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Briefe an Beethoven
"Lieber Ludwig, Sie waren mega-cis"

Weil es in den USA keine Umlaute gibt, verwendet die Lyrikerin Nora Gomringer auch keine in ihrem Brief an Beethoven. Sie bezweifelt, dass dem Komponisten Ohio oder das 21. Jahrhundert gefallen könnte. Allerdings vermutet sie, dass Beethoven zumindest gefallen könnte, wie seine Werke heute gespielt werden.

Von Nora Gomringer |
Nora Gomringer auf der Buchmesse Leipzig 2017
"Immer noch hat die Musik kaum eine andere Sprache, als ihre eigene", schreibt Lyrikerin Nora Gomringer an Beethoven (imago/Gerhard Leber)
Sehr geehrter Herr van Beethoven,
viele Gruesse aus dem Land, das keine Umlaute auf der Tastatur fuer richtige Gruesse bereithaelt. Alleine fuer diesen Satz haette ich 4 mal die Umlaute bemueht. Es ist ein Land zum Verzweifeln, das Sie allerdings fest in sein Herz geschlossen hat. So ein richtiges Zitate- und Referenzen-Land sind die USA. Die ganze Kultur ist eine grosse Metapher hier, zusammengetragen aus allen Himmelsrichtungen. Maechtige Narrative, viel Kraft, mit pomp und circumstance. Und viel davon! Und haarstraeubend viel Jesus und Christus und Erloesung und Hoellenfeuer. Die Klassik, die Aufklaerung, auch das Romantische versteht man hier ganz falsch. Aber sehen Sie gar nicht erst in Ihr Deutschland, da ist es seit Jahren genauso.
Sie klingen in den Konzertsaelen, in den Hallen und in den Filmen, sind nicht wegzudenken!
Ich sitze in einem Diner mitten in Ohio, ein klassisches, richtiges Diner, das an Trumps "Great Again" Zeiten erinnert - zumindest ist es anzunehmen, dass er die 50er, die 60er meint, als es noch keine Schwulen und Lesben gab, man die Frauen nach ihrem Kriegsdienst wieder willig und kuechendienstbar gemacht hatte, die Welt noch vernuenftig war, die Maenner fremd gehen konnten und die Ehefrauen sich das fortlaechelten mit Guete um die Mundwinkel, man auf den ersten Mann im All hinarbeitete, nachdem ein weiblicher Hund und ein maennlicher Affe halbwegs geklappt hatten.
Bester B! Ich muss mich entschuldigen! Was wissen Sie schon vom status quo der Welt, in der ich lebe? Nehmen Sie es einfach hin, dass ich den Absatz mit Trump begonnen und mit Affe beendet habe. Mir berichtet die Musikforschung allerhand ueber Sie und das kann ich lesen und andenken, wenn es dadadaaa, dadadadaaa into yet another, also einen weiteren Konzertsaal hineinhallt.
Derzeit rollt man über alte weiße Männer
Bitte verstehen Sie's nicht falsch, aber derzeit rollt man ueber alte weisse Maenner die Augen. Das wird auch wieder anders, aber im Moment nehmen diese Typen, die lebenden und die toten, ihre Echos und ihre Schatten viel Raum im kollektiven Gedaechtnis ein und das nervt viele, weil es jetzt nicht nur auffaellt, sondern eben auch eine grosse Lobby gegen diese Weissruecken gibt, dieser grosse Zweifel um die grosse Einseitigkeit aller Brauchtumspflege, allen Erinnerns, aller Cis-Problematik. Cis - damit ist nicht der Ton gemeint! Sondern die eindeutige Eindeutigkeit des Geschlechts. Ach, tauchen Sie da gar nicht erst ein. Sie waren mega-cis. Glauben Sie's mir.
Im Diner hat doch tatsaechlich einer "Roll over Beethoven" von Chuck Berry, ein Saenger schwarzer Hautfarbe, ausgewaehlt und auf Play gedrueckt! Grossartig! Warten Sie, hier ein paar Zeilen:
You know, my temperature's risin'
And the jukebox blows a fuse
My heart's beatin' rhythm
And my soul keeps on singin' the blues
Roll over Beethoven and tell Tchaikovsky the news
Tschaikowsky ist dabei ein Kollege, aber einer, der erst nach Ihnen Furore macht. Auch alt und weiss. Kann ja keiner was dafuer. Erstmal.
Der Blues, ach, das ist Weltschmerz in gesungenen Zeilen. Eine Jukebox - das haette ich vorhin schon erklaeren sollen - das ist eine Kiste, die Musik enthaelt und auf Wunsch abspielt. Ein vielstimmiges Instrument mit unendlichem Repertoire, doch ohne Instrumentalist.
Beethovens großes Vermächtnis
Ueber die Thanksgiving-Tage, das ist das Erntedankfest der Amerikaner, hat das Fernsehen - eine Kiste in der Stube, in der kleine Menschen sprechen und herumlaufen - einen Schauspieler gezeigt, der Sie verkoerperte. Er hiess Gary Oldman und hat auch schon Dracula, ja, den Vampir gespielt. Es ging um das Mysterium Ihrer unsterblichen Geliebten, das uns alle hier in der Zukunft Fragen aufgibt. Auch Ihre Schwerhoerigkeit. Die finde ich persoenlich so tragisch. Aber das ist vielleicht nur Projektion. Mit Brillanz und Tiefe, auf unglaublichen Instrumenten und auch in Jukeboxen. Ihr Klang, Ihr Klang! Seufz. Und Ihr grosses Vermaechtnis, vielleicht Ihr groesstes, sicher Ihr abgetragenstes, die Vertonung des Schillertextes zur Freude. Ich meine, darn! Das ist jedes Jahr ein Megading, DAS zu hoeren! Und vielleicht muessten Sie laecheln, wenn Sie uns saehen: Ein Globus, der die deutsche Sprache im Mund bewegt wie Kaugummi, unsicher und schmallippig, aber Ihre Musik dazu notensicher summt und singt!
Ich wollte, ach, ich wollte Ihnen einfach nur Gruesse aus dem Diner nahe dem Konservatorium senden, in dem Sie mir das letzte Mal begegnet sind. So ruehrend heimatlich, so versunken und praezise von einem jungen Mann in einem Sommerkleid gespielt, so ... Immer noch hat die Musik kaum eine andere Sprache, als ihre eigene. Da hat sich nichts geaendert.
Ruhen Sie sanft auf schoenen Moll-Akkorden!
Ihre Nora Gomringer
PS: Kaugummi ist eine Spezerei, die einem unendlich scheint in ihrem nicht-Verzehr.