Die BRICS-Staatengruppe - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - strebt nach mehr Macht. Seit sich das internationale Gefüge zunehmend verändert und sich eine multipolare, neue Weltordnung herausbildet, wächst ihr Gewicht. Sechs neue Mitglieder sollen die Bedeutung des Verbundes nochmals stärken. Offen ist aber, ob die dann elf Staaten in der Lage sein werden, in globalen Fragen eine einheitliche Linie zu finden.
Wer sind die BRICS-Staaten?
Die Abkürzung BRICS steht für die Anfangsbuchstaben der Mitglieder der informellen Staatengruppe: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Das Kürzel entstand in Reaktion auf die bereits existierenden "G"-Gruppen der reichen Industriestaaten (G7, G8, G20). Seit 2009 gibt es regelmäßige Gipfeltreffen der aufstrebenden Länder, die - außer Russland - auch als Schwellenländer bezeichnet werden.
Politisch trennt die Mitglieder des Staatenbundes viel: Einige werden demokratisch regiert, andere nicht. Auch hinsichtlich ihrer Größe, Wirtschaftskraft und außenpolitischen Rolle sind die fünf Staaten sehr verschieden. Aber sie verbindet der Wunsch nach einer multipolaren Welt, in der der Westen seine Macht teilen soll. Auf dem letzten BRICS-Gipfel im August 2023 sprach Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa von der Notwendigkeit einer "grundlegenden Reform" der Weltordnung.
Was ist das Ziel der BRICS-Staaten?
Ziel des Staatenbunds ist es, ein Gegengewicht zur Dominanz des Westens und zu anderen Foren wirtschaftlich starker Länder wie den G7 zu bilden. Auch ihre Abhängigkeit vom US-Dollar als globale Leitwährung wollen die BRICS-Länder reduzieren und prüfen deswegen, inwieweit die Allianz lokale Währungen und alternative Zahlungssysteme nutzen kann.
Es geht um Einfluss in einer sich verändernden Welt. Gemeinsames Ziel der BRICS-Staaten sei auch eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen, betont Südafrikas BRICS-Sonderbotschafter Anil Sooklal. Seit Jahren schon fordert Südafrika zudem einen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat, als Vertreter des afrikanischen Kontinents. Indien und Brasilien streben ebenfalls einen Sitz im Rat an, inklusive Veto-Recht.
Welche Rolle spielt China im BRICS-Verbund?
Die Großmacht China dominiert die BRICS-Gruppe - schon allein deswegen, weil die chinesische Wirtschaft größer ist als die der Volkswirtschaften von Brasilien, Russland, Indien und Südafrika zusammen. China ist für alle anderen BRICS-Staaten ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner.
Die chinesische Übermacht wird von einigen BRICS-Mitgliedern allerdings durchaus kritisch gesehen, Indien will sich dem weltpolitischen Vormachtstreben Pekings nicht unterordnen. Dass China die BRICS-Erweiterung nutzen könnte, um seine Dominanz innerhalb des Bündnisses auszubauen, mache Indien und Brasilien nervös, sagt die südafrikanische Politikwissenschaftlerin Sanusha Naidu.
Für China sei die Erweiterung des Bündnisses Teil einer Strategie zur Neugestaltung der internationalen Ordnung, heißt es in einer aktuellen Studie ("Eine neue Entwicklungsphase der BRICS") der Stiftung Wissenschaft und Politik. Peking werde dabei von Russland unterstützt.
Die drei anderen Mitglieder Brasilien, Indien und Südafrika hingegen hätten der Erweiterung zunächst sehr reserviert gegenübergestanden, da sie dadurch ihren eigenen Status gefährdet sahen – „nicht zuletzt auch deshalb, weil sich einige wirtschaftlich starke Akteure unter den potenziellen Beitrittskandidaten befinden", schreiben die Studienautoren Günther Maihold und Melanie Müller.
Um welche Länder soll der Staatenbund erweitert werden?
Die BRICS-Gruppe hat auf ihrem Gipfel im südafrikanischen Johannesburg im August 2023 die Aufnahme von sechs neuen Mitgliedern beschlossen: Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien werden dem Verbund zum 1. Januar 2024 beitreten.
Mit der Aufnahme der sechs Länder wird sich die Allianz mehr als verdoppeln und geopolitisch sowie wirtschaftlich weiter an Gewicht gewinnen. Die neue Elfer-Gruppe wird nach Angaben von Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bis zu 37 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts erwirtschaften und 46 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren.
Abgesehen von den sechs Neuaufnahmen könnten sich in der Zukunft noch zahlreiche weitere Staaten der BRICS-Gruppe anschließen. Nach Angaben der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor haben etwa 40 Länder Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet, 23 davon konkret. Dazu zählen Algerien, Kuwait, Bangladesch, Venezuela und Thailand.
Wie geschlossen wird die BRICS-Gruppe künftig auftreten?
Für den Berliner Politikwissenschaftler Günther Maihold ist BRICS eine eher „heterogene Versammlung“ mit dem zentralen Akteur China, dem sich die anderen Länder aber nicht notwendigerweise unterordnen. Alle zusammen legten Wert darauf, dass in der internationalen Finanz-, Handels- und Wirtschaftspolitik neue Regeln etabliert würden. Man könne nicht mehr davon ausgehen, dass das westliche Ordnungsmodell allgemein akzeptiert werde, sagt Maihold – und die Erweiterung sei auch ein Zeichen für ein neues Selbstbewusstsein der BRICS-Staaten. Doch insgesamt sei BRICS ein lockerer Staatenverbund ohne gemeinsames sicherheitspolitisches Verständnis.
Was bedeutet die Erweiterung der BRICS-Gruppe für den Westen?
Vor allem die Aufnahme des Iran in die BRICS-Gruppe dürfte in den USA schlecht angekommen sein. Dennoch haben die USA verhalten und diplomatisch auf die BRICS-Erweiterung reagiert. Zum Erhalt des globalen Friedens und der Sicherheit würden die USA weiterhin mit ihren Partnern und Verbündeten "in bilateralen, regionalen und multilateralen Foren zusammenarbeiten", verlautete aus dem US-Außenministerium. Jedes Land könne seine Partner für die Zusammenarbeit frei wählen. Ähnlich äußerte sich auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Unter Experten gibt es unterschiedliche Perspektiven auf die BRICS-Erweiterung. „Die BRICS-Staaten haben weiterhin keine politischen Leitlinien. Die geplante Erweiterung des Bündnisses, darunter vier eindeutig autoritär regierte Staaten, bestätigt, dass den Staatenlenkern ein strategischer Kompass fehlt“, sagt Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. „Ihnen geht es allein darum, möglichst viele Mitläufer auf die vermeintlich anti-westliche Seite zu ziehen.“ Nach der Erweiterung würden autokratisch regierte Staaten die Mehrheit im Verbund bilden, warnt Paqué.
Der Berliner Politikwissenschaftler Günther Maihold ist gelassener. Der Westen müsse sich nun auf „völlig neue Vorstellungen, wie die Weltordnung funktionieren soll“, einstellen. Er fordert, über eine neue Außenpolitik nachzudenken: „Wir haben, glaube ich, ein Problem mit unserer wertegeleiteten Außenpolitik. Wir finden kaum mehr Partner für die Wertepartnerschaft. Das wird ja selbst im eigenen Lager schwierig, wenn man an Israel denkt“, sagt Maihold. Deswegen sollte die Außenpolitik „nicht so stark normativ aufgeladen“ sein und die wünschenswerte Welt in den Vordergrund rücken, sondern eher Wege zu diesem Ziel definieren.
„Klar ist: Wir sind nicht mehr in der Position, unsere Bedingungen und Standards vorzugeben“, sagt hingegen Caroline Kanter, stellvertretende Leiterin der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Man wird von uns erwarten, dass wir Angebote unterbreiten, um zukünftig als attraktiver Partner wahrgenommen zu werden“, so Kanter. Die BRICS-Erweiterung sei „Zeugnis dafür, dass sich die Welt neu sortiert und eine Vielzahl von Staaten sich dem Systemkonflikt nicht beugen möchte“. Deutschland und Europa müssten Rückschlüsse für ihr internationales Handeln ziehen und ausloten, wie ein pragmatischer Umgang möglich sei.
Leonie March, ahe, gem, dpa, AFP, rtr