Lieber Ludwig,
Du Titan und Schöpfer unter den Menschen. Wir, die Bürger der freien Republiken, haben Dich als Gipfel aller Monumente in unseren Konzertsäle und auf unzähligen Konserven unwiderruflich einbetoniert, niederkniend vor Deiner Musik, repetieren wir sie wie ein Mantra. O Du, Leuchtturm, der alle erblinden lässt!
Man fürchtete Dich, aber längstens bist Du totgespielt, mit Lorbeer bekränzt, eingereiht im Friedhof unserer großartigen Vergangenheit.
"Prometheus war dein Held"
Prometheus war die Hoffnung Deiner Zeit, Sinnbild von Erfindungsdrang und Emanzipation der Menschen aus Untertanen- und Gottesgnadentum, Sinnbild für Herrschaft von Vernunft und Menschenrechten. Er war Dein Held.
Wir, die Menschen aus Lehm, die anfangs so dumm und fühllos waren, von Musen und Apollo lernten wir Musik und Tanz, Vernunft und Einsicht auf dem Parnass. Und Melpomene, die Muse des Trauerspiels, lehrte uns wie der Tod die Tage der Menschen beendet.
"Unsere Vernunft ist nicht genug"
Willst Du wissen, wie es mit uns Geschöpfen des Prometheus weitergegangen ist?
Wir waren fleißig und fruchtbar und haben uns zur Unzahl vermehrt. Wir haben die uns gelehrte Vernunft benutzt, um das uns geschenkte Feuer einzusetzen für Wärme, Kraft, Komfort und Überfluss der Neuzeit. Nichts ist genug. Die Natur wird erwürgt. Auch unsere Vernunft ist nicht genug, der Einsicht zu folgen, dass Feuer immer weiter Feuer gebiert, von Kalifornien, Australien, Sibirien, der Arktis. Bis Feuer die Hoffnung und die Tage der Menschheit beschließt.
Und wir sehen ein, Prometheus und wir, seine Geschöpfe, die meinten, des Zeus nicht achten zu müssen, wir waren doch keine Götter. War der Feuerbringer wirklich der Titan Prometheus oder nicht eher ein Geschöpf der Hölle, Lucifer?
Liebe Grüße ins Jenseits
Patricia Kopatchinskaja