Meister! – Hochverehrter Herr van Beethoven! – Exzellenz! – o Gott, wie soll ich Sie ansprechen?
Oder darf ich Lieber Ludwig! sagen?
Ich riskiere es einfach. In gewisser Weise sind wir ja doch Kollegen, nur auf dem Klavier natürlich, wo Dein Können für mich und für jeden Pianisten eine Herausforderung, nein: der Maßstab geworden ist. Und Kollegen, egal wie groß der künstlerische Abstand zwischen ihnen ist, duzen sich einfach. Deshalb also, in aller Verehrung:
"Ich fühle mich dir so nah"
Lieber Ludwig!
Weißt Du eigentlich, wie oft Du hinter mir standest und mir über die Schulter blicktest, wenn mich Deine Sonaten in philosophische Abgründe warfen? Weißt Du, wie oft ich mit Dir geschimpft habe, wenn dein Notentext mir einfach nicht die Antworten gab, nach denen ich suchte? Weißt Du, wie viel Glück, Erleuchtung und Lebenserfahrung Du mir mit Deiner großen Musik gebracht hast? Du weißt es nicht, und ich scheue mich auch heute, es Dir zu gestehen. Aber vielleicht verstehst du jetzt, was ich Dir oben sagen wollte. Bei der Art der Beziehung, die ich zu Dir aufgebaut habe, schien mir ein distanziertes "Hochverehrter Herr van Beethoven" einfach unangemessen. Ich fühle mich Dir so nah, dass ich den gebührenden Abstand, den diese Anrede verlangt, einfach überspringen möchte. Und großen Wert auf Konventionen hast Du ja schließlich auch selbst nie gelegt, nicht wahr?
Weißt Du eigentlich, wie oft Du hinter mir standest und mir über die Schulter blicktest, wenn mich Deine Sonaten in philosophische Abgründe warfen? Weißt Du, wie oft ich mit Dir geschimpft habe, wenn dein Notentext mir einfach nicht die Antworten gab, nach denen ich suchte? Weißt Du, wie viel Glück, Erleuchtung und Lebenserfahrung Du mir mit Deiner großen Musik gebracht hast? Du weißt es nicht, und ich scheue mich auch heute, es Dir zu gestehen. Aber vielleicht verstehst du jetzt, was ich Dir oben sagen wollte. Bei der Art der Beziehung, die ich zu Dir aufgebaut habe, schien mir ein distanziertes "Hochverehrter Herr van Beethoven" einfach unangemessen. Ich fühle mich Dir so nah, dass ich den gebührenden Abstand, den diese Anrede verlangt, einfach überspringen möchte. Und großen Wert auf Konventionen hast Du ja schließlich auch selbst nie gelegt, nicht wahr?
"Du hast Dich musikalisch sehr gut gehalten"
Lieber Ludwig, lass Dir gratulieren. Dieses Jahr ist Dein Geburtstag. 250 Jahre! Dafür hast Du Dich (musikalisch, was sonst?) sehr gut gehalten, denn Du bist für mich und für sehr, sehr viele andere Menschen immer noch der modernste Komponist aller Zeiten. Wie Du es immer wieder schaffst, uns alle zu überraschen und wie wir Interpreten immer wieder über uns selbst überrascht sind, wenn wir Deine Werke spielen, das ist einfach nur – magisch.
2020 hat uns allen einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht, dieses Jubiläum mit Dir angemessen zu begehen. Es waren so viele wundervolle Projekte geplant – ein ganzes Jahr lang solltest Du gefeiert werden, und dann musste alles abgesagt werden, weil eine große Gefahr droht. Aber wir geben uns alle Mühe, Deine Party zu retten. Versprochen!
Vielleicht warst Du ja sogar dabei, als ich vor einigen Monaten das weltweit erste Autokino-Klassikkonzert gespielt habe. Lach jetzt nicht, sonst bin ich gezwungen, Dich daran zu erinnern, in wie vielen Situationen Du Dinge gemacht hast, die vorher undenkbar waren und in denen Du belächelt wurdest!
Zwei Deiner Sonaten habe ich gespielt an dem Abend im Autokino: den "Sturm" und die "Appassionata". Vermutlich ziehst Du jetzt die Stirn in Falten. Aber bedenke: Menschen mögen nun einmal Bilder und Schubladen, und dass diese Sonaten nun Titel tragen, die Du ihnen gar nicht gegeben hast, zeigt nur, wie bedeutend sie für uns geworden sind. Ärgere dich nicht darüber. Aber gestatte mir eine Frage, lieber Ludwig: Wie wörtlich war es gemeint, als Du diese zwei Sonaten mit Shakespeares "Sturm" erklärt hast? Du sollst ja zu Herrn Schindler, Deinem Faktotum, gesagt haben, dass er den "Sturm" lesen solle, um zu verstehen. Als ich mich das erste Mal an diese Sonaten machte, kannte ich diese Geschichte nicht. Also habe ich mich als junger Teenager hingesetzt und nur für Dich und diese Sonaten Shakespeares "Sturm" gelesen. Ich war tief beeindruckt. Aber jetzt will ich es doch endlich wissen: Was genau hat es mit dieser Aussage von Dir auf sich?
"Wie hat Dir meine Sendung gefallen?"
Darf ich Dir auch etwas von mir verraten? Kürzlich bin ich im Beethovenhaus Bonn aufgetreten – so heißt Dein Geburtsort, an dem ein wunderschöner Saal gebaut wurde, jetzt ganz offiziell. Da habe ich zwei andere Werke von Dir gespielt: die Bagatellen op. 119 und den Liederzyklus "An die ferne Geliebte", in der Fassung Deines großen Verehrers und zwischenzeitlich vermutlich guten Freundes im Himmel Franz Liszt. Besonders für den Liederzyklus bin ich Dir sehr dankbar. Wenn ich dieses Werk aufführe, ist meine "ferne Geliebte" meine Großmutter, von der ich mich für immer verabschieden musste. Dieser Zyklus hat mir die Möglichkeit gegeben, meinen Emotionen freien Lauf zu lassen und mich auf meine ganz eigene Art von ihr zu verabschieden.
Ach ja, bevor ich es vergesse, noch etwas anderes: Vor einiger Zeit habe ich für das Radio eine einstündige Sendung mit dem Titel "Mein Beethoven" geschrieben, mitproduziert und eingesprochen. Natürlich war einer meiner ersten Gedanken, als ich mich an diesen Brief setzte, Dich zu fragen, wie Dir denn diese Sendung gefallen haben mag. Und dann merkte ich, was für ein Fauxpas mir mit dieser Frage unterlaufen wäre. Denn das mit dem Hören ist ja vermutlich immer noch nicht wirklich besser geworden, oder? Aber wenn Du möchtest, schicke ich Dir gern das Manuskript zu.
In allergrößter Dankbarkeit für alles, was Du für mich getan hast, was Du für mich tust und was Du noch für mich tun wirst
Dein Alexander Krichel
PS: Ich bereite gerade ein großes Geschenk für Deinen Geburtstag beziehungsweise Deinen Tauftag am 17. Dezember vor. Hoffentlich klappt es, lass Dich überraschen, aber halte Dir den Tag schon mal frei – einverstanden?