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Briefe und Biografie Jean Pauls

Die im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaft begründete historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Werke Jean Pauls wäre vor einigen Jahren beinahe eingestellt worden. Nun wird sie fortgesetzt: mit den Briefen seiner Freunde und Bewunderer an ihn.

Von Richard Schroetter |
    Niemand habe damals geglaubt, sagt der renommierte Literaturwissenschaftler Norbert Miller, der vor einem halben Jahrhundert fast (1961) eine neunbändige Jean-Paul-Ausgabe mit Walter Höllerer herausgegeben hat, und der es wissen muss, dass die vierte Abteilung der von Eduard Berend 1927 im Auftrag der Akademie der Wissenschaften angefangene Jean-Paul-Ausgabe, je gemacht werde. Der bedeutende jüdische Gelehrte Berend, der "wegen rassischer Unzulänglichkeit" das Projekt nicht weiterführen durfte, flüchtete 1939 in die Schweiz.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Deutschland zurück und ging nach Marbach. Er betreute die Jean-Paul-Edition bis zu seinem Tod 1973 weiter. Bis Abteilung drei allerdings nur. Nach langer Pause setzte man sich 2004 an die vierte Abteilung. Doch die wurde mangels Geld bereits zwei Jahre später wieder eingestellt. Jetzt aber geht es weiter. Norbert Miller, der den Initiator Eduard Berend noch kennenlernte, und der jetzt selbst wieder als Mitherausgeber und Patronsfigur firmiert, sagt dazu:

    "Was wir hier an der Akademie machen, ist die Fertigstellung der vierten Abteilung dieser Ausgabe von Eduard Berend, das war eine historisch kritische Ausgabe, die alles umfasste. In einer ersten Abteilung die Werke. In einer zweiten Abteilung den nahezu unermesslichen Nachlass, der bis heute nicht vollständig ediert ist, in einer dritten die Briefe, in einer vierten, von Berend vorgesehenen, und auch zum Teil gesammelt, aber nicht mehr publizierten Abteilung, das was vielleicht eben das Ungewöhnlichste ist : der große Korrespondenzbereich, der um Jean Paul sich bildenden Cliquen und Freundeskreise. Man darf nicht vergessen, dass Jean Paul der größte Erfolgsautor in den 20er-Jahren um 1795 bis 1815 gewesen ist. Das heißt, alle großen Autoren der Zeit, ältere und neuere, unendliche Leute des öffentlichen Lebens haben mit Jean Paul korrespondiert. Und Jean Pauls Briefe machen nur völligen Sinn, wenn man die anderen Briefe dabei hat."

    Die Briefe an Jean Paul umfassen die Jahre zwischen 1797 und 1800. Das ist die unruhigste (und auch fruchtbarste) Zeit dieses enthusiasmierten hochgestimmten Dichters. Er verlässt das heimatliche Hof, studiert in Leipzig, er geht nach Weimar, er lernt unter anderem Goethe und Schiller, Herder und Wieland, Fichte und die Herzogin Anna Amalia kennen. Er zieht wie ein fahrender Geselle durch die deutschen Provinzen, hält sich mal in Dresden, Halberstadt, Jena, Gotha auf, geht für acht Monate sogar nach Berlin. Er veröffentlicht viel. Es entsteht sein Opus Magnum, der "Titan", für viele sein bedeutendstes erzählerisches Werk. Und er lernt Emilie von Belepsch und Caroline von Feuchtersleben kennen, die sich beide in ihn verlieben und begeisterte Briefe schreiben, wie noch viele andere leicht entflammbare idealistisch engagierte Damen und Herren. Er steht in Verbindung …

    "… mit Karl Philipp Moritz, dem großen Berliner Aufklärer, mit Friedrich Heinrich Jacobi, Goethes Freund und einem der großen Philosophen der Zeit, mit Herder, mit zahllosen anderen Personen, aber auch mit Königin Luise, mit vielen Leuten in Berlin aus dem Adel, aus der Bürgerwelt, bis in die spätesten Tage, in denen er dann mit Ludwig Tieck, dem jüngeren Voss und den Romantikern Briefe wechselte. Das ist schon ein sehr weit gespanntes Netz, das da vorliegt."

    Dieses erstaunliche Netzwerk steht ganz im Zeichen der Freundschaft einer anscheinend unstillbaren schwärmerischen Menschenliebe, einer neuen die Klassenunterschiede und Differenzen unterlaufenden Sympathiekultur, die sich nicht auf Besitz und Privilegien, sondern auf Geist und Herz, auf Witz und Verstand beruft. Die immer effizienter werdenden Postverbindungen erleichtern und befördern die Kommunikation, bringen die Entfernungen zum Schmelzen.

    "Was einem am meisten fasziniert ist das Wechselspiel auf fast allen Ebenen, das verschiebt sich je nach dem Ort, in dem sich die Jean Paulsche Welt abspielt. Das wechselt ziemlich häufig aus der Jugendzeit in Hof und Umgebung zu den Zeiten, wo er in Weimar und Berlin residiert, und bleibt dann bis zu einem gewissen Grade statisch in den letzten 20 Jahren seines Lebens, die er in Bayreuth verbringt."

    Annähernd 400 Korrespondenten und Korrespondentinnen haben an Jean Paul geschrieben und sich auf diese Weise ein wenig verewigt. Aus dieser großen Zahl ragen einige besonders hervor:

    "Es gibt zwei wunderbare Briefwechsel mit seinen Freunden, mit seinem Jugendfreund Christian Otto, das ist die durchlaufendste Korrespondenz. Und es ist der hochinteressante zum Teil auch im eigenen Ort geführte Briefwechsel mit seinem engsten späteren Freund Emanuel Osmund, einem getauften jüdischen Gelehrten in Bayreuth. Dieses sind wohl die zwei menschlich anrührendsten Briefwechsel im Freundeskreis. Und daneben gibt es die zum Teil reichen, zum Teil witzigen, zum Teil außerordentlich sentimentalen Briefwechsel mit dem zahlreichen Damenflor."

    Diese circa 2200 Freundschaftsbriefe sind mehr als nur historische Dokumente. Sie bilden den Grundstein zu einer Rekonstruktion des geistigen Universums des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Deutschland, das nicht nur aus Goethe und Schiller bestand. Und das ist noch eine andere Zielsetzung dieser schwergewichtigen Ausgabe: Bausteine zu Jean Pauls stecken gebliebener Autobiografie.

    "Zusammengerechnet könnte man das die Grundlage einer Autobiografie nennen, denn die Jean Paulsche Autobiografie reicht so recht weit über sein 15. Lebensjahr nicht hinaus. Und alles andere ist in der Fülle seiner großartigen Briefe und in den zum Teil hochinteressanten Gegenbriefen enthalten. Wir denken, wenn es mit der Förderung so weiter geht, wir müssten in vier Jahren mit der vollständigen Jean-Paul-Ausgabe fertig sein."

    Markus Bernauer, Angela Goldack, Petra Kabus (Hrsg.):
    Jean Pauls Sämtliche Werke.
    Historisch-kritische Ausgabe Bd. 3.2 1799 bis 1800

    Akademie Verlag Berlin, zwei Bände, 845 Seiten, 118,00 Euro