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Britische Charts
Deutsche Musik im Mutterland des Pops

Außer Kraftwerk, Scooter und vereinzelte Dance-Acts haben es deutsche Musiker schwer, in den britischen Charts. Der Musikagent Leon Mitchell will das ändern. Er promotet Bands aus dem europäischen Ausland in Großbritannien.

    "Es geht nicht nur und allein darum, dass man ein guter Live-Act ist, oder gute Musik schreibt. Man muss in Großbritannien auch den kulturellen Nerv treffen. Ich muss als Promoter eines internationalen Musikers aus Frankreich oder Schweden anders an die Musikindustrie oder die Sender herantreten, ihnen den Künstler auf eine Art schmackhaft zu machen, die sie verstehen, die vielleicht auf ihren momentanen Coolnessfaktor ansprechen. Wichtig ist es, dass die Musiker die Chance bekommen, sich dem britischen Publikum überhaupt vorzustellen."
    In Ländern wie Schweden, Island oder Frankreich scheint man den Zutritt zum britischen Musikolymp zumindest etwas leichter zu finden als bei uns in Deutschland. Bands wie die Cardigans, The Hives, Daft Punk oder sogar die eigentlich doch eher radiountauglichen Sigur Ros beweisen das. Deutsche Musik hingegen kommt irgendwie nicht ganz so gut an.
    Zu den wenigen Ausnahmen gehören Bands wie Kraftwerk, deren Bedeutung für die Popkultur die Briten vor den Deutschen erkannten. Künstler wie Smiths-Gitarrist Johnny Marr, die Editors oder Paul Weller zählen Kraftwerk zu ihren Lieblingskünstlern, und Radiosender widmen ihnen ganze Tributwochen als Pioniere der elektronischen Musik.
    Ein anderes Beispiel für einen deutschen Act, der es in Großbritannien geschafft hat, ist Scooter! Zwar werden Scooter nicht so sehr verehrt und als Meilenstein der Popkultur gesehen, aber sie werden oft als Ohrwürmer der 90er und Mitbegründer der Ravekultur zitiert.
    Zwischen Scooter und Kraftwerk liegen Welten und zumindest die Hamburger Krawall-Raver polarisieren stark. Was war oder ist deren Geheimrezept und warum fehlt es fast allen anderen deutschen Bands?
    "Oftmals ist es für deutsche oder italienische Bands einfacher mit Dance-Acts in England erfolgreich zu werden, als mit Indie-Bands, die eine Message haben, also viel mit Sprache arbeiten müssen. Ich glaube aber, dass es auch für deutsche Indiebands mit einer Message durchaus möglich ist, in Großbritannien erfolgreich zu werden. Das hängt aber davon ab, wie gut ihr britischer Promoter seinen Job macht! Dazu muss der Manager sowohl die englische Popkultur, die englische Gesellschaft, aber auch die Band verstehen. Nur dann kann das funktionieren."
    Alan McGee ist so ein Manager. Er entdeckte Bands nicht nur Oasis oder Primal Scream, sondern vor 13 Jahren auch die Hives aus Schweden, und setzte sich in den Kopf diese in England zum heißesten Import zu machen. Er rät uns Deutschen, genau das zu tun, was man nicht erwartet. Vollkommen durchgeknallt zieht immer in England, sagt er.
    "Ich hatte es irgendwie hinbekommen, dass The Hives bei der Sendung 'Later with Jools Holland' im britischen Fernsehen auftreten durften. Dabei ist der Sänger mit seiner Gitarre ins Publikum gesprungen, und hat eine Frau aus dem Publikum aus heiterem Himmel angeschrieen! Keiner weiß bis heute, was er da geschrieen hat, aber die Frau hat sich dermaßen erschrocken, und alle Zuschauer waren geschockt! Die Hives waren das größte Gesprächsthema der Musikpresse und verkauften danach 500.000 Platten! So einfach geht das in England!"
    Leon Mitchel hingegen sieht der Förderung deutscher Acts optimistisch entgegen. Für ihn ist ganz klar, über kurz oder lang wird sich auch auf der Insel etwas ändern.
    "Ich glaube, so langsam werden wir Briten auf internationale oder europäische Acts aufmerksam. Auch wenn leider etwas langsam. Um wirtschaftlich stark zu bleiben, müssen wir Input von außen annehmen und fördern! Sonst werden wir irgendwann unseren Status als Mutterland des Pop verlieren. Wenn ihr Künstler in Deutschland seid, denkt nicht, dass es keinen Sinn hat in England! Macht einfach, und falls ihr Hilfe braucht, bin ich gern bereit mit anzupacken."