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Britische Bomber versenkten Schiffe
Die Tragödie der "Cap Arcona"

In den letzten Tagen vor Ende des Zweiten Weltkriegs kam es in der Neustädter Bucht zu einer großen Katastrophe. Britische Jagdbomber versenkten einige Schiffe - darunter den ehemaligen Luxusliner „Cap Arcona“. Auf diesen Booten befanden sich allerdings von der SS dorthin getriebene KZ-Häftlinge.

Von Bernd Ulrich |
    Der deutsche Luxusdampfer "Cap Arcona" wurde 1945 in Lübeck versenkt.
    Der deutsche Luxusdampfer "Cap Arcona" wurde 1945 in Lübeck versenkt. (dpa / picture alliance)
    "Zu uns kamen die in Güterwaggons, die standen wie Heringe nebeneinander. Wurden die Toten aus den Waggons ausgeladen, dann ging da einer von der SS dabei mit der Pistole und hat dann noch jedem einen Kopfschuss gegeben, damit die auch wirklich tot waren und wurden dort verscharrt. Also, so etwas Unmenschliches mussten wir da mit ansehen."
    Der zweite Offizier des kleinen Frachters "Thielbek", Walter Felgner, war erschüttert über das, was er am 21. April 1945 im Lübecker Hafen erleben musste. Die "Thielbek" war mit weiteren Schiffen von der SS-Führung dazu bestimmt worden, Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme und mittlerweile auf Todesmärschen dort angelangte jüdische Häftlinge an Bord zu nehmen und zu seeuntüchtigen Schiffen zu bringen.
    Das größte von ihnen, die "Cap Arcona", einstiger Luxusliner der Hamburg-Süd, lag seit dem letzten Transport von Flüchtlingen und Soldaten aus dem damaligen Ostpreußen in der Neustädter Bucht vor Anker, durch fehlenden Treibstoff außer Gefecht gesetzt. Die kleine, durch einen Ruderschaden nicht seeklare "Thielbek" sollte so viele Häftlinge wie möglich zur "Cap Arcona" transportieren.
    Bertram sollte erschossen werden
    Als sie endlich mit 2.800 abgerissenen, halb verhungerten und verdursteten Lagerinsassen aus dem Hafen in die Neustädter Bucht geschleppt wurde, wehrte sich der Kapitän der "Cap Arcona", Heinrich Bertram, gegen die Einschiffung von Häftlingen von der "Thielbek" und weiteren Schiffen, die mittlerweile, ebenfalls vollgepfercht mit Häftlingen, in der Neustädter Bucht lagen. Anfang Mai wurde Bertram schließlich von der SS festgenommen - er sollte erschossen werden. Der Zweite Offizier berichtete, was sich daraufhin im Neustädter Hafen abspielte:
    "Ein SS-Obersturmbannführer mit zwei Soldaten stand an dieser Stelle, um das zu vollziehen. Ich werde die Worte des Kapitäns Bertram nie vergessen, als er sagte, ich habe eine Frau und zwei Kinder, und aus diesem Grunde werde ich den Befehlen des Wahnsinns Folge leisten."
    Ein Massaker - verübt von Bürgern, SS und Soldaten
    Am 2. Mai begannen daraufhin die Einschiffungen auf der "Cap Arcona". Einen Tag später befanden sich über 7.500 Menschen auf den Schiffen in der Neustädter Bucht, davon allein auf der "Cap Arcona" über 4.000. Sie alle wähnten sich nun in Sicherheit und hofften auf die baldige Befreiung.
    Zwei mittlerweile ebenfalls in der Bucht angelangte Lastkähne, besetzt mit Insassen des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig, wurden am frühen Morgen dieses 3. Mai von ihren SS-Bewachern verlassen und trieben an Land. Dort machten sich die Menschen in Neustadt und Umgebung auf die Suche nach Lebensmitteln. Noch am Vormittag wurden über 300 der Männer, Frauen und Kinder erschlagen und erschossen, ein Massaker, verübt von Neustädter Bürgern, der SS und Marinesoldaten.
    Erwin Geschonneck auf der "Cap Arcona"
    Zu diesem Zeitpunkt waren bereits neun Jagdbomber der Royal Air Force im Anflug auf die Neustädter Bucht. Ihr Auftrag: Etwaige Schiffsbewegungen aller mit der Hakenkreuzflagge gezeichneten Schiffe zu zerschlagen. Von den Häftlingen wussten sie nichts. Die Kampfflugzeuge versenkten in kürzester Zeit mit Raketen und Bordwaffen die "Thielbeck" und die "Cap Arcona", nachdem sie die Schiffe zuvor in Brand geschossen hatten. Der später berühmte Schauspieler und Kommunist Erwin Geschonneck befand sich als Häftling aus Neuengamme auf der "Cap Arcona":
    "Kurz hinter mir brach die große Treppe, die auf das Vorderschiff führte, brach ein. Ein alter Genosse wurde mir gebracht, dem fehlten die Beine, und – plötzlich wurde der Horizont schief, und ich sah wie sich das Schiff langsam drehte und auf die Seite drehte."
    "Man stellte den Alliierten eine Falle"
    Geschonneck konnte sich schließlich retten. Er gehörte zu den wenigen, etwa 600 Überlebenden dieses Schreckenstages. Für Wilhelm Lange vom "Förderkreis Cap Arcona-Gedenken" ist klar, dass die Vernichtung der Häftlingsschiffe durch alliierte Flugzeuge im Kalkül der SS lag. Wäre das nicht geschehen, so Langes Überzeugung, hätte die SS die Schiffe gesprengt:
    "Man stellte den Alliierten eine Falle, die tagelang so zu sehen war, und diese Falle haben die Alliierten leider nicht erkennen können, ebenso das Rote Kreuz kam in diesem Fall zu spät, und so kam es zur Katastrophe, dass britische Jagdbomber letztendlich das vollführten, was die Nationalsozialisten den Häftlingen zugedacht hatten."
    Beweisen lässt sich das nicht - aber es spricht sehr viel dafür.
    *Der Autor bezieht sich bei den wiedergegebenen Erlebnissen von Walter Felgner, Thure Dommenget und Heinrich Bertram auf Interviews aus dem Film: „Der Fall Cap Arcona“ von Karl-Hermann Leukert und Günter Klaucke.