Wer am Wahltag arbeiten muss, verreist ist oder aus gesundheitlichen Gründen das Wahllokal nicht aufsuchen kann, kann seine Stimme schon vorher per Brief abgeben. Im Corona-Wahljahr 2021 machte fast jeder Zweite von dieser Möglichkeit Gebrauch. Doch auch nach dem Ende der Pandemie scheint der Briefwahl-Trend anzuhalten: Bei der Europawahl 2024 lag der Anteil der Briefwähler bei 37,7 Prozent.
Wer ist briefwahlberechtigt?
Die Briefwahl kann im Grunde jeder beantragen, der im Wählerverzeichnis eingetragen und zum Beispiel aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen nicht am Wahltag im Wahllokal wählen kann. Seit 2008 muss der Briefwahl-Wunsch auch nicht mehr begründet oder glaubhaft gemacht werden.
Welche Kritikpunkte gibt es an der Briefwahl?
Nicht alle sehen darin eine positive Entwicklung, wird damit doch zur Norm, was ursprünglich nur als Ausnahme vorgesehen war. Auch die Bundeswahlleiterin formuliert es deutlich: „Die Urnenwahl am Wahltag selbst ist in Deutschland nach wie vor das verfassungsrechtliche Leitbild und der vorrangige Weg der Stimmabgabe.“ Sie stehe in einem potenziellen Spannungsverhältnis zu drei der fünf Wahlgrundsätze, argumentierte beispielsweise der Verfassungsrechtler Markus Ogorek im Deutschlandfunk anlässlich der Bundestagswahl vor fünf Jahren.
So könne nicht ausgeschlossen werden, dass Wähler zu Hause von Dritten beeinflusst werden, was dem Grundsatz einer freien Wahlentscheidung widersprechen würde. Auch die geheime Stimmabgabe könne nur begrenzt gewährleistet werden. Außerdem sei bei der Briefwahl nicht jeder Schritt des Wahlprozesses der öffentlichen Kontrolle zugänglich.
Warum kritisieren besonders Rechtspopulisten die Briefwahl?
Aus diesen berechtigten Einwänden gegen die Briefwahl leiten besonders Politiker aus dem rechtspopulistischen Spektrum regelmäßig die Behauptung ab, die Briefwahl sei generell anfällig für Manipulationen. So fordert die AfD zum Beispiel ihre Wähler regelmäßig auf, ihre Stimme nur vor Ort im Wahllokal abzugeben. Wenn die Partei bei den Briefwahlstimmen dann schlecht abschneidet, kann sie dies auf eine angebliche Manipulation der Wahl schieben.
Laut Daniel Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung war diese Strategie besonders bei Wahlen, die während der Coronapandemie stattfanden, zu beobachten. Hellmann betont, dass Narrative zur Manipulierbarkeit der Briefwahl oft einen wahren Kern enthalten, auch, da die meisten bekannten Fälle von Wahlmanipulation mit der Briefwahl zu tun hatten.
Sie würden allerdings massiv überbetont und verzerrt dargestellt. Gerade während der Pandemie wurde die Briefwahl dann genutzt, die anderen Wettbewerber mit Manipulation in Verbindung zu bringen, wenn diese aus Gründen des Infektionsschutzes für die Briefwahl warben.
Hellmann weist außerdem darauf hin, dass die große Diskrepanz zwischen den Präsenzwahl- und Briefwahlstimmen bei den Wählern der AfD vor der Coronapandemie nicht so deutlich wahrzunehmen war.
Dass rechtspopulistische Politiker die Sicherheit der Briefwahl massiv in Zweifel zogen, war dabei nicht nur in Deutschland zu beobachten: Zuerst war diese Strategie der Delegitimierung im US-Wahlkampf 2020 zu sehen, bei der der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump Vorbehalte gegen die Briefwahl immer wieder für politische Attacken nutzte. Dabei fütterten Trump, und in Deutschland auch die AfD, das Narrativ, die Pandemie sei in erster Linie ein Vehikel der etablierten Parteien, ihre Macht auszubauen.
Wie manipulierbar ist Briefwahl wirklich?
Wie bei der Stimmabgabe in Präsenz ist auch die Briefwahl durch verschiedene Kontrollmechanismen geschützt, die eine Manipulation unwahrscheinlich machen. Hinzu kommt, dass die meisten bekannten Fälle von Wahlbetrug auf kommunaler Ebene passierten. Bei einer Landtags- oder gar Bundestagswahl wäre es sehr kompliziert, das Wahlergebnis bedeutend zu beeinflussen. So ist es zum Beispiel nicht möglich, bei der Briefwahl doppelt abzustimmen — einmal per Brief und einmal vor Ort. Hat man erst einmal einen Wahlschein für die Briefwahl angefordert, erhält man im Wählerverzeichnis einen Sperrvermerk.
Wer nach der Beantragung des Wahlscheins seine Meinung ändert und doch vor Ort abstimmen möchte, muss dafür den Wahlschein vorlegen. Wenn die Briefwahlunterlagen an eine abweichende Adresse geschickt werden, an der der Wähler nicht gemeldet ist, geht gleichzeitig ein Kontrollbrief an die Meldeadresse.Sollten Betrüger also versuchen, sich auf diese Weise Zugang zu Briefwahlunterlagen anderer zu verschaffen, würde dies schnell auffallen.
Wie kommt es zu kurzfristigen Veränderungen am Wahlabend?
Doch was ist, wenn sich das Ergebnis im Laufe der Auszählung ändert und bestimmte Parteien plötzlich schlechter abschneiden? Oft taucht dann der Vorwurf auf, bei der Auszählung der Briefwahlstimmen sei betrogen worden. Dabei lässt sich die Verschiebung in der Stimmenanzahl gut erklären: Die Auszählung aller Stimmen, also auch der Briefwahlstimmen, beginnt erst nach der Schließung der Wahllokale am Wahltag, erste Prognosen werden dagegen oft schon direkt um 18 Uhr veröffentlicht.
Sie beruhen allerdings nicht auf tatsächlich ausgezählten Stimmzetteln, sondern auf Nachwahlbefragungen, bei denen unabhängige Meinungsforschungsinstitute zufällig auswählte Personen zu ihren Wahlentscheidungen befragen. Die ersten Hochrechnungen, die dann auf den bisher tatsächlich ausgezählten Stimmen basieren, werden bereits kurz darauf veröffentlicht, im Laufe der tatsächlichen Auszählung wird das Ergebnis dann immer genauer.
Da Briefwahlbezirke oft sehr viele Stimmen auszählen müssen, fließen ihre Ergebnisse erst relativ spät in die Hochrechnungen ein. Und da gerade die AfD bei der Briefwahl regelmäßig schlechter abschneidet, kann sich das Wahlergebnis im Laufe der Auszählung noch einmal merklich verschieben.
Wie läuft die Auszählung der Briefwahlstimmen ab?
Wie alle anderen Stimmzettel auch, werden die Briefwahlstimmen öffentlich ausgezählt. Das heißt, jede und jeder kann bei der Auszählung zuschauen. Diese folgt einem genau festgelegten Ablauf: Am Nachmittag des Wahltages werden die Briefwahlunterlagen geöffnet, dabei wird der verschlossene Umschlag mit dem Stimmzettel vom Wahlschein mit der eidesstattlichen Versicherung getrennt. Hierbei kann es vorkommen, dass Stimmen bereits als ungültig aussortiert werden, wenn zum Beispiel der Wahlschein nicht unterschrieben wurde.
Alle gültigen Stimmzettel kommen ungeöffnet und getrennt von allen anderen Unterlagen in die Wahlurne. So wird sichergestellt, dass geheim bleibt, wer für welche Partei abgestimmt hat. Auch die Wahlhelfer kontrollieren sich gegenseitig: Sie arbeiten immer nach dem Vier-Augen-Prinzip, außerdem sind die Wahlbehörden angehalten, alle im Wahlkreis vertretenen Parteien bei der Zusammensetzung des Wahlvorstandes zu berücksichtigen.
Fazit
Richtig ist, dass es bei der Briefwahl zwar mehr Fehlerquellen und verfassungsrechtliche Bedenken gibt als bei der Abstimmung im Wahllokal. Eine systematische Manipulation durch die Briefwahl ist allerdings nicht belegt. Auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigte sich seit ihrer Einführung im Jahr 1957 immer wieder mit der Briefwahl.
Im Jahr 2013 entschieden die Karlsruher Richter, dass der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl — also, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger abstimmen können — die Einschränkungen bei der Briefwahl bei der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl rechtfertigt. Anders gesagt, ein Verbot der Briefwahl, wie es die Brandenburger AfD zum Beispiel anlässlich der Landtagswahl 2024 forderte, würde für viele Menschen bedeuten, dass sie von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen können.