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Brexit und Europarat
"Auch hier machen sich viele Sorgen"

Großbritannien will die EU verlassen, im Straßburger Europarat dürften die Briten aber bleiben. Davon ist Daniel Höltgen, der Kommunikationsdirektor der Organisation überzeugt. Durch den Brexit könnte der Europarat für London womöglich sogar wichtiger werden, sagte er im Dlf.

Daniel Höltgen im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Das Gebäude des Europarates in Straßburg
    Auch die britische Flagge weht vor dem Europarat in Straßburg. (dpa / Rainer Jensen)
    Gerwald Herter: Lange vor dem Brexit-Referendum und der immer noch anhaltenden Debatte bei der es ja um die EU geht, hatten britische Konservative immer wieder zum Beispiel Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kritisiert und sogar mit dem Austritt aus dem Europarat gedroht. Herr Höltgen, hat sich das inzwischen gelegt?
    Daniel Höltgen: Ja zunächst ist es richtig. Premierministerin May hat sich damals noch als Innenministerin vor dem Brexit-Referendum sehr kritisch zur Menschenrechtskonvention geäußert. Und die konservative Partei wollte ja auch in ihrem Wahlprogramm den Human Rights Act abschaffen, also das Gesetz, das die Konvention in britisches Recht umsetzt. Aber der Widerstand im Unterhaus war selbst in den eigenen Reihen letztlich zu groß.
    Zudem kommt die Tatsache, dass die Menschenrechtskonvention im Karfreitagsabkommen zwischen der Republik Irland und dem Vereinigten Königreich verankert ist. Ein Ausstieg wäre kaum machbar ohne das Abkommen zu gefährden und das will bisher wirklich keiner.
    "We are not leaving Europe"
    Herter: Aber ist es nur die Ruhe vor dem Sturm? Wie arbeitet zum Beispiel die britische Delegation im Europarat derzeit - konstruktiv?
    Höltgen: Ja, auf jeden Fall. Es ist richtig. Der Brexit hat alles überlagert und es kommt noch etwas anderes hinzu. Das Foreign Office will ja heute ein Global Britain vertreten und das bedeutet unter anderem, dass die Mitgliedschaft in anderen Organisationen tendenziell wichtiger wird. Theresa May hat auch gesagt "We are leaving the EU. We are not leaving Europe". Das heißt, die Mitgliedschaft in Europa müsste an Bedeutung nicht verlieren und vielleicht sogar gewinnen.
    Ruxit statt Brexit?
    Herter: Das hieße, Sie gehen derzeit davon aus, dass Großbritannien Mitglied des Europarats bleibt. Profitiert der Europarat womöglich vom Ärger um den Brexit, den es in Großbritannien gibt nach dem Motto einmal reicht?
    Höltgen: Das würde ich nicht sagen. Also ganz grundsätzlich: Außer den Populisten profitiert vom Streit um den Brexit keiner. Aber auch hier machen sich viele Sorgen, das ist richtig. Aber es ist nicht das Hauptthema. Hier geht es auch aktuell in diesen Tagen um den möglichen Austritt Russlands aus dem Europarat. Das wird hier "Ruxit" genannt.
    Und so wie der Brexit für die EU ein großes Dilemma bedeutet, wäre der Ruxit aus dem Europarat ein enormer Rückschritt für die Menschenrechte. In erster Linie für die 140 Millionen Einwohner Russlands, aber auch für die Sicherheitsarchitektur in Europa insgesamt. Brexit und Ruxit zugleich im selben Jahr, das wäre wirklich eine Katastrophe für Europa.
    Bei Austritt droht Dominoeffekt
    Herter: Was würde es denn für den Europarat bedeuten, wenn ein Land, egal nun ob Russland oder ob Großbritannien austreten würde. Wäre das ein Dammbruch und würden andere Länder dann womöglich folgen?
    Höltgen: Ja, also gerade im Falle Russlands müssen wir eine Art Dominoeffekt fürchten. Da gibt es Länder wie Türkei oder Aserbaidschan, die durchaus Sympathien hätten, wo es auch Abgeordnete gibt, die offen für einen Austritt sich einsetzen. Aber Großbritannien ist Gründungsmitglied des Europarates, der in diesem Jahr sein 70 Jähriges Jubiläum feiert.
    Die Menschrechtskonvention, Sie hatten es gesagt, wurde maßgeblich von Briten verfasst. Im Europarat ist ein Duplikat der Magna Carta, also die ja als erste Grundrechts-Charta Europas gilt. Und Britannien gehört auch was die Umsetzung der Straßburger Urteile betrifft traditionell zu den Klassenbesten. Also ist auch in dieser Hinsicht Vorbild.
    Wenn die Briten jemals austreten würden, was ich nicht glaube, könnte das in der Tat eine Art Dominoeffekt auch auf andere Länder haben, und das wäre ein schwerer Schlag gegen die Menschenrechte, ein doppelter Schlag gegen die Menschrechte und wohl die endgültige Erosion des europäischen Einigungsprozesses der letzten 70 Jahre.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.