Bei der Einwanderungsbehörde in Stuttgart stehen die Telefone nicht mehr still, wie eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur sagte. Es habe mehr als 50 Anfragen von britischen Staatsangehörigen zur Einbürgerung gegeben. Erste Anträge seien bereits abgeholt worden. Auch in Köln ist das Interesse an einem deutschen Pass gestiegen. Derzeit gingen täglich bis zu zehn telefonische Anfragen ein, so eine Sprecherin. Schon vor dem Brexit-Referendum sei das Interesse gestiegen. Im ersten Halbjahr 2016 habe es 40 persönliche Beratungsgespräche zur Einbürgerung gegeben. Im gesamten Jahr 2015 dagegen seien es in Köln nur fünf Beratungsgespräche gewesen. Das Kreisverwaltungsreferat in München berichtet von mindestens 20 Anfragen pro Tag. Ähnlich verhält es sich in Hamburg. In Hessen haben seit Jahresanfang 2016 bereits mehr als 100 Briten die deutsche Staatsbürgerschaft schon beantragt.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lebten 2015 rund 106.000 Menschen aus dem Vereinigten Königreich in der Bundesrepublik.
Doppelpass bis zum vollzogenen Brexit kein Problem
Rechtlich ist die Sache eindeutig geregelt: Für EU-Bürger gibt es in Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft. Waliser, Engländer, Schotten oder Nordiren, die sich einbürgern lassen wollen, dürfen also ihren britischen Pass behalten. Das gilt, solange das Vereinigte Königreich in der EU ist, also bis zu zwei Jahre, nachdem der Austritt erklärt wird. Wie solche Fälle danach geregelt sind, ist allerdings noch nicht klar.
Politiker werben für Einbürgerung
In der Politik hat man mit der Einbürgerung von Briten kein Problem - ganz im Gegenteil: Vertreter mehrerer Parteien werben regelrecht dafür, dass Briten per Doppelpass auch im Falle des Brexits EU-Bürger bleiben. So rief SPD-Chef Sigmar Gabriel am Wochenende die Europäische Union auf, auf junge Briten zuzugehen. Diese hätten mit großer Mehrheit für einen Verbleib des Landes in der EU gestimmt. Man könnte jungen Briten, die in Deutschland, Italien oder Frankreich lebten, etwa die doppelte Staatsbürgerschaft anbieten, meinte Gabriel. Sie hätten schließlich besser gewusst, als "die Snobs der britischen Elite", dass es um ihre Zukunft gehe.
Das Urheberrecht auf diese Idee hat Gabriel aber nicht. Schon einige Tage zuvor hatte der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi vorgeschlagen, jungen Briten auf dem Kontinent die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes anzubieten. Hintergedanke des Regierungschefs - und auch des deutschen Wirtschaftsministers Gabriel - dürfte sein, dass es vermutlich gerade junge, gut ausgebildete Briten sind, die auch nach einem Brexit in der EU arbeiten und leben wollen.
Was die Einbürgerung von Briten geht, hat auch die CSU - sonst nicht immer ein Fan der doppelten Staatsbürgerschaft - offenbar keine Bedenken. Der Vorsitzende der Deutsch-Britischen Parlamentariergruppe, Stephan Meyer, ermunterte in Deutschland lebende Briten, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. "Die Briten beweisen mit diesem Schritt, wie attraktiv die EU und die Vorteile, die sie allen Mitgliedern bietet, wirklich sind", sagte der CSU-Abgeordnete der "Bild"-Zeitung. Dabei sollte man ihnen keine Steine in den Weg legen.
Aus Briten werden Iren oder Zyprer
Auch einige Bürger auf den Britischen Inseln suchen Schlupflöcher, um nach einem Brexit weiter die Vorteile der EU zu genießen. Nach dem Austrittsreferendum gab es einen deutlichen Anstieg von Anträgen auf die Staatsbürgerschaft von Irland. Und einige, deren Eltern oder Großeltern aus Zypern kommen, wenden sich an die dortigen Behörden. Seit dem Referendum gebe es täglich durchschnittlich 300 Einbürgerungsanträge, meldeten Medien des Mittelmeerstaats. Zypern war bis 1960 britische Kronkolonie.
(adi/tzi)