Eine radikale Band aus Nottingham in England: "Man muss nicht gemäßigt sein. Man kann skurril sein, und dennoch interessant sein, und Menschen mit einer guten Botschaft erreichen."
Jason Williamson, Rapper, Sänger: Kompromisslos, drastisch, zu keinen Zugeständnissen bereit: "Grundsätzlich bin ich nach wie vor eine aggressive, verbitterte, negative Person. Ich bin sehr zynisch in meinen Beurteilungen anderer Musik, und oft habe ich Recht. Es gibt so viel hohlköpfiges Zeug auf dem Markt."
Sleaford Mods: Ein überraschender Erfolg?
"Wir haben nicht mal geglaubt, dass wir es jemals schaffen würden, außerhalb von Nottingham zu spielen"
Musik "Flipside"
Bei Sleaford Mods gibt es eine klare Aufteilung. Jason Williamson ist für den Gesang beziehungsweise Sprechgesang zuständig, und Andrew Fearn komponiert die Musik. Die Beiden arbeiten seit 2009 zusammen. Vorher gab es ein paar Soloplatten von Williamson. Ursprünglich hieß das Projekt: "That’s shit, try harder", aber sie haben sich doch schließlich für den Namen Sleaford Mods entschieden. Sleaford ist eine Kleinstadt in der Nähe von Nottingham in England. Die raue minimalistische Musik mit dem harten "East Midlands" Arbeiterklassedialekt von Jason Williamson verknüpft, hebt sich von herkömmlicher britischen Popmusik ab.
"Ich weigere mich irgendetwas Klischeehaftes oder Stereotypisches zu machen. Ich mag mich nicht gerne wiederholen. Als ich mit Sleaford Mods anfing, war es mir klar, dass man es anders machen kann. Man muss nicht gemäßigt sein. Man kann skurril sein, und dennoch interessant sein, und Menschen mit einer guten Botschaft erreichen. Ohne Anmaßung, ohne Dummheit. In England gelten wir für viele als zornige alte Männer. Die Musik von Andrew versorgt sich selbst irgendwie. Bei jedem neuen Kapitel dieser Band scheint der Sound reicher und reifer geworden zu sein. Schon auf dem letzten Album "English Tapas" ist der Gesang ausgereifter geworden, die Texte ebenfalls."
Musik "Firewall"
Passende Kulisse für zornige Songs
Die Musik der Sleaford Mods schafft es die Aggression von Punk und von Hip-Hop zu kombinieren. Es ist aber keine normale Punk Band auch keine Hip-Hop Band. Jason spricht rhythmisch auf die Beats von Andrew Fearn, oder versucht sogar zu singen. Fearns Mix aus Punk-Rock mit Hip-Hop Beats unterstützt die krassen Tiraden von Williamson. Die minimalistischen, absichtlich billig klingenden Loops, Gitarren und Keyboards von Andrew Fearn klingen als ob sie im eigenen Schlafzimmer geschaffen seien, und sind die passende Kulisse für die zornigen Songs.
"Ich wäre nicht hier, wenn ich kein Fan wäre, wir sind schließlich Musiker. Ich habe auch meine Einflüsse, die ich halt auf ungewöhnliche Weise umsetze. Ich war lange Zeit ein Sänger in Gitarrenbands. Damals habe ich andere Künstler eher nachgeahmt, und war nicht im Geringsten originell. Erst als ich mich mit Hiphop und Grime beschäftigt habe, hat sich was bei mir geändert.
Unser Sound ist auf unsere Leidenschaft für den Minimalismus von Hip-Hop zurückzuführen. Hip-Hop ist in vielerlei Hinsicht eine Art Punkmusik, die von der schwarzen Community geschaffen wurde. Als es mit Sleaford Mods losging, hatte ich ziemlich krasse Lebensbedingungen, die schwer zu bewältigen waren. Das hat auch den Charakter der Musik von Sleaford Mods stark geprägt."
Musik "Tied up in Nottz"
Der motzige, schimpfende Ton des Sprechgesanges bei Sleaford Mods vermittelt den Eindruck einer Anti-Haltung. Gegen Jeden und Alles.
"Sound ein bisschen salonfähig gemacht"
"Am Anfang war es tatsächlich so: Es gab damals kaum was Interessantes. Bis auf Grime Musik, die in den frühen Nuller-Jahren losging. Unsere Musik war eine Reaktion gegen die Talentnachwuchswettbewerbe im Fernsehen und gegen die abgedroschenen Gitarrenbands und deren lauten prahlerischen Lebensstil. Das war alles so langweilig. Unsere minimalistische Herangehensweise war was Anderes, und wir haben diesen Sound ein bisschen salonfähig gemacht."
Musik "No ones’s bothered"
Der Gesang beziehungsweise Sprechgesang von Jason Williamson transportiert unverblümte Empörung über die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Am Anfang seiner Karriere hat er eher über Banalitäten in seinem Privatleben gesprochen zum Beispiel über Frauengeschichten, Drogenerfahrungen. Im Lauf der Jahre ist er immer politischer und sozialbewusster geworden.
"Es war wie ein Erwachen. Mitte der Neunziger Jahre, hatte ich noch was Selbstzerstörerisches, und ich hatte insgesamt so viele Charakterschwächen. Das war alles mit harten Lebensumständen verknüpft. Irgendwann wurde ich sensibler und ich bekam eine andere, klarere Wahrnehmung, und mir wurde bewusst wie korrupt die Politik sei. Ich habe mich politisch sensibilisiert und habe dann über Menschen geschrieben, die sich am unteren Ende der Gesellschaft befinden."
Musik "Jobseeker"
Kommentar zur Sparpolitik in GB
Das neue Album heißt "Eaton Alive und ist ein Wortspiel. "Eaten alive" heißt "lebendig verspeist". Eaton ist das berühmte Internat, wo viele englische Politiker zur Schule gegangen sind. Der Albumtitel ist eine Aussage zum Thema Brexit und kommentiert die düstere Zeit der Sparpolitik in Großbritannien.
"Wir sind nämlich schon dafür angemacht worden, dass der Albumtitel so offensichtlich sei, der sei quasi Schnee von gestern, weil jeder die Geschichte von der Schule Eaton kennen würde, und Brexit sei sowieso vor drei Jahren passiert. Aber Brexit ist noch nicht eingetreten. Mir gefällt halt die Art wie die Arbeiterklasse die Schüler von Eaton auch heute noch als " hochgestochene Arschlöcher" bezeichnet. Es erinnert mich an den Straßenlobbyismus der Punkmusik der 70er Jahre: kurz und bündige Aussagen ohne große philosophische Gedanken. Der Albumtitel sollte auch vermitteln, dass die weitverbreiteten wirtschaftlichen Sparmaßnahmen, zum Teil von den Politikern angeordnet wurden, deren Ausbildung auf der Eaton Schule abgeschlossen wurde. Wir sind Opfer der Kleingeistigkeit dieser privilegierten Minderheit."
Musik "Kebab Spider"
Herz für Popmusik
"When you come up to me" ist ein Lied auf dem neuen Album und ist ein Zeichen dafür, dass die Band nicht künstlerisch auf der Stelle treten will. Sleaford Mods schaffen es also doch ein Lied zu schreiben, dass nicht wie ein wütender Ansturm klingt. Die Band hat also doch ein Herz für Popmusik, für Soul und R’n’B. Es war schon ein bewusster Versuch Neuland zu betreten, auch wenn es Jason etwas verunsichert hat.
"Andrew sagte zu mir: "Ich habe ein ganz poppiges Lied geschrieben." Das passte gerade weil ich gerade viel Soul und 80er Jahre R’n’B hörte. Ich habe versucht, die Art von Gesang nachzumachen. Aber es klappte nicht. Dann hab ich das Lied so tief wie möglich gesungen, und so funktioniert es, finde ich. Ich weiß nicht, ob es wirklich gelungen ist, aber es fühlt sich gut an Es ist ein kraftvolles Lied. Es ist ein Beweis dafür, wie wir uns weiter entwickeln. Irgendwann muss man den Sound vorantreiben."
Musik "When you come up to me"
Gesellschaftliche Kritik ist omnipräsent. Jedes Lied vermittelt eine Botschaft, wenn teilweise auf unspektakuläre Weise. Zum Beispiel, das erste Lied auf dem neuen Album.
"Into the payzone" ist ein kritisches Lied über den Mittelstand. Es handelt von einer Person, die in den Vororten lebt, und regelmäßig in die Großstadt fährt, um teure Konsumgüter zu kaufen. Sie fährt zurück zum ihrem Eigenheim, und hat während des ganzen Tages keinen sozialen Kontakt. Die Wege des Lebens führen immer mehr in die Isolation."
Musik "Into the payzone"
Williamson und Fearn sind beide Ende Vierzig. Sie sind Spätzünder. Sie schaffen es inzwischen in den meisten europäischen Großstädten, in Klubs mit einer Kapazität von etwas ein Tausend zu spielen. Sie haben spätes Glück erfahren, also weiß Jason, dass man den Erfolg in der Zukunft nicht garantieren kann.
"Ich versuche es zu verdrängen. Natürlich ist es einem bewusst warum das Publikum einen mag. Man weiß, dass man was geschaffen hat, das gewisse Spuren hinterlassen hat. Ob man in ferner Zukunft unsere Musik nachträglich als eine große künstlerische Leistung beurteilen wird, bleibt dahingestellt. Hoffentlich ja. Aus meiner Sicht gehören wir zur Kategorie von wichtigen englischen Bands wie The Specials und The Jam, Stone Roses, Oasis, Ian Dury. Ich hoffe, wir können mit solchen Künstlern standhalten."
Musik "Tweet Tweet Tweet"
Nische gefunden
Sleaford Mods ist keine riesengroße Band mit Charthits, ihre Musik läuft nicht im Mainstream-Radio. Aber ihr Geschäft funktioniert. Am Anfang ihrer Karriere fanden sie es schwierig Fuß zu fassen, weil sie einfach so rau und aufreibend herüberkamen. Dann haben sie sich schließlich doch nach und nach durchgesetzt und ihre Nische gefunden.
"Wir waren selbst überrascht. Das Vereinigte Königreich hatte erst mal kein Interesse gezeigt. Unser Manager hat den Vorschlag gemacht, dass wir es auf dem europäischen Festland versuchen sollten. Wir traten beim Crack Festival in Belgien auf, das als Plattform für neue skurrile Künstler bekannt ist. Wir schlugen dort wie ein Blitz ein. Daraufhin wurde die britische Presse auf uns aufmerksam."
Musik "Big Burt"
Williamson empfindet das Glück des Menschen, der nichts erwartet hat, weil er sich doch für zu unangepasst gehalten hat. Aber dann hat sich alles doch zum Guten gewendet.
"Wir haben nicht mal geglaubt, dass wir es jemals schaffen würden, außerhalb von Nottingham zu spielen. Mein Dialekt war so speziell, der textliche Inhalt oft so extrem, die Schimpfwörter, die ich ständig verwendet habe, waren auch nicht gerade massenkompatibel. Wir waren auch aggressiv in unserem Auftreten. Es war das Gegenteil von dem sogenannten "korrekten" Weg zum Erfolg in der Musikbranche. Unsere steile Karriere ist wie ein Märchen. Ich hab so etwas sonst nur in Biographien über andere Bands gelesen, wie sie über Nacht zum Erfolg kamen, und wie Bands die kulturelle Landschaft etwas verändert haben. Was ich übrigens glaube, das wir auch getan haben."
Musik "Stick in a five and go"
Kontakte zu Berühmtheiten
Die Mitglieder von Sleaford Mods machen keinen Hehl daraus, dass sie sich in ihren Songs für die benachteiligten Menschen in der Gesellschaft einsetzen, und dass sie die Privilegierten missbilligen. Es ist daher nicht ohne Ironie, dass sie inzwischen einige soziale Kontakte mit Berühmtheiten pflegen. Davon handelt das Lied "OBCT" auf dem neuen Album.
"'OBCT' stellt die Albernheiten eines Promi-Lifestyles dar. Das ist zwar nicht Neues, aber wir haben mittlerweile solche Superstars persönlich kenngelernt, und waren schon erstaunt wie sie im wirklichem Leben sind, und wie wenig wahrhaftig die Berichterstattung in der Boulevardpresse über sie wirklich ist."
Musik"OBCT"
Das Album "Divide & Exit" 2014 war das Durchbruchalbum für Sleaford Mods. Das bedeutete ein strenges, stressiges Tagesprogramm für sie mit vielen Verpflichtungen. Bis dahin hatten sie ein anderes, weniger diszipliniertes Leben.
"Am Anfang war es nicht einfach. Ich musste mich ändern, um die Situation zu bewältigen, habe dann konsequent dem Alkohol und den Drogen abgeschworen. Ich musste mein Leben komplett umkrempeln, was mich selbst und auch alle anderen überrascht hat. Ich war über viele Jahre eine ziemlich bedrückte Person. Man lobt mich immer wieder dafür, dass es mir mit Anfang 40 gelungen ist, einen solchen kompletten Wandel durchzuziehen. Es ist schon eine stolze Leistung. Da besteht immer die Gefahr eines Rückfalls in alte Gewohnheiten. Dann denke ich aber darüber nach: "Was würde es mir bringen, wenn ich drei Tage lang Drogen und Alkohol konsumieren würde? Was wäre nach den drei Tagen? Da hätte ich wieder massive Probleme. Würde es sich lohnen? Nein." "
Musik "Tiswas"
"Zornige alte Männer"
Bescheidenheit ist sicherlich keine Stärke von Jason Williamson, aber Selbstvertrauen schon. Er ist überzeugt, dass seine Band die kulturelle Landschaft verändert hat. Er glaubt an seine eigene Wichtigkeit. Das motiviert ihn, scharfsinnig und relevant zu bleiben. Die Sleaford Mods Mischung aus Elektro, Hip Hop und Post-Punk ist schon sehr eigen. Sleaford Mods werden, wie er schon sagte, als "zornige alte Männer" bezeichnet, was durchaus als positive Rückmeldung zu verstehen ist. Der übliche Begriff ist nämlich "zornige junge Männer." Man geht davon aus, dass protestierende Künstler ihr Pulver irgendwann verschossen haben. Es gibt aber kaum ein Zeichen von Altersmilde bei Jason Williamson. Höchstens dass er weniger Schimpfwörter in Songs verwendet als früher, und das die Musik ein bisschen verbindlicher geworden ist. Jason fasst es folgendermaßen zusammen:
"Bei den letzten beiden Alben "English Tapas" und "Eaton Alive" gibt es eine gewisse Leichtigkeit, aber nur ein wenig. Grundsätzlich bin ich nach wie vor eine aggressive, verbitterte, negative Person. Ich bin sehr zynisch in meinen Beurteilungen anderer Musik, und oft habe ich Recht. Es gibt so viel hohlköpfiges Zeug auf dem Markt. Ich glaube nicht, dass ich wirklich mildern werde. Ich bin wie ich bin."
Musik "BHS"