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Brit Bennett: "Die Mütter"
Intelligentes und vielschichtiges Debüt

In ihrem ersten Roman erzählt Brit Bennett von einer Dreiecksbeziehung, vom Aufwachsen in einem Schwarzen-Viertel und davon, wie unheilvoll der Einfluss von Müttern auf ihre Kinder sein kann. Indirekt zeigt sie dabei auch, wie benachteiligt farbige US-Amerikaner heute oft immer noch sind.

Von Tanya Lieske |
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    Prominente Stimme der Anti-Rassismus-Bewegung in den USA: Brit Bennett (Buchcover: Rowohlt Verlag, Hintergrund: imago/ZUMA Press)
    Die Mütter, von denen dieser amerikanische Debütroman - in seinem Originaltitel "The Mothers" - spricht, sind vor allem eines: Sie sind abwesend. Etwa die Mutter der Hauptfigur Nadia Turner, die sich soeben eine Kugel durch den Kopf gejagt hat. Nadia Turners beste Freundin, sie heißt Aubrey Evans, hat auch eine Mutter und die wiederum schaut weg, als Tochter Aubrey in der Kindheit von ihrem Stiefvater missbraucht wird.
    Der junge Mann, der das amouröse Dreieck des Romans komplettiert, heißt Luke Sheppard. Luke ist der Sohn des örtlichen Pastorenhaushalts. Seine Mutter, die Pastorengattin, besetzt wiederum einen anderen, eher manipulativen Muttertyp. Sie organisiert das Gemeindeleben, ist tüchtig, überpräsent, weiß genau, welche Art von Frau für ihren Luke irgendwann die richtige sein wird. Nämlich eher die Scheue - Aubrey - als die Freizügige - Nadia. Doch Nadia ist Lukes erste Liebe. Nadia ist zu Beginn des Romans siebzehn Jahre alt und damit etliche Jahre jünger als der Collegestudent Luke. Soeben wurde Nadia eine Halbwaise und sie versucht nun, in den Worten der Autorin Brit Bennett, ihren inneren Schmerz durch äußeren zu betäuben.
    "Sie hatte ihm nicht erzählt, dass es ihr erstes Mal war, aber er wusste Bescheid. Im Bett fragte er sie dreimal, ob sie aufhören wolle. Sie sagte jedes Mal nein. Der Sex würde weh tun und das wollte sie auch. Luke sollte ihr Schmerz von außen sein."
    Mit 17 ungewollt schwanger
    Nadia wird kurz darauf schwanger und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die siebzehnjährige Nadia will das Kind nicht, sie hat das Schicksal ihrer Mutter vor Augen, die als Zimmermädchen arbeiten musste, weil sie zu früh schwanger wurde. Nadia will und wird studieren, sie will und wird abtreiben, und das Geld dazu besorgt ihr Luke. Was Nadia nicht weiß: Lukes Mutter hat ihrem Sohn die beträchtliche Summe zugesteckt.
    Latrice Sheppard kauft ihren Sohn Luke frei, aber sie verstößt damit gegen die strengen Regeln einer evangelikalen Südstaatengemeinde, deren äußeres Gesicht sie selbst repräsentiert. Die Pastorengattin weiß dies und sie versucht ihre Schuld zu mindern, indem sie Nadia einen Sommerjob in der Gemeinde anbietet:
    "Morgens stand Nadia vor ihrem Schrank und suchte nach einem Outfit, das einer älteren Frau gefallen könnte. Keine Jeans, keine Shorts, keine Tanktops. Nur Freizeithosen, Blusen und züchtige Kleider. Als Girl aus Kalifornien, das meistens Bein und Schulter zeigte, hatte Nadia nicht viel im Schrank, was Mrs. Sheppards Ansprüchen genügte."
    Auch die gleich alte, von ihrem Vater missbrauchte Aubrey Evans arbeitet in den Ferien in der Gemeinde. Der Sommer, in dem Nadia Turner ihr Kind abtreibt, wird zugleich der Sommer, in dem das Missbrauchsopfer Aubrey ihre beste Freundin wird. Ein wenig vertrauenserweckendes Restaurant namens "Fat Charlie’s", der Nachtclub "Cody Richardson" und der Gebetsraum der christlichen Kirchengemeinde, das sind die Orte, an denen sich die jungen Figuren dieses Romans immer wieder treffen. Denn im "Fat Charlies" arbeitet auch Luke, der Fast-Kindsvater, der eine große Karriere als Footballer wegen eines Knochenbruchs früh beenden musste.
    Entscheidungsschwache Männer
    Keiner von den drei früh beschädigten Menschen neigt zur Larmoyanz, was zu einem angenehm untertemperierten Erzählton dieses Romans führt. Nadia studiert später in Michigan Jura; Luke heiratet schließlich Aubrey, so wie es sich seine Mutter Latrice von Anfang an gewünscht hat. Doch als Nadia nach sieben Jahren in ihrem Heimatort wieder auftaucht, flammt die alte Jugendliebe zwischen Luke und Nadia erneut auf. Luke geht nun fremd, Nadia verrät ihre Freundin Aubrey und Luke zeugt mit seiner Frau das Kind, das er mit Nadia nie hatte. In diesen Passagen verstärkt sich der Eindruck, dass die Männer in Brit Bennetts Roman entscheidungsschwach sind. Hier redet sich Luke seinen Seitensprung mit Nadia schön:
    "Die Leichtigkeit, mit der er sich davon überzeugen konnte, es wäre nichts Unrechtes an dem, was er tat, machte ihm ein wenig Angst. Aber Nadia war schließlich zuerst da gewesen. Sie war seine erste große Liebe und hatte möglicherweise doch irgendwie einen rechtmäßigen Anspruch auf sein Herz. (...) Vielleicht war es so wie im Supermarkt, wenn man seinen Platz in der Schlange verließ, um schnell noch ein Brot zu holen, war einem niemand wirklich böse, wenn man seinen alten Platz wieder einnahm. Da man schon einmal dort gewesen war, gab es kein Vordrängeln."
    Ein Chor alter Geistermütter
    Brit Bennett beschreibt sehr genau, wie aus scheinbar zufälligen Entscheidungen das Muster eines Lebens entsteht, mit Trauer und Verlust als zuverlässigen Begleitern. Nadia, Aubrey und Luke werden in ihrem Debütroman als vielschichtige Figuren lebendig. Sie existieren nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil des kleinen kalifornischen Orts Oceanside. Oceanside mit seiner vorwiegend afroamerikanischen Bevölkerung, mit seiner strengen klerikalen Ordnung ist ein Kollektiv mit vielfältigen Beziehungen. Die soziale Struktur trägt die Züge eines Matriarchats und dieses scheint viel älter zu sein als die erzählte Gegenwart. Eine Gruppe sehr alter Frauen gibt dem Ganzen eine Stimme, ein Gewissen und ein Urteil. Sie heißen Bettie, Hattie, Willis und Agnes, und sie sind nicht zufällig auch die Vorbeterinnen im Gottesdienst von Pastor Sheppard. Diese alten Frauen bleiben zwar gesichts- und körperlos, doch ihre Stimmen lamentieren und orakeln in Bennetts Roman wie die Sängerinnen eines griechischen Chors. Das klingt manchmal bedrückend, oft aber auch komisch.
    "Als wir Mädchen waren, trank ein Mann, der um uns warb, erst mit unseren Eltern im Wohnzimmer artig Kaffee. Heute macht ein junger Mann mit jedem Mädchen rum, das ihn ranlässt, und wenn sie dann in der Patsche sitzt - na, Sie können ja mal Luke Sheppard fragen, was diese jungen Männer dann machen."
    Die alten Frauen sind die unheimlichen Geistermütter dieses Romans. Sie berufen sich auf ihre Vergangenheit als Baumwollpflückerin oder Vorabeiterin in den Ford-Werken. Sie haben schwarze Geschichte und Geschichten geboren. In ihnen liegt die Essenz von Brit Bennetts intelligent erzähltem und vielschichtig gedachtem Debütroman: Immer dann, wenn mächtige Mütter am Werk sind, ist Vorsicht geboten. Denn Mütter, egal welcher Hautfarbe, können und werden sich irren.
    Brit Bennett: "Die Mütter"
    Aus dem amerikanischen Englisch von Robin Detje
    Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg. 320 Seiten broschur, 20,00 Euro.