In einem Loft zwischen Shoreditch und Bethnal Green, mitten im Nabel des Londoner Hipster-Reviers, findet sich das Büro der Konzertagentur Pitch & Smith. Von hier aus werden die Tourneen von so unterschiedlichen Acts gebucht wie Sinkane, Caribou, José González oder Gang of Four. Wie nicht selten in London verbirgt sich hinter dem britisch klingenden Namen ein kontinentaleuropäischer Chef und Eigentümer: Der Schwede Stefan Juhlin hat den Sitz seiner Firma erst vor zwei Jahren von Stockholm hier her verlegt. Wie lange er noch bleibt, ist derzeit nicht abzusehen.
"Das Vereinigte Königreich ist immer noch das Zentrum der Musikindustrie, aber es wird weniger und weniger wichtig. Viele Künstler, Manager und Labels blicken jetzt mehr auf den Rest von Europa. Abgesehen vom schwachen Währungskurs wissen wir nicht, wie sich die Administration und die Versandkosten durch den Brexit ändern werden. Alle warten noch, aber sie bereiten sich schon vor und suchen bereits neue Partner", sagt Juhlin.
Welche Auswirkungen der Brexit für ihn persönlich haben wird, ist Stefan Juhlin wie allen EU-Bürgern in Großbritannien noch unklar. Dass die britische Regierung sein Aufenthaltsrecht als Pfand in ihren Verhandlungen mit der EU einsetzt, sorgt ihn aber kaum. Im Gegenteil.
"Aus meiner Sicht ist es recht amüsant. Wenn wir gehen müssen, ist es für uns nicht das Ende der Welt. Ich wünsche mir fast, dass es so schlecht wie möglich ausgeht, weil es so eine dumme Entscheidung ist", sagt Juhlin.
"Das wird die Indie-Szene umbringen"
Ein paar Dutzend Häuserblöcke entfernt von Stefan Juhlins Büro besuchen wir den DJ und Produzenten Andy Lewis in seinem Heimstudio. Er ist ein Veteran der Britpop-Szene, war Mitglied der Bands Spearmint, Pimlico. Solokünstler bei Acid Jazz und Bassist in Paul Wellers Live-Band. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie die Welt einst von Cool Britannia sprach.
"Früher wurde Großbritannien als popkulturelle Brutstätte angesehen. Und ich habe Angst, wenn wir uns in Isolationismus und Protektionismus zurückziehen, dass man uns nicht mehr für cool halten wird, sondern etwas peinlich", sagt Andy Lewis.
Andy Lewis hatte immer schon ein Bein auf dem europäischen Festland. Bei seinen letzten beiden großen Produktionen arbeitete er mit dem schwedischen Sänger Magnus Carlsson und der deutschen Band Friedrich Sunlight.
Als DJ macht sich Lewis aber auch Gedanken darüber, was ein sogenannter harter Brexit für die transkontinentalen Vertriebswege bedeuten wird:
"Wenn die Zollgebühren wiederkommen, wird man nicht mehr wie bisher Platten kaufen und verkaufen können. Ein Austritt aus dem Binnenmarkt würde das Vinyl-Revival augenblicklich ersticken. All diese Platten werden schließlich in Tschechien gepresst. Das wird die Indie-Szene umbringen."
"Harte Zeiten bringen gute Popmusik hervor"
Man kann es sich noch kaum vorstellen, aber da steht tatsächlich einiges auf dem Spiel, was die Musikszene bisher für selbstverständlich hielt: zollfreie Plattenimporte, das freie Transportieren von Instrumenten über die britische Grenze und internationale Tourneen ohne Arbeitsgenehmigung. In einem Pub im West End treffen wir Richard Olson, den Sänger der aufstrebenden Band The Hanging Stars. Er ist Großbritannien aufgewachsen, hat aber einen schwedischen Pass. Olson sieht die persönlichen Veränderungen durch den Brexit um einiges weniger entspannt als sein Landsmann Stefan Juhlin.
"Ich bin persönlich sehr verärgert. Wir sind vielleicht eine psychedelische, kosmische Country-Band, aber ich bin echt zornig. Es macht mir zwar Angst, aber ich glaube, wir werden gewinnen und es werden ein paar gute Songs dabei rauskommen", sagt Olson.
Zumindest in kreativer Hinsicht glüht also ein Hoffnungsfunke in der tristen Welt des Brexit-Pop. Die Überwindung der nationalistischen Engstirnigkeit durch die Macht der Musik, wie es vor Jahrzehnten schon Bands wie The Clash oder die Specials geschafft hatten:
"Harte Zeiten bringen zumeist gute Popmusik hervor. Als Großbritannien in den 70er-Jahren das letzte Mal solche Probleme hatte, kamen jedenfalls ein paar verdammt gute Bands zum Vorschein", sagt Olsen.