"Mein geliebtes, gutes Frauchen. Zu dir will ich doch niemals hart und rau sein und werde es nie sein. Es klingt vielleicht die Art und Sprache des in zehnjährigem Kampf hart gewordenen Landsknechts so, aber es klingt bloß so, das Herz ist immer lieb und gut zu dir."
Diese Zeilen schrieb Heinrich Himmler an seine spätere Ehefrau Marga, kurz nachdem er sie 1927 im Zug von Berchtesgaden nach München kennengelernt hatte. Sie arbeitete damals als Oberschwester in einer Berliner Privatklinik, er war stellvertretender Reichspropagandaleiter der NSDAP und lebte in München, war aber ständig unterwegs. Kurz nach der ersten Begegnung begann der Briefwechsel zwischen beiden. Insgesamt 200 Briefe sowie die Tagebücher Marga Himmlers befanden sich jahrzehntelang in Israel in Privatbesitz. Jetzt liegen die persönlichen Aufzeichnungen aus dem Hause Himmler gedruckt vor.
Die Herausgeber Michael Wildt, Historiker an der Berliner Humboldt-Universität, und die Politikwissenschaftlerin Katrin Himmler:
"Unter Historikern war dieses Material durchaus schon bekannt, aber niemand von uns wusste so recht, was in diesen Briefen nun drin stand, sondern wir wussten nur von der Existenz dieser Briefe.
Chaim Rosenthal war unter anderem selbst Holocaust-Überlebender und hatte diese Dokumente in einer Kiste 40 Jahre lang unter seinem Bett aufbewahrt. Und irgendwann war es dann offenbar doch Zeit, sie endlich mal los zu werden."
Den Briefen aus den Jahren 1927 bis 1945 ist zu entnehmen, dass sich Heinrich und Marga Himmler mit "mein geliebter Landsknecht", "guter Dickkopp", "meine geliebe, süße, kleine Frau" oder "mein geliebtes Bengele" anredeten, dass sie vornehmlich Triviales aus ihrem Alltag mitteilten, von Reisestrapazen, Arbeitsbelastung, Krankheiten, Haushalt und Kindererziehung berichteten, aber kaum über ihre Gefühle sprachen.
Wer den Reiz des Privaten und der Schlüssellochperspektive liebt, wird enttäuscht. Ob und welche Wunden zum Beispiel Heinrich Himmlers jahrelange Beziehung zu seiner Sekretärin hinterließ, erfahren wir aus den Briefen nicht. Immerhin gingen aus der Affäre zwei Kinder hervor.
Katrin Himmler, eine Großnichte des SS-Führers, liest hier zwischen den Zeilen:
"Marga hat sich sehr, sehr schwer getan mit dieser Geliebten, sie wusste aber nicht, wie und mit wem und wie viele Frauen es gab offensichtlich. Und sie war sehr verbittert darüber, über diese Untreue ihres Mannes, das wird auch immer wieder – allerdings nur in Andeutungen im Tagebuch - deutlich. Sie äußert sich da auch nicht wirklich offen darüber."
Auch enthalten die Dokumente keine neuen historischen Fakten. Ideologie und Herrschaftsalltag des NS-Regimes blendete Heinrich Himmler völlig aus. Da Marga eine überzeugte Nationalsozialistin war, finden sich allerdings gelegentlich rassistische und antisemitische Äußerungen.
"7. März 1940. Dieses Judenpack, die Polacken, die meisten sehen gar nicht wie Menschen aus, und der unbeschreibliche Dreck. Es ist eine unerhörte Aufgabe, dort Ordnung zu schaffen."
Bisweilen macht Marga ihrem Heinrich Vorhaltungen wegen seiner ständigen Abwesenheit. Doch letztlich unterwirft sie sich ihrem viel beschäftigten Mann und genießt den sozialen Aufstieg an seiner Seite. Während des Krieges hofft sie, dass er nicht zu viel Grauenhaftes sehen müsse. Er ist entweder rücksichtsvoll oder verschlossen und verzichtet darauf, ihr Details des mörderischen Treibens der SS zu erzählen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion, als die Einsatzgruppen der SS hinter der Front Hundertausende umbrachten, schreibt er ihr, dass in diesen Tagen sehr viel los war und die Kämpfe gerade auch für seine Männer sehr hart gewesen seien. Mehr nicht! In den Briefen erwähnt Himmler mit keinem Wort seine Inspektionen in den Vernichtungslagern oder den Judenmord.
"15.7.42 Meine gute Mami. Ich werde in den nächsten Tagen in Lublin, Zamosch, Auschwitz, Lemberg sein, und dann im neuen Quartier. Bin neugierig, ob und wie es dann mit dem Telefonieren geht."
Himmler endet mit herzlichen Grüßen und Küssen an Frau und Tochter und wünscht schöne Tage daheim.
Der SS-Chef kannte keine Skrupel und hatte keine moralischen Bedenken, folgert Michael Wildt aus solchen Briefen.
"Was kann dieses Material sagen? Ich glaube, erst mal wird deutlich, dass dieser Mann in sich stimmig ist. Der ist nicht Dr. Jekyll und Mr. Hyde, der braucht nicht zwei Leben oder zwei Persönlichkeiten, sondern das, was er tut, ist für ihn genauso stimmig wie das, was er an seine Frau schreibt. Der Mann handelt mit einem reinen Gewissen."
Die Briefe und Tagebücher der Himmlers zählen zu den umfangreichsten Dokumentensammlungen aus dem Kreis der NS-Führer. Sie haben einen privaten Charakter und waren nicht, anders als etwa die Goebbels-Tagebücher, für ein größeres Publikum gedacht. Es hat einen gewissen Reiz, dass auch noch fast 70 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes unbekanntes Originalmaterial auftaucht. Der Erkenntnisgewinn im Vergleich zu der 2008 erschienenen Himmler-Biografie von Peter Longerich ist jedoch bescheiden. Dass Nazi-Größen Familienidyll und Massenmord problemlos miteinander verbinden konnten, weiß man spätestens seit den Aufzeichnungen des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß und den sozialpsychologischen Studien von Christopher Browning und Harald Welzer.
Als archivalische Quelle für die zeitgeschichtliche Forschung mögen die Himmler-Briefe hilfreich sein; auch haben die Herausgeber die Dokumente ausführlich und sorgfältig kommentiert, um die historischen Zusammenhänge und Hintergründe zu erläutern. Aber die Biografie des Reichsführers SS muss nicht umgeschrieben werden. Die Figur des Heinrich Himmler erscheint nicht in neuem Licht. Insofern mag der mediale Wirbel, der im Vorfeld der Veröffentlichung entfacht wurde, zwar verkaufsfördernd sein, inhaltlich ist er aber kaum zu rechtfertigen. "Briefe eines Massenmörders" heißt das Buch im Untertitel. Nur, der Massenmörder taucht in den Briefen nicht auf.
Hrg. Michael Wildt und Katrin Himmler: "Himmler privat. Briefe eines Massenmörders"
Piper Verlag, 400 Seiten, 24,99 Euro.
Piper Verlag, 400 Seiten, 24,99 Euro.