Tobias Armbrüster: Herr Botschafter, wie dramatisch wäre ein Brexit ohne Abkommen, ein No-Deal-Brexit?
Sebastian Wood: Ja, es wäre sicher schlimm für beide Seiten. Ich glaube, dass fast niemand, sei es in der EU oder auf der britischen Seite, das sehen möchte. Beide Seiten versuchen jetzt, auf alle Möglichkeiten vorbereitet zu sein. Das muss man als verantwortungsvolle Regierung tun. Aber das Ziel ist es natürlich, einen Deal auszuhandeln, was für beide Seiten so gut wie möglich ist. Die uns verbleibende Zeit ist knapp, aber das Ziel ist immer noch erreichbar.
Armbrüster: Womit würden Sie denn rechnen, wenn es tatsächlich zu so einem No-Deal-Brexit kommt?
Wood: Es gäbe natürlich wirtschaftliche Beschädigungen auf beiden Seiten, und wir haben eine Reihe von technischen Hinweisen in den letzten Tagen veröffentlicht, die Rat für Firmen und Familien leisten für den Fall von No-Deal. Aber am wichtigsten ist es jetzt, mehr Momentum in den Verhandlungen zu schaffen, damit wir dieses Szenario überhaupt nicht sehen.
Armbrüster: Mehr Momentum, sagen Sie. Sie meinen mehr Bewegung in den Verhandlungen?
Wood: Ja, richtig.
Armbrüster: Wenn das alles so ernst ist – entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche und gerade kurz etwas vorweg nehme -, wenn das tatsächlich so ernst ist, warum hat sich die britische Seite dann so lange Zeit gelassen, um wirklich ernsthaft in diese Gespräche einzusteigen?
Wood: Ach ja - ich würde es anders beschreiben. Wir wären bereit gewesen, viel früher das Gespräch über die Zukunft zu beginnen, aber das wollte die EU-Seite nicht. Das ist jetzt ein Gespräch über die Geschichte, aber die EU-Seite hat erst gesagt, okay, erst müssen Sie den Brief überreichen in Brüssel, und dann hat die EU-Seite gesagt, okay, erst müssen Sie die wichtigen Themen des Austrittsabkommens klären. Das haben wir im Dezember, da hatten wir eine Vereinbarung darüber, und erst in den letzten Wochen war die EU-Seite endlich bereit, mit uns über die Zukunft zu sprechen. Aber ich würde es anders darstellen.
"Spielregeln der EU-Seite"
Armbrüster: Herr Botschafter! Nur ganz kurz! – Das heißt, die EU-Seite ist hier Ihrer Meinung nach der Bremser gewesen in diesen Gesprächen?
Wood: Das sind Ihre Worte, nicht meine Worte. Ich will nur sagen, dass die EU-Seite wollte, dass wir Austrittsabkommen-Themen erst klären, bevor wir über die Zukunft sprechen.
Armbrüster: Aber das sind ja die Spielregeln, die vorher festgelegt wurden. Auf die haben sich ja alle vorher geeinigt, auch vor dem Austritt schon.
Wood: Ja! Aber das waren die Spielregeln, die die EU-Seite wollte. Aber warum reden wir jetzt über die Geschichte? Was wichtig ist, ist, dass wir in den kommenden Wochen etwas aushandeln, um ein No-Deal-Szenario zu vermeiden. Vor zwei Monaten jetzt hat die britische Regierung ein Weißbuch veröffentlicht, wo wir einen Vorschlag dargestellt haben, wie die künftigen Beziehungen zwischen uns aussehen sollten, und am wichtigsten in diesem Vorschlag ist es, dass wir vermeiden, dass es eine neue Grenze in Irland gibt – entweder auf der Insel von Irland, oder in der Irischen See -, weil wir wissen, wenn es eine solche Grenze gibt, dass wir die politische Lage auf der Insel vielleicht destabilisieren könnten, dass es sehr schwierig wäre, das Karfreitagsabkommen aufrecht zu halten. Und wenn es eine Grenze in der Irischen See wäre, dann haben wir sogar das Vereinigte Königreich gespalten, was natürlich für keine britische Regierung akzeptabel wäre. Deshalb war der Vorschlag der britischen Regierung, von Theresa May, dass wir das neue Verhältnis zwischen uns so gestalten, dass es überhaupt keine Gütergrenze zwischen uns geben muss, und das war sozusagen der wichtigste Faktor, warum wir diese Güter-Freihandelszone vorgeschlagen haben.
Armbrüster: Nun ist dieses Weißbuch, das Sie beschreiben, im britischen Parlament, auch bei den Tories, in der britischen Regierungspartei, extrem umstritten. Das lesen wir immer wieder. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass diese Regelung noch nicht mal im Parlament genügend Zustimmung finden würde. Warum sollten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dann wirklich ernsthaft damit beschäftigen?
"Laute Stimmen auf den Hinterbänken"
Wood: Es gibt große Einheit im Kabinett von Theresa May und auch in der Regierung, dass der Chequers-Vorschlag in die richtige Richtung geht.
Armbrüster: Diese Einheit gibt es, nachdem die wirklichen Gegner von Theresa May das Kabinett verlassen haben. Das sollte man dazusagen.
Wood: Ja! Es war ein schwieriger Schritt für die Premierministerin. Es hat sogar dazu geführt, dass zwei Minister zurückgetreten sind. Seitdem gibt es natürlich mehr Einheit im Kabinett, aber es gibt auch laute Stimmen auf den Hinterbänken im Parlament. Zu dieser Zeit wollen alle die Verhandlungen beeinflussen, sozusagen von außen. Aber ich glaube, wenn wir einen vernünftigen Deal ausgehandelt haben und er auf dem Tisch liegt, dass es eine Mehrheit dafür geben wird im britischen Parlament, weil die Alternativen für Großbritannien schlimmer wären.
Armbrüster: Das heißt, Sie glauben, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs jetzt zeigen, dass sie mit diesem Chequers-Papier einverstanden sind, dass sie das für eine gute Lösung halten, dass sie damit auch die Befürworter eines harten Brexits überzeugen könnten, dann doch dafür zu stimmen?
Wood: Es würde eine neue Dynamik in den Verhandlungen schaffen, wenn wir uns annähern. Wir brauchen ein bisschen wechselseitige Annäherung jetzt, weil die Zeit so knapp geworden ist. Und ja, ich glaube, eine große Mehrheit der Abgeordneten in unserem Parlament will nicht den Brexit blockieren, weil in den meisten Wahlkreisen in unserem Land eine Mehrheit der Wähler bei unserem Referendum für Brexit gestimmt haben, und das wissen die Abgeordneten. Jetzt brauchen wir mehr Momentum, eine neue Dynamik in den Verhandlungen.
Armbrüster: Meinen Sie damit auch, die EU muss sich mehr bewegen?
Wood: Sicher muss die EU sich bewegen.
Armbrüster: Es bremst vor allen Dingen der Brexit-Beauftragte Barnier. Muss der sich mehr bewegen?
Wood: Er vertritt die Position der 27. Ich würde es anders formulieren. Die 27 und ihr Verhandler müssen sich jetzt bewegen. Im Moment hat Großbritannien, ich sage es ganz direkt, eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Die EU sagt uns im Moment, entweder Sie akzeptieren, dass es eine harte Grenze in der Irischen See, eine internationale Grenze innerhalb des Vereinigten Königreichs gibt, oder Sie müssen es akzeptieren, dass Sie einen Status wie Norwegen, aber auch mit Mitgliedschaft der Zollunion haben, was bedeuten würde, dass wir alle Verpflichtungen haben würden, die wir jetzt als Mitgliedsstaat haben, nur dass wir nicht mehr mit am Tisch sind in Brüssel. Diese zwei Möglichkeiten wären für irgendeine britische Regierung undenkbar, und deshalb muss sich die EU-Seite ein bisschen bewegen, damit wir jetzt einen Kompromiss finden, und das hat die EU gesagt. In den EU-Richtlinien steht, wenn die britische Position sich weiterentwickelt, dann könnte die Position der EU-Seite sich auch weiterentwickeln. Chequers war schwierig, wir haben das schon erwähnt. Es war ein großer Schritt nach vorne. Aber bisher gibt es keine positive Reaktion von der EU-Seite und ich hoffe sehr, dass wir beim Europäischen Rat in Salzburg ein positives Zeichen von der EU-Seite sehen werden.
"Sehr tiefes und innovatives Freihandelsabkommen"
Armbrüster: Herr Botschafter, können Sie denn auch sehen, dass die EU durchaus auch ihre Gründe hat, in einer Lage wie dieser, wie wir sie in diesen Jahren erleben, dass sie an ihren Grundsätzen festhält und dass sie jeden Eindruck vermeiden will, dass es für Großbritannien möglich wäre, hier Rosinenpickerei zu betreiben?
Wood: Das kann ich völlig verstehen, und die britische Regierung will auf keinen Fall die EU oder den Binnenmarkt unterminieren in der Zukunft, weil der Erfolg der EU auch für uns in der Zukunft so wichtig ist. Aber was wir hier vorschlagen, nach unserer Ansicht, wäre einen fairen neuen Ausgleich von Rechten und Pflichten zwischen uns, und manchmal höre ich diese Behauptung, dass wir Teilmitgliedschaft des Binnenmarkts vorschlagen. Das ist nicht der Fall, das ist eine falsche Beschreibung. Was wir hier vorschlagen, ist ein sehr tiefes und innovatives Freihandelsabkommen zwischen uns, wobei Großbritannien sich einseitig verpflichten würde, die gleichen Warenregelungen und auch Wettbewerbsbedingungen wie die EU auf Dauer in die Zukunft zu behalten. Und das Ziel ist, damit wir keine Gütergrenze zwischen uns brauchen und deshalb keine Grenze in Irland brauchen. Rein wirtschaftlich sieht das für die EU-Seite ganz vorteilhaft aus. Und die Tatsache, dass wir auch nicht mehr mit am Tisch sind in Brüssel und eine größere Abschlussrechnung bezahlt haben - ich glaube, dass unser Status sehr anders als der Status von anderen Mitgliedsstaaten aussehen würde.
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