Sorge, dass das wirtschaftlich ein Desaster wird. Es sagen manche auch offen: Wenn ihr Arbeitsplatz in Nordirland wegfallen würde, sind sie gezwungen wo anders hinzugehen."
Politisches Graffiti auf der Peace Line, welche katholische und protestantische Viertel in Belfast voneinander trennt. (Falls Road, Katholischer Bereich).
Politisches Graffiti auf der Peace Line, welche katholische und protestantische Viertel in Belfast voneinander trennt. (picture alliance / dpa / Antti Aimo-Koivisto)
In einer ähnlichen Situation sehen sich die Katholiken, auch wenn sie in der Republik immer noch die Mehrheitskonfession sind. Im ganzen Land gibt es zum Beispiel nur ein Priesterseminar, an der katholischen Uni von Maynooth, ein kleiner Ort vor den Toren Dublins. Hier gibt es auch Studenten und Seminaristen aus Nordirland. Aus Deutschland kommt die Theologie-Studentin Lisa Quarch, die gerade zum Erasmus-Semester in Maynooth ist.
"Es ist so, dass es die Möglichkeit katholische Theologie zu studieren in Nordirland nicht gibt. Deswegen studieren die Seminaristen aus Nordirland auch hier bei uns. Das muss auf jeden Fall so weiter gemacht werden. Außer, die werden dann nach London geschickt. Aber das wäre natürlich was ganz anderes, als im eigenen Land zu bleiben. Alle Iren, die ich bisher getroffen habe, verstehen sich wirklich als ein Land. Wenn jemand aus Belfast kommt, sagt er nicht ich komme aus Nordirland, sondern versteht sich als Ire."
Religion ist Teil des Problems und Teil der Lösung. Was wird aber nun wirklich passieren am 29. März, dem Brexit-Stichtag? Alexandra Bellinghausen, die im Grenzort Newry lebt, hofft das Beste. Erneute Gewalt, wie zur Zeit der sogenannten "Troubles" in den 70ern und 80ern, kann sie aber nicht ausschließen.
"Die Befürchtung ist da. Was soll denn anderes gemacht werden? Wir haben hier so und so viele Grenzübergänge. Zur Zeit der harten Grenzen hat das britische Militär ganze Straßenzüge bombardiert, Bomben gelegt und die ganzen Straßenzüge unpassierbar gemacht, dass kein Auto heimlich sich wo hinschleichen konnte. – Was so schön im Moment ist: Man fährt einfach, und ist im Süden. Das ist wie eins. Die Leute, die britisch sein möchten, sind und bleiben britisch. Die Leute, die sich als irisch verstehen, für die ist das kein Problem über die Grenze zu gehen."