Archiv

Briten im französischen Périgord (1/5)
Nach der großen Welt das kleine Paradies

Sie kommen und sie bleiben: Jeder fünfte Bewohner des Périgord im Südwesten Frankreichs ist Brite. Mit so interessierten Neubürgern wie Ex-Guardian-Korrespondent Martin Walker entdecken die Einheimischen die Geschichte ihrer eigenen Region. Und ihre gemeinsame mit den Briten.

Von Simonetta Dibbern |
    Porträt Martin Walker, Ex-Guardian-Korrespondent und Buchautor
    Der schottische Journalist und Schriftsteller Martin Walker lebt im französischen Périgord. Anders als die Engländer im Mittelalter kam er in friedlicher Absicht (Diogenes Verlag / Klaus Einwanger)
    Turnschuhe, blaues Poloshirt, Sakko – der Schriftsteller sitzt auf der Terrasse des Cafe Cauet, gleich neben der Brücke über die Vezère und direkt neben dem romanischen Rathaus mit dem Glockenturm. Er trinkt einen Espresso, gefrühstückt hat er schon, sagt er. Und auch 3 Seiten geschrieben, wie jeden Tag:
    "Ich arbeite gerade an einem Sachbuch über das Périgord, seine Geschichte, seine Kultur, seine Tradition, über Sprache, Essen und noch ein paar andere Aspekte ..."
    Martin Walker schiebt seine Sonnenbrille in die Stirn und zündet sich eine Zigarette an. Die Einheimischen sagen Périgord, offiziell heißt das Departement Dordogne – wie der Fluss, der im Zentralmassiv entspringt und bei Bordeaux in den Atlantik mündet:
    "Es wurde umbenannt in Dordogne, 1790, nach der französischen Revolution. Man wollte alle Namen aus der Feudalherrschaft ablegen, stattdessen haben sie geographische Namen gewählt."
    Besser als London, Moskau oder New York, findet der Schotte
    Anfang der 80er Jahre kam er mit seiner Familie zum ersten Mal , und dann jeden Sommer. Ein kleines Paradies für die Familie. Und eine gute und erholsame Alternative zum hektischen Korrespondentenleben in London, Moskau oder New York – als Journalist für die britische Tageszeitung "The Guardian" ist der Schotte viel in der Welt herumgekommen.
    "Julia war hier mit unseren Töchtern, ich musste nach Washington, für ein Interview mit Bill Clinton – und ich war gerade auf dem Weg vom Weißen Haus zum Oval Office als Julia anrief und sagte: Ganz egal was du machst, lass alles stehen und liegen und nimm das nächste Flugzeug – ich habe unser Haus gefunden."
    Seitdem hat der Schriftsteller hier Wurzeln geschlagen. So wie viele Briten. Etwa 15. bis 20.000 leben im Périgord, immerhin fünf Prozent der Bevölkerung. Hergezogen wegen der schönen Landschaft mit den sanften Hügeln, wegen der Sonne, der französischen Lebensart – und wegen einer langen gemeinsamen Geschichte, die teils blutig war: vom 12. bis zum 15. Jahrhundert war die Gegend Bestandteil des englischen Königreichs:
    "Eine Studie hat ergeben, dass die DNA von Menschen in England und denen hier im Südwesten Frankreichs fast identisch ist. Na ja, wir hatten 3 Jahrhunderte lang englische Soldaten hier, was wollen Sie erwarten?"
    Erst 1454, nach dem hundertjährigen Krieg, verließen die Engländer den Kontinent.
    "Manche Franzosen fürchten, dass die Engländer die Gegend zurückerobern, Haus für Haus, Straße für Straße – was nun allerdings unterlaufen wurde, mit diesem Brexit ..."
    Man muss miteinander reden, sagt der Einheimische
    Martin Walker schlägt vor, seinen französischen Nachbarn Raymond zu besuchen, es sind mit dem Auto nur ein paar Minuten bis ins Dorf.
    "Da hinten die schottische Flagge, raten Sie, wer dort wohnt!"
    Ein kleiner Weiler mit einer einzigen Straße, gesäumt von Gemüsegärten, ab und zu kräht ein Hahn. Ein älterer Mann mit einem umwerfenden Lächeln kommt mit offenen Armen auf uns zu:
    "Trois bises, une pour la France, une pour l’Allemagne, une pour l’Europe ..." – Drei Küsschen zur Begrüßung, für Frankreich, für Deutschland und für Europa.
    Wo ist die kleine Ente, fragt Martin Walker. "Charly? Wenn er nicht da ist, ist er auf der Wiese", sagt Raymond.
    Ex-Gendarm ist er, 75 Jahre alt und geboren im Périgord. Viele Jahre war er in Lothringen stationiert, er hat sich gut verstanden mit den deutschen Kollegen. Und das, obwohl sein Bruder als Kämpfer der Résistance deportiert worden war. Man muss miteinander reden, sagt er. Und darum stört es ihn gar nicht, dass so viele Fremde in seine Gegend ziehen:
    "Nein, im Gegenteil. Wir hatten hier einen Exodus, in den 60er Jahren sind viele weggezogen aus dem Périgord. Die Briten haben dieser Gegend zu neuem Aufschwung verholfen, sie haben die verfallenen Häuser gekauft und renoviert und jetzt kommen auch andere Europäer. Das Périgord könnte jetzt ein Beispiel sein für eine internationale Gemeinschaft, pazifistisch und kulturell, vor allem kulturell! Denn mit den Neubürgern entdecken wir, dass das Perigord eine Geschichte hat! Ich bin hier geboren – und vieles habe ich erst jetzt begriffen, mit 75 Jahren."
    Erinnerung gegen Recherche beim gemeinsamen Whiskey
    Das, sagt Raymond, hat er auch seinem Nachbarn Martin Walker zu verdanken. Jeden Dienstag treffen sie sich zum Whiskeytrinken. Dann erzählt Raymond die Geschichten, die er erlebt hat oder die man sich so erzählt in der Gegend. Und der Journalist wiederum steuert das bei, was er bei seinen Archivrecherchen herausgefunden hat. Natürlich auf Französisch:
    "Ich hatte Französisch in der Schule, und dann hatte ich eine französische Freundin, da lernt man natürlich am besten ... Und ich fühle mich zu Hause in der Sprache. Ich lese auf französisch, ich höre französisches Radio. Es war, glaube ich, Karl der Große, der mal gesagt hat: zwei Sprachen zu haben, bedeutet zwei Seelen zu besitzen – ein sehr interessanter Gedanke, finde ich."