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Brexit-Vereinbarung
May könnte ein Misstrauensvotum drohen

Nachdem ihr Kabinett den Brexit-Vertragsentwurf gebilligt hat, ist die erste Hürde für die britische Premierministerin Theresa May genommen. Aber die nächste könnte schon bevorstehen: Es mehren sich Hinweise, dass ein Teil ihrer Fraktion im Unterhaus ein Misstrauensvotum gegen sie beantragen will.

Von Friedbert Meurer |
    Die britische Premierministerin May verkündet vor ihrem Regierungssitz, dass das Kabinett seine Zustimmung zum Brexit-Vertragsentwurf gegeben hat
    Ein Teil der eigenen Fraktion im Unterhaus könnte Theresa May die Gefolgschaft aufkündigen (dpa / picture alliance / Stephen Chung)
    Die erste Hürde ist genommen. Nach stundenlangen Debatten und offenbar harten Auseinandersetzungen gab das Kabinett am Ende doch grünes Licht. Premierministerin Theresa May kann nach Brüssel vermelden: Die Regierung steht hinter dem vereinbarten Vertragsentwurf zum Brexit.
    "Das Kabinett hatte eine ausführliche, detaillierte und leidenschaftliche Debatte über den Vertragsentwurf. Wir standen vor einer schwierigen Entscheidung, vor allem was Nordirland betrifft. Aber die Regierung hat gemeinsam entschieden, dass wir dem Vertrag und der Erklärung zum künftigen Verhältnis zur EU zustimmen werden."
    Emotionales Bekenntnis der Premierministerin
    Eine "leidenschaftliche Debatte" bedeutet, es ging wohl heftig zur Sache. Im Kabinett sitzen auch etliche Brexiteers. Eine von ihnen, Entwicklungsministerin Peggy Mordaunt, forderte, Theresa May solle die Abstimmung im Unterhaus freigeben. Das wurde abgelehnt. Stattdessen nutzte die Premierministerin ihren Auftritt nach der Kabinettsitzung, um sich – ungewohnt für ihre sonst eher kühle Art – mit einem emotionalen Bekenntnis an die Bevölkerung zu wenden.
    "Ich fühle mich verpflichtet, Entscheidungen im nationalen Interesse zu treffen. Ich glaube fest mit meinem Verstand und meinem Herzen, dass dies die beste Entscheidung ist für das gesamte Vereinigte Königreich."
    Mit dem Kabinett hat die Premierministerin die erste Hürde genommen. Aber die nächste könnte schon unmittelbar bevorstehen: Es mehren sich Hinweise, dass ein Teil der eigenen Fraktion im Unterhaus Theresa May die Gefolgschaft aufkündigen und ein Misstrauensvotum gegen sie beantragen will. Den Spielregeln der konservativen Partei zufolge wird ein solches Misstrauensvotum in Gang gesetzt, wenn 15 Prozent der konservativen Abgeordneten es fordern. Das wären 48 Stimmen. Mark Francois, ein führender Brexiteer, warnte die Regierungschefin unmissverständlich.
    "Viele meiner Kollegen sind sehr verärgert über den Vertrag. Sie glauben nicht, dass wir effektiv genug und im besten nationalen Interesse verhandelt haben. Ich selbst habe nicht einen Brief abgegeben mit einer Misstrauenserklärung. Aber viele Kollegen sind über den Vertragsentwurf bestürzt. Ich würde nichts ausschließen."
    Misstrauensantrag würde May beschädigen
    Ein Misstrauensantrag könnte eine Vertrauensabstimmung zur Folge haben, allerdings nur in der konservativen Fraktion. Vermutlich würde Theresa May mehr als die Hälfte der eigenen Abgeordneten hinter sich vereinen, aber ein solcher Antrag würde sie wohl beschädigen und deutlich machen, wie viele ihr nicht folgen wollen. Auf die Opposition von Labour kann May am Ende nicht zählen, erklärte Hilary Benn, der Vorsitzende des Brexit-Ausschusses im Unterhaus.
    "Ich sehe das nicht. Die roten Linien der Premierministerin lösen sich schrittweise auf. Wir haben nicht nur die Wahl zwischen ihrem und keinem Deal. Die Regierung ist unehrlich. Die wahre Alternative besteht darin, dass wir in der Zollunion und im Binnenmarkt der EU bleiben."
    Die Abgeordneten gehen jetzt gründlich den 500-seitigen Vertragstext durch, der gestern Abend veröffentlicht wurde. Im Unterhaus abgestimmt wird nach Fahrplan Anfang oder Mitte Dezember.