Sandra Schulz: Wie soll das eigentlich gehen? Das fragen ja Akteure wie Beobachter mehr oder weniger geschlossen seit dem Frühjahr 2017, als Großbritannien den Scheidungsantrag von der EU offiziell gestellt hat. "Brexit heißt Brexit", hatte die britische Premierministerin Theresa May immer wieder gesagt. Auf einen weichen Brexit laufen allerdings doch eher ihre Vorschläge vom Wochenende raus. Es folgten turbulente Tage. Profilierte Brexitiers kamen der Regierung in London abhanden und heute will Theresa May ihre Vorschläge in einem Weißbuch näher ausführen. In den kommenden Minuten wollen wir beim Thema bleiben. Am Telefon ist Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Morgen!
Nicolai von Ondarza: Guten Morgen!
Schulz: Theresa May hat es am Anfang der Woche noch mal gesagt: Sie will einen reibungslosen und geordneten EU-Austritt erreichen. Ist das dieser vielbeschworene britische Humor?
Von Ondarza: Reibungslos wird der Brexit mit Sicherheit nicht werden, denn was wir in den nächsten Monaten erwarten können ist, dass es noch mehr Verwerfungen in der britischen Politik gibt. Ich glaube, das Ziel, was sie jetzt erreichen will, ist, der EU eine Art Ultimatum zu stellen: Entweder ihr akzeptiert meine Pläne, oder die britische Regierung könnte wirklich stürzen, und dann könnte es noch ungemütlicher werden.
Schulz: Aber das war ja von Anfang an eigentlich die britische Strategie, Ultimaten zu stellen oder zu versuchen, von London aus Druck aufzubauen auf die Europäische Union. Das läuft jetzt seit ungefähr anderthalb Jahren; ohne jede Frucht, oder?
Von Ondarza: Ich glaube, das größte Problem der Briten war, dass sie eigentlich die letzten zwei Jahre fast vornehmlich mit sich selbst verhandelt haben. Sie haben eigentlich immer nur in London geguckt, was zwischen ihnen akzeptierbar war, und nie geguckt, was sie mit den Europäern verhandeln können.
Modell Kanada oder Norwegen
Schulz: Hat sich daran denn jetzt was geändert?
Von Ondarza: Nur zum Teil. Was Theresa May geschafft hat ist, ihr Kabinett hinter sich zu bringen, aber nicht ihre Partei. Die harten Austrittsgegner sind jetzt aus der Regierung raus, wollen aber aus dem Parlament weiter Störfeuer geben, vor allen Dingen Boris Johnson, Jacob Rees-Mogg und David Davis.
Schulz: Wir haben doch aber auch weiterhin diesen Grundkonflikt, dass die EU sagt, es darf keine Rosinenpickerei geben. Das was Theresa May jetzt vorlegt, läuft aber genau auf diese Rosinenpickerei heraus. Warum sollte sich die EU darauf einlassen?
Von Ondarza: Aus Sicht der EU gibt es eigentlich wenig Grund, sich darauf einzulassen. Die größte Gefahr ist eigentlich jetzt, dass Theresa May all ihr politisches Kapital in London darauf eingesetzt hat, diesen Kompromiss intern herzustellen, der von der EU eigentlich zurückgewiesen werden muss, weil er den Binnenmarkt in Gefahr bringt. Und ich erwarte, dass die EU jetzt erst mal rhetorisch freundlich auf Großbritannien zugeht, aber in der Sache hart bleibt und sagt, entweder ihr könnt wie Norwegen im Binnenmarkt bleiben, aber dann mit allen Pflichten, oder wie Kanada mit dem Binnenmarkt handeln. Das hat aber auch wirtschaftliche Konsequenzen.
"Wie reagieren die harten Brexitiers?"
Schulz: Erwarten Sie für das Weißbuch, das Theresa May heute ja vorlegen will, noch Überraschungen, oder ist die Skizze seit dem Wochenende eigentlich vorgelegt?
Von Ondarza: Nach allem, was wir wissen, ist die Skizze klar vorgelegt. Es sind 120 Seiten etwa, die wir erwarten. Da werden schon noch einige Details sein. Das Spannende wird aber sein, wie die harten Brexitiers reagieren, denn sie haben Theresa May gesagt, entweder Du änderst noch mal etwas, oder es wird Konsequenzen und weitere Rücktritte geben. Jetzt ist offen, ob sie diese Macht im Parlament haben, um Theresa May noch mal unter Druck zu setzen.
Schulz: Jetzt managt mit Theresa May ja eine Frau den Brexit, die eigentlich vor dem Referendum dagegen war. Ist das Teil des Problems, oder wäre alles viel komplizierter, wenn es an der Spitze in London keine Theresa May gäbe, sondern einen Hardcore-Brexitier?
Von Ondarza: Es ist schon Teil des Problems. Die britische Gesellschaft und auch die Politik spaltet sich mittlerweile mehr in Remainer und Leaver als in Konservative und Labour. Was harte Brexitiers der Regierung vorwerfen ist, dass jetzt fast nur noch ehemalige Remainer in der Schlüsselposition sind und dass es keine True Believer mehr in der britischen Regierung gibt. Das heißt, dass das Vertrauen der Austrittsbefürworter in die Regierung weiter gesunken ist. Gestern Abend gab es eine neue Umfrage, dass mittlerweile nur noch 13 Prozent der Briten glauben, dass die Regierung eine gute Führung bei den Verhandlungen mit der EU macht. Das heißt, das Vertrauen der Partei und der Fraktion in Theresa May schwindet zunehmend.
"Kraft des Referendums überstrahlt alles"
Schulz: Das ist ja eigentlich ein verrückter Vorwurf, dass es zu wenig Brexitiers in der Regierung gibt, wenn genau die immer hinschmeißen und flüchten. Das haben wir jetzt genau am Wochenende beziehungsweise Anfang der Woche gesehen. Warum ist es denn überhaupt so ein politisches Tabu, noch mal ein Referendum anzuberaumen?
Von Ondarza: Dieses Referendum hat in Großbritannien einfach eine unglaubliche demokratische Legitimationskraft. Es gab eine höhere Wahlbeteiligung als in allen nationalen Wahlen vorher und es haben mehr Leute für den Brexit gestimmt als jemals für Tony Blair oder Margaret Thatcher auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Obwohl, glaube ich, mittlerweile die Mehrheit selbst der Konservativen glaubt, dass der Brexit wirtschaftlich eine große Katastrophe für Großbritannien ist, gibt es niemanden, der sich in der Hauptpolitik dagegenstemmen kann, weil einfach diese Kraft des Referendums alles überstrahlt.
Schulz: Welche Rolle spielt bei all dem, dass England jetzt bei der Weltmeisterschaft rausgeflogen ist?
Von Ondarza: Ich glaube, erst mal gibt es nur eine große Enttäuschung. Aber insgesamt sind die Briten doch sehr stolz. Was man vielleicht am ehesten hört in der britischen Politik ist hier: Seht mal Southgate, der hat ein stolzes junges Team zusammengestellt, und vielleicht brauchen wir auch eine Änderung an der Spitze, um den Brexit verhandeln zu können.
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