Der Moderator des Londoner Talk-Radios LBC stellte Premierministerin Theresa May eine für sie knifflige Frage:
"Wenn es wieder ein Referendum gäbe, würden Sie jetzt für den Brexit stimmen? Damals waren Sie für Remain. Haben Sie jetzt Ihre Meinung geändert?"
"Also, ich – ich beantworte keine hypothetischen Fragen."
Theresa May, die sonst so die Vorzüge des Brexit anpreist, geriet ins Stocken und drückte sich um eine Antwort. Die britische Regierungschefin erweckt im Moment nicht den Eindruck, klare Antworten auf Fragen nach dem Brexit geben zu können. Der frühere UKIP-Chef Nigel Farage war aufgebracht:
"Sie können nicht unser Land in diese große politische Transformation führen, wenn Sie nicht absolut daran glauben und mit Herz und Seele dazu stehen."
Kommt Einigung "wie immer in der EU" um "fünf vor zwölf"?
In Großbritannien herrscht vor dem EU-Gipfel trotzdem noch keine große Alarm-Stimmung. May flog Montagabend zum Dinner nach Brüssel, danach hieß es, das wird schon, man wolle jetzt schneller verhandeln. Selbst die Kommentatorin der BBC spottete, jetzt werde von vier auf acht Meilen pro Stunde hochgeschaltet. Gerade Brexit-Befürworter wie Jacob Rees-Mogg sind sich sicher: Am Ende gibt es bei der EU doch immer eine Einigung in letzter Minute.
Die letzte Stunde wird vermutlich im Dezember beim nächsten EU Gipfel schlagen. May ist aus britischer Sicht der EU schon weit entgegengekommen, indem sie eine zweijährige Überganszeit vorschlug und damit zwei Jahre länger Beiträge bezahlen will. In London glaubt man, dass dieses Angebot von der EU nicht wertgeschätzt wird.
Obwohl doch angeblich eine Einigung nur eine Frage der Zeit sein soll, dreht sich in Großbritannien seit Tagen fast alles nur noch um ein Thema, den "No Deal". "No Deal" heißt: Wir verlassen die EU ohne einen Deal, und damit ohne auch nur einen Penny überhaupt zu bezahlen.
"Am wahrscheinlichsten ist es, dass es zu keinem Abschluss kommt", konstatiert der frühere Schatzkanzler und Brexit-Hardliner Nigel Lawson.
"Sie werden uns keinen guten Handelsvertrag geben, nicht weil sie uns nicht mögen. Sie fürchten, wenn sie ihn uns geben, dann wird der Druck in anderen Mitgliedsstaaten zunehmen, die EU zu verlassen."
Lange galt die Drohung, die Gespräche platzen zu lassen, als purer Bluff – denn dann drohen schockartig Zölle und Handelsbarrieren. Aber May braucht das Szenario eines "No Deals", um vor den Brexiteers zu bestehen und um eine Drohkulisse gegenüber der EU aufzubauen. Die frühere Direktorin des britischen Steuerzahlerbunds Dia Chakravarty meint:
"'No Deal' wäre auch schlecht für die anderen EU-Staaten. Wir vergessen das manchmal: Es beruht auf Gegenseitigkeit. Es ist nicht so, dass nur sie alle Karten in der Hand halten. Wir tun das auch."
Schatzkanzler wird von Premierministerin zurückgepfiffen
Entschiedener Gegner des "No Deal"-Szenarios ist Schatzkanzler Philip Hammond. Er reizte die Brexiteers, aber auch Theresa May, bis aufs Blut, als er im Ausschuss deutlich auf die Bremse zu treten versuchte.
"Jedes Pfund, dass wir für den Notfall und für den Fall plötzlicher Zölle zur Seite legen, können wir nicht für Gesundheit, Pflege, Bildung oder Schuldenabbau ausgeben. Wir sollten das Geld erst im allerletzten Moment bereitstellen, wenn es wirklich nicht anders geht."
Hammond wurde von seiner Chefin Theresa May sofort zur Ordnung gerufen. Vielen in der britischen Wirtschaft bricht der Angstschweiß aus, sollte London wirklich ohne Rücksicht auf Verluste über die Klippe springen. Andere halten das alles wieder einmal bloß für Angstmacherei. Brexiteer Nigel Lawson jedenfalls fordert den Kopf von Philip Hammond wegen Feigheit vor dem Feind:
"Ich fürchte, Hammond ist nicht hilfreich. Was er tut, auch wenn er es vielleicht nicht beabsichtigt, grenzt ziemlich an Sabotage."