BRICS-Games in Russland
Wissenschaftler Wolfe: Veranstaltung ist "eine Art Witz"

Rund 4.000 Athleten nehmen in Russland an den BRICS-Games teil - darunter Sportler aus Afghanistan mit Duldung der Taliban. Es sei ein Versuch, eine neue Weltordnung zu demonstrieren, so Russland-Experte Sven-Daniel Wolfe.

Sven Daniel Wolfe im Gespräch mit Maximilian Rieger |
Die Usbekin Vilana Savadyan zeigt ihre Keulenübung der Rhythmischen Sportgymnastik
Rhythmische Sportgymnastik ist eine der Sportarten bei den BRICS Games in Kazan. (picture alliance / dpa / TASS / Yegor Aleyev)
Die BRICS-Games sind eine jährlich stattfindende internationale Sportveranstaltung, die von den BRICS-Staaten (unter anderem Brasilien, Russland, Indien, China, Iran, Vereinigte Arabische Emirate) ausgetragen wird. In diesem Jahr finden sie im russischen Kazan statt.
Rund 4000 Athletinnen und Athleten nehmen teil, darunter auch aus Nordkorea, Afghanistan und aus den abtrünningen Provincen Südossetien und Abchasien. Völkerrechtlich gehören diese Gebiete zu Georgien, in den Gebieten sind aber seit dem Kaukasuskrieg 2008 russische Soldaten stationiert.
Der Geograph Sven Daniel Wolfe lehrt und forscht in Zürich. Wolfe hat in der Vergangenheit in Russland gelebt und gearbeitet. Neben Russland sind auch Sport-Großveranstaltungen Schwerpunkte seiner Arbeit. Im Dlf äußert er sich zu den aktuell laufenden BRICS-Games. Für Wolfe hat die Veranstaltung mehrere Ziele. Als sportlich relevante Veranstaltung sieht er sie aber nicht.

Das Interview im Wortlaut:
Maximilian Rieger: Sind die BRICS-Games die russische Art zu sagen: Auch wenn ihr versucht, uns in der Welt des Sports zu isolieren, wie es westliche Länder in den letzten Jahren nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine versucht haben, wird es euch nicht gelingen?
Sven Daniel Wolfe: Ich denke, das ist ein Teil dessen, absolut. Es ist eine Botschaft gegen die Isolation durch die westlichen Länder. Aber es ist auch eine Botschaft an die Länder des globalen Südens, wenn Sie so wollen - Südamerika, Afrika, Südostasien. Ein Versuch, eine andere Welt oder eine andere Weltordnung zu präsentieren, an der auch sie teilnehmen können. Ich denke, es ist wichtig, das zu bedenken: Es gibt mehrere Zielgruppen für dieses politische Sportprojekt.
Rieger: Ist es also auch eine Fortsetzung der russischen Strategie, Sportveranstaltungen zu nutzen, um diplomatische Vorteile zu erlangen?
Wolfe: Ja, das ist nicht nur in Russland der Fall. Ich denke, jedes Land versucht, durch den Sport eine Art politischen Einfluss zu gewinnen. Das ist nicht unüblich. Ich denke, was die BRICS-Games besonders macht, ist der Kontext des geopolitischen Konflikts zwischen Russland und der EU und den Vereinigten Staaten, der die Art der Sportbeteiligung, die wir sehen, wirklich beeinflusst.
Russland kann nicht in vollem Umfang an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen. Die russische Regierung ist daher nicht in der Lage, den Status ihrer großen Nation so zu zeigen, wie sie es sich wünscht. Deswegen hat die russische Regierung die Staaten-Version eines Kinder-Satzes gesagt: Dann nehme ich eben meinen Ball und gehe nach Hause. Und genau das hat sie getan.

Viele Nationen, wenige Teilnehmende

Rieger: Sie haben die verschiedenen Zielgruppen erwähnt, auf die die BRICS-Games ausgerichtet sind. Glauben Sie, dass dies eine erfolgreiche Strategie für Russland ist: vielleicht nicht die westlichen, demokratischen Staaten einzuladen, sondern - wie sie gesagt haben - Länder aus dem globalen Süden., die aber wichtiger Player sind, wenn wir uns zum Beispiel ihren Anteil an der Weltbevölkerung ansehen.
Wolfe: Ja, das ist richtig. Es ist sehr wichtig, die Länder, die nicht zu den sogenannten "Industrieländern" gehören, nicht zu vernachlässigen. Es gibt eine Milliarde Menschen in Indien, es gibt eine Milliarde Menschen in China: Ein bedeutendes potenzielles Publikum.
Und das sind Menschen, die vielleicht nicht das Gefühl haben, dass sie eine Stimme in globalen Angelegenheiten haben. Oder sie haben vielleicht eine sehr schwierige postkoloniale Geschichte mit den Ländern Europas oder den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage: Ist ihnen das wirklich wichtig?

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Und wenn man sich die BRICS-Games anschaut, dann ist Berichten zufolge die Zahl der teilnehmenden Athleten recht gering, obwohl Russland angibt, dass viele Länder teilnehmen. Da wirkt es so, als sei die Veranstaltung eine Art Witz. Es gibt zum Beispiel viele Wettkämpfe, bei denen es nur einen oder wenige Teilnehmer gibt. Und dann sind zum Beispiel beide Kontrahenten aus Russland. Ich denke also, dass es einen großen Unterschied zwischen der Präsentation und der tatsächlichen Realität gibt.
Rieger: Sind die BRICS-Games also vielleicht auch ein Zeichen dafür, wie sehr Russland an Einfluss in der Welt verloren hat? Vor acht Jahren war man noch Gastgeber der Fußball-WM mit Teams aus aller Welt, jetzt muss man die Taliban einladen.
Wolfe: Ja, das ist genau richtig. Gucken Sie sich an, was in einer dramatisch kurzen Zeit passiert ist, angefangen bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Die wurden 2007 vergeben. Von 2007 bis 2024 ist historisch gesehen wirklich keine lange Zeit, und trotzdem sind die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen völlig vergällt.
Deswegen glaube ich, was die BRICS-Games zeigen: Die Machtstrukturen in Russland sind gegenüber Westeuropa und den USA nicht freundlich eingestellt. Und sie sind ein Zeichen dafür, wie isoliert diese Art von fremdenfeindlicher, wütender, aggressiver Politik ist. Und das ist eine Tragödie für diejenigen von uns, denen die Menschen in Russland und eine tatsächliche Gesprächsebene zwischen unseren Ländern am Herzen liegen. Das zeigt einfach, wie desaströs sich die Politik in Russland entwickelt hat.

Abkapselung von Entwicklungen, Naarativen und den BRICS-Games

Rieger: Sie haben auch viele Jahre in Russland gelebt. Sind die BRICS-Games und andere Sport-Events auch ein Zeichen an die Menschen in Russland?
Wolfe: Das ist ein guter Punkt. Im Moment ist es schwer einzuschätzen, was im Land passiert, für diejenigen, die nicht zurück können. Aber ich wäre sehr überrascht, wenn die BRICS-Games irgendjemanden interessieren würden.
Meine Erfahrung ist, dass die Menschen, die immer noch in Russland sind und vielleicht mit der Politik überhaupt nicht einverstanden sind, sich in eine private Isolation zurückziehen, wie schon in der Sowjetunion – aus Sicherheitsgründen und weil es einfach unmöglich ist, strukturellen Wandel herbeizuführen oder in sinnvoller Art politisch tätig zu werden. Sie kapseln sich ab von politischen Entwicklungen, von Regierungs-Narrativen und meine Hypothese ist: Sie kapseln sich auch ab von den BRICS-Games.
Rieger: Das IOC erlaubt ja nur wenigen Sportlerinnen und Sportlern aus Russland, an den Spielen in Paris teilzunehmen, und nur unter neutraler Flagge. Denken Sie, dass diese Art von Sportereignis eine Gefahr für das IOC darstellt? Oder glauben Sie, dass der Wert des sportlichen Wettkampfs so gering ist, weil der Großteil der Weltelite nicht teilnimmt, dass das IOC sagt: Macht ruhig, das interessiert uns nicht?
Wolfe: Das ist eine gute Frage. Wir wissen, dass das IOC sehr auf den Status von Olympia als das prestigereichste internationale Sportereignis bedacht ist. Und das IOC hat die russische Regierung stark dafür kritisiert, den Sport zu politisieren, mit den Friendship-Games und den BRICS-Games.
Ich denke nicht, dass die eine wirkliche Gefahr für das olympische Projekt darstellen. Aber wir sehen, wie ernst das IOC das trotzdem nimmt. Und es ist sehr interessant, dass das ein weiterer Beweis ist, dass Sport immer politisch war und sein wird.