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Briefe an Beethoven
"Lieber Ludwig, fühlten Sie sich als Ausgegrenzter"?

Fühlte sich Beethoven als das, was zu seiner Zeit "Mohr" genannt wurde, überlegt die Schriftstellerin Eva Gesine Baur in ihrem Brief an den Komponisten: nämlich als einer, der nicht in eine sich höher wähnenden Gesellschaft passte? Und sei dies vielleicht das Geheimnis der Kreutzer-Sonate?

Von Eva Gesine Baur |
    Die Schriftstellerin und Kulturhistorikerin Eva Gesine Baur, bekannt unter dem unter dem Pseudonym Lea Singer
    Was würde Ludwig von Beethoven wohl davon halten, dass bis heute kaum schwarze Musiker in klassischen Orchestern spielen, fragt sich Eva Gesine Baur (Michael Leis)
    Vor ungefähr zwanzig Jahren las ich zum ersten Mal, verehrter Herr van Beethoven, dass Sie am 11. Dezember 1818 vor Gericht zugeben mussten, bürgerlicher Herkunft zu sein, obwohl sie so getan hatten, als sei das van ein von. Ich konnte es nicht glauben, dass ein Freigeist wie Sie auf Adelsanstrich Wert legte. Angeblich erklärten Sie dann, Hand aufs Herz, Hand auf den Kopf, ihr Adel liege dort. Auf die Idee, dachte ich, hätte er doch früher kommen können.
    Malcolm X: Beethoven "was black as I and you"
    Kurz danach stieß ich auf ein Gedicht von Alfred Brendel, das mich nicht nur wegen seiner unbekümmerten Wortwahl stutzen ließ. Schade übrigens, dass Sie nie gehört haben, wie der Ihre Sonaten spielt. Es ging darin um Mozarts Tod:
    "Als Mozart ermordet worden war", fängt das Gedicht an, "ahnte niemand, nicht einmal Haydn, dass kein Geringerer als Beethoven die ruchlose Tat begangen hatte." Am Ende verrät Brendel auch, warum: "Weil es im Leben Beethovens ein gut gehütetes Geheimnis gab: Beethoven WAR EIN NEGER und Mozart HATTE ES BEMERKT. Nach einem von Beethovens berühmten Fortepianovorträgen hörte man Mozart halblaut zu Süßmayr sagen: Für an Nega spülta netamoi schlecht."
    Brendels Mozart war nicht der einzige, der so etwas sagte. Ihr Kollege Samuel Coleridge-Taylor, Sohn einer weißen Britin und eines Schwarzafrikaners, hatte im Jahr 1907 behauptet, Sie besäßen afrikanische Wurzeln. Und schwarze Bürgerrechtler wie Malcolm X erklärten in den 1960er-Jahren: "Beethoven was black." Das hat für Irritationen gesorgt, weil die das wörtlich nahmen. "He was a Spanish Mohr", eröffnete Malcolm X schwarzen Schülern, "black as I and you."
    Brendel aber brachte mich auf die Idee, es könnte im übertragenen Sinn durchaus stimmen.
    Die gläserne Decke zwischen Komponist und Adel
    Kann es sein, dass Sie sich als das fühlten, was damals "Mohr" genannt wurde, einer, der nicht in die sich höher wähnende Gesellschaft passte? Komponieren durften Sie für Prinzen und Fürsten, Sie durften vor ihnen auftreten, mit ihnen dinieren, sie selbst oder ihre Töchter unterrichten, aber weiter ging es nicht. Zwischen Ihnen und denen lag eine gläserne Decke und keine der adligen Frauen, in die Sie verliebt waren, traute sich, Sie zu heiraten. Haben Sie deswegen eine Ihrer größten Violinsonaten, die neunte, einem Mann gewidmet, dem es wie Ihnen erging? Bekannt ist sie als Kreutzer-Sonate, benannt nach dem französischen Geiger Rodolphe Kreutzer; geschrieben hatten Sie das Stück ursprünglich für einen anderen, das beweist die Widmung: Sonata mulattica, steht im Original von Ihrer Hand, composta per il mulatto Brischdauer, gran pazzo e compositore mulattico.
    Mulattische Sonate, komponiert für den Mulatten Brischdauer, einen großen Verrückten und mulattischen Komponisten.
    Mit dem Englischen waren Sie weniger intim als mit dem Italienischen, trotzdem wusste George Bridgetower, dass er mit jenem Brischdauer gemeint war. Anfang Mai 1803 reichte er bei der Ober-Polizeidirektion in Wien ein Gesuch ein, am nächsten Montag im Augarten nachmittags um eins ein Konzert geben zu dürfen, an dem er pro Eintrittskarte zwei Gulden verdiente. Der Wirt dieser Ausflugsgaststätte verdiente an dem, was nebenher gegessen und getrunken wurde.
    Bis heute kaum schwarze Geigerinnen oder Geiger
    Zwischen Schlürfen, Schmatzen und Tellerklappern wurde, mit Ihnen am Klavier, die Sonate Nr. 9, später sortiert als opus 47, zum ersten Mal gespielt. Entspannt waren Sie vermutlich nicht. Die Tinte war gerade erst trocken. Morgens um acht Uhr hatten Sie die Geigenstimme fertig gestellt, der Klavierpart war ein Fragment, sie hatten nicht mehr genügend Zeit gehabt, ihn auszuschreiben. Ob es daran lag, dass die Zuhörer Sie beide auslachten, wie ihr Schüler Carl Czerny erzählt? Oder daran, dass man das Stück für bemüht originell und exaltiert sonderbar hielt, wie ein Kritiker berichtet? Dann auch noch gespielt von zwei Verrückten, zwei die zwar gemeinsam bei Gräfinnen und Fürsten gastierten, aber doch aus der Mitte des Normalen gerückt wirkten? Später haben Sie sich mit Bridgetower zerstritten, über die Gründe gibt es nur Gerüchte; die Erstausgabe haben Sie jedenfalls seinem französischen Kollegen zugeeignet.
    Portrait des Pianisten Herbert Schuch, durch einen geöffneten, schwarzen Konzertflügel hinweg fotografiert.
    Briefe an Beethoven - „Lieber Ludwig, deine musikalischen Umarmungen sind wichtiger denn je“
    In Beethovens Stücken sei so viel Leben, Nähe und Emotion wie bei kaum einem anderen Komponisten, schreibt der Pianist Herbert Schuch an den Komponisten. Mit diesen Werken habe er vielen Musikern das Leben gerettet.
    Wie denken Sie, verehrter Herr Beethoven darüber, dass heute kaum einmal ein schwarzer Geiger oder eine schwarze Geigerin mit diesem Stück zu hören ist, mit Beethoven überhaupt, auch nicht mit Mozart oder Bach oder Brahms? Sie waren es doch, der Schillers Zeile alle Menschen werden Brüder weltberühmt gemacht hat. Viele schwarze Kinder empfinden klassische Musik bis heute als etwas, das nicht zu ihnen gehört und Beethoven nicht als Bruder. 13 Prozent der Amerikaner sind schwarz, aber nicht einmal zwei Prozent der Musiker und Musikerinnen in amerikanischen Orchestern.
    Vielleicht könnten Sie öffentlich erklären: Ich habe keine schwarze Hautfarbe, aber, Hand aufs Herz, Hand auf den Kopf, hier und hier bin ich schwarz.
    Fände ich großartig. Das würde einiges bewirken. Zuversichtlich dankt im Voraus
    Ihre Eva Gesine Baur