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Briefwechsel zwischen Blumenberg und Taubes
Ein Stück zentraler Geistesgeschichte

Es ist die Verschiedenartigkeit beider Charaktere, die dem Briefwechsel zwischen den Philosophen Jacob Taubes und Hans Blumenberg seine Würze gibt. Der 1923 geborene Taubes ist ein getriebener, unruhiger Geist. Blumenberg hingegen sucht die Idylle der Provinz.

Von Matthias Eckoldt |
    "Ich fliege eben von Berlin nach Paris und komm im September in New York an. Es würde mich freuen, von Ihnen zu hören."
    So eröffnet Jacob Taubes seinen Briefwechsel mit dem Philosophen Hans Blumenberg und lässt in diesen Zeilen bereits eines seiner Lebensthemen anklingen. Der 1923 geborene Taubes ist ein getriebener, unruhiger Geist. Ständig unterwegs, als wäre er noch immer auf der Flucht vor den Nazis. Viele seiner jüdischen Verwandten wurden in deutschen Vernichtungslagern ermordet. Taubes - selbst ordinierter Rabbiner - trieb die Frage, wie Gott Auschwitz zulassen konnte, in tiefe Glaubenszweifel. Die beste Voraussetzung für seine wissenschaftliche Laufbahn als Religionsphilosoph. Als er 1961 den ersten Brief an den drei Jahre älteren Hans Blumenberg schreibt, pendelt er zwischen seiner New Yorker Professur an der Columbia Universität und Berlin, wo er einen Ruf der Freien Universität an den neu geschaffenen Lehrstuhl für Judaistik bekommen hatte. Bezeichnend für den stets unsteten Taubes ist, dass er den Ruf erst 1963 annimmt und sich die Verhandlungen mit der Universität noch bis 1966 hinziehen. Liest man die Ortsmarken in den Briefen von Taubes, bekommt man den Eindruck, dass er wesentlich größeren Wert darauf legte, aufzubrechen, als anzukommen:
    "Lieber Herr Blumenberg! Kurz vor Absprung in die Vereinigten Staaten möchte ich Ihnen nochmals danken für die Einladung nach Gießen."
    Oder:
    "Obwohl ich am 26. Juni auf einen Sprung nach Berlin kam, hat mich Ihre Post erst vor vierzehn Tagen erreicht. Der Brief wanderte nach New York, und erreichte mich über Paris in Zürich."
    Taubes wurde philosophischer Berater des Suhrkamp Verlages
    Ganz anders Hans Blumenberg. Die Aufenthaltsorte des Gießener Philosophieprofessors wie Oberkleen, Butzbach oder Blankenstein stehen für das Leben eines Einsiedlers, der die Ruhe der Provinz sucht, um sich seinem philosophiegeschichtlichen Thema der Epochenschwelle zu widmen. Während Taubes wie ein früher Top-Manager um die Welt fliegt, schreibt Blumenberg Bücher wie "Die Legitimität der Neuzeit" oder "Die Genesis der kopernikanischen Welt".
    "Ein letztes Wort zu Suhrkamp. Ich habe dem Verlage bisher nur die Copernicana für drei Jahre übertragen. Das Buch mit dem Arbeitstitel "Die Legitimität der Neuzeit", an dem ich während meines Urlaubssemesters im Winter fast ausschließlich gearbeitet habe, schwebt verlegerisch noch im Raume, ganz abgesehen davon, ob der äußere Habitus meiner Arbeiten, in denen ich auf den traditionellen, gelehrten Apparat nicht verzichten mag, in das Bild eines Verlages vorwiegend belletristischer Art und von Beweislasten unbeschwerter Philosophie passen würde."
    Taubes, der wiederum im Gegensatz zu Blumenberg nur ein einziges Buch – das nebenbei bemerkt seine Dissertation war – veröffentlichte, war von Siegfried Unseld als philosophischer Berater des Suhrkamp Verlages angeheuert worden und setzte sich sehr dafür ein, dass Blumenberg dort veröffentlichte:
    "Unseld war heute hier und will gleich Ihrem großen Opus nachstellen. Herzlich Ihr Jacob Taubes."
    Die anfänglich schleppende Korrespondenz – aus dem Jahre 1961 sind nur zwei Briefe, von 1962 sogar nur einer überliefert – intensiviert sich ab 1965. Taubes und Blumenberg verbinden gemeinsame Projekte. Sie veranstalten Tagungen und Kolloquien, laden sich gegenseitig zu Vorträgen ein und arbeiten in der Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik" zusammen. Hier bündeln sich die intellektuellen Interessen von Blumenberg und Taubes, die beide nach den geistigen Tiefenströmungen im Zeitalter der Säkularisierung suchen. Taubes findet sie in apokalyptischen Denkfiguren, Blumenberg in sogenannten absoluten Metaphern, die untergründig Wirklichkeit konstituieren.
    Doch die inhaltlichen Komponenten der fachlichen Auseinandersetzungen sind weniger Gegenstand des Briefwechsels, wohl aber deren Form. Denn schon bald kommen die unterschiedlichen Charakterdispositionen zum Tragen. Blumenberg, der ernste, auf den Fortgang seines Denkens konzentrierte Philosoph, zeigt sich anfänglich irritiert, hin und wieder verletzt und schließlich beleidigt vom notorischen Widerspruchsgeist Taubes. Der Medientheoretiker Norbert Bolz, langjähriger Assistent von Taubes, charakterisierte seinen Lehrer als "unwiderstehlichen Diskutanten, der jede Aussage gegen den Strich zu bürsten verstand". Blumenberg schreibt bereits 1967 unverblümt:
    "Der Typus von Diskussion, wie Sie ihn eingeleitet haben und der mich zu ganz unnötigen bloßen Richtigstellungen aufreizt, ohne sachlich vom Fleck zu führen, erscheint mir als unfruchtbarer Kraftaufwand. Um es kurz zu sagen: Mein Geschmack an derartigem ist begrenzt."
    Taubes erwidert:
    "Welch unfruchtbarer Kraftaufwand auch immer Ihnen abverlangt wurde: das Resultat scheint mir überaus fruchtbar. Denn Sie haben am Ende eine originelle These über Hiob geliefert, über die ich jedenfalls gerne nachdenke."
    Doch Blumenberg ist es leid, von jemandem kritisiert zu werden, der selbst kein Werk schafft. Der Dissens geht letztlich bis an die Grenze des ansonsten von beiden gepflegten guten Umgangstons:
    "Lieber Herr Taubes, Sie beklagten sich, als wir uns zuletzt sahen, über die Grußformel auf meiner vorigen Zusendung. Ich weiß nicht mehr genau, wie Sie es haben wollten – höflicher, ergebener, freundlicher, herzlicher?"
    Nachdem der Briefwechsel für fast fünf Jahre weitgehend zum Erliegen kommt, wendet sich der nunmehr zum zweiten Mal geschiedene Taubes 1977 auf der Suche nach einem tröstenden, persönlichen Wort an Blumenberg:
    "Die Scheidung hat bei mir eine Krisis ausgelöst, die mich zweimal an den Rand jenes Abgrundes brachte, von dem's kein zurück gibt. Dafür mit Monaten von "Klinik" bestraft, die zu meiner Verblödung wirkten.2
    Blumenbergs Antwort kann eisiger nicht ausfallen:
    "Was Sie übers Persönliche schreiben, trifft mich mit dem alten Vorwurf, an den Leiden und Freuden meiner Fachgenossen ohnehin nie genügend Anteil genommen zu haben. Ich selbst wäre in meiner Arbeit viel zu empfindlich und ausgesetzt, als dass ich mir eine Existenz in anderen als konsolidierten Verhältnissen leisten könnte."
    Der von Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml sorgsam herausgegebene Briefwechsel zwischen Taubes und Blumenberg gibt überraschenden Einblick in ein Stück zentraler Geistesgeschichte der alten Bundesrepublik. Von Adorno über Gadamer, Habermas und Hans Jonas bis zu Odo Marquard, Helmut Schelsky und Eric Voegelin sind die Taktgeber intellektueller Debatten der 60er- und 70er-Jahre im Briefwechsel präsent.
    Auch die Person des äußerst eigensinnigen Siegfried Unseld ist immer wieder Thema. Wenn Taubes und Blumenberg wechselseitig von der "Gnadensonne des Verlegers" sprechen, herrscht seltene Einigkeit zwischen den beiden. Das vorliegende Buch ersetzt nicht die Lektüre der Originalarbeiten – aus erwähnten Gründen eher denen von Blumenberg -, macht aber Lust darauf. Auch der akribisch aufbereitete Apparat beeindruckt: Jeder einzelne Brief ist ausführlich kommentiert, zahlreiche Materialien wie Tagungs-Protokolle und einzelne Aufsätze, die in den Briefen verhandelt werden, sind beigefügt, ein 40-seitiges Nachwort gibt geschichtliche wie intellektuelle Orientierung, und ein gut gefülltes Namensregister rundet die Publikation ab. Das Herzstück des ohne Vorwissen lesbaren Buches lebt weniger vom geistigen Austausch, als von der Verschiedenartigkeit der Charaktere, womit einmal mehr erwiesen wäre, dass die Philosophiegeschichte als eine Abfolge verschiedener Temperamente zu lesen ist.
    Hans Blumenberg/Jacob Taubes: "Briefwechsel 1961-1981 und weitere Materialien"
    Herausgegeben von Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml
    Suhrkamp, 349 Seiten, 39,95 Euro