John le Carrés Agenten sind keine Helden. Keine James Bonds in schnellen Autos, umgeben von schönen Frauen. In le Carrés Werken verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse. Seine Welt der Geheimdienste ist eine Grauzone mit gebrochenen Gestalten.
"Für was hältst Du Spione eigentlich? Moralphilosophen, die über ihrem Glaubensbekenntnis meditieren, an Gott denken oder Karl Marx? Wir sind nicht Heilige. Bei uns gibt es alles: Kriminelle, Narren und Verräter, alles, was man erpressen und kaufen kann, verrückte Idealisten wie mich, infantile Männer, die ihr Leben lang Räuber und Gendarm spielen."
Mit diesem Alec Leamas, dem Spion, der aus der Kälte kam, hatte John le Carré 1963 seinen internationalen Durchbruch als Bestsellerautor. Seitdem hat er einen Erfolgsroman nach dem anderen geschrieben und immer noch nicht damit aufgehört. Autoren seien eigentlich immer auch Spione, sagt er in "Der Taubentunnel", dem neuesten Werk mit Geschichten aus seinem eigenen Leben.
Mit 25 Jahren arbeitete er als Agent für den britischen Geheimdienst
Spionieren und Schriftstellerei seien wie füreinander geschaffen. Beide erforderten sie ein waches Auge für menschliche Verfehlungen und die vielen Wege hin zum Verrat, so John le Carré, der eigentlich David Cornwell heißt. Er muss es wissen. Denn er ist nicht nur Schriftsteller, er wurde im Alter von 25 Jahren auch Agent im Geheimdienst ihrer Majestät.
"Ich war mit großen Erwartungen in den Dienst eingetreten. Meine Führungsoffiziere hatten mein Gefühl geweckt, für diese Aufgabe bestimmt zu sein, und mein Pflichtbewusstsein als gescheiterter Privatschüler wiederbelebt. Aber eine vor dem Zerfall stehende britische kommunistische Partei auszuspionieren, mit gerade einmal 25.000 Mitgliedern, die allein von MI5-Spitzeln zusammen gehalten wurde, entsprach dann doch nicht meinen Vorstellungen."
Zornige Suche nach Moral in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Also wechselte le Carré schließlich vom Inlandsgeheimdienst MI5 zum Auslandsgeheimdienst MI6 und landete, des Deutschen mächtig und als großer Liebhaber deutscher Literatur, an der britischen Botschaft in Bonn und im Konsulat in Hamburg. Hier wurde er zum Chronisten des Kalten Krieges. Doch mit dem Fall der Mauer fiel nicht der Vorhang für den Autor le Carré.
Er fand neue Schauplätze, in der "Libelle" zum Beispiel den Nahen Osten, oder im "Ewigen Gärtner" die dunklen Machenschaften multinationaler Pharmakonzerne in Afrika, in den "Marionetten" den Anti-Terror-Kampf des Westens. All diese Bücher sind immer auch eine zornige und unerfüllte Suche nach Moral in Politik, in Wirtschaft und Gesellschaft gewesen.
Zerrissenheit der Akteure spiegelt le Carrés Persönlichkeit wider
Und in der Zerrissenheit seiner Akteure steckte immer auch ein Stück Persönlichkeit des Autors, am deutlichsten in der "Der blendende Spion" von 1986. Dort tauchte ein Hochstapler und Betrüger namens Rick als Vater des Protagonisten auf. Diesen Vater gab es wirklich: John le Carrés Vater Ronnie, einen rücksichtslosen Gauner, der Zeit seines Lebens Menschen um den Finger wickelte, sie betrog und ins Unglück stürzte, einschließlich seiner eigenen Familie. Le Carré sagt heute über seinen Vater:
"Es wird sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen verrate, dass ich mich in schwachen Augenblicken frage, welcher Teil von mir noch immer Ronnie gehört und wie viel von mir mein Eigen ist. Liegt da wirklich ein so großer Unterschied zwischen dem Mann, der an seinem Schreibtisch sitzt und sich auf dem leeren Blatt Papier alle möglichen Schwindeleien ausdenkt (ich), und dem Mann, der sich jeden Morgen ein frisches Hemd anzieht und mit nichts in der Tasche als seiner Vorstellungskraft loszieht, um seine Opfer reinzulegen (Ronnie)?"
Ohne diesen zwielichtigen Vater, ohne die immer noch andauernde Auseinandersetzung mit dessen menschenverachtender Rücksichtslosigkeit, wäre le Carré wohl nie der Erfolgsautor der Thriller geworden, in denen Spione keine Helden sind.