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Britischer Botschafter zum Brexit
"Jetzt beginnt eine Zeit der Heilung in Großbritannien"

Großbritannien tritt heute aus der EU aus. Der britische Botschafter in Berlin, Sebastian Wood, sagte im Deutschlandfunk, er spüre eine "gewisse Erleichterung", dass jetzt Klarheit über die Zukunft bestehe. Die britische Regierung habe ehrgeizige Investitionspläne etwa für den Norden Englands.

Sebastian Wood im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Sir Sebastian Wood, britischer Botschafter in Berlin
Sir Sebastian Wood, britischer Botschafter in Berlin (picture alliance/ dpa/ Jens Kalaene)
Nach 47 Jahren ist endgültig Schluss. Großbritannien geht eigene Wege und verlässt die Europäische Union. Sowohl in der EU als auch in Großbritannien gibt es dazu gemischte Gefühle. Manche freuen sich auf neue Perspektiven, andere dagegen fürchten sich vor einer ungewissen Zukunft. Denn die Details der künftigen Beziehungen müssen in den nächsten Monaten noch verhandelt werden. Wir haben darüber mit Sir Sebastian Wood gesprochen, der seit 2015 britischer Botschafter in Deutschland ist.
Stefan Heinlein: Sir Sebastian, wie groß ist Ihre Vorfreude auf die britische Unabhängigkeit?
Sebastian Wood: Für mich ist es natürlich ein sehr wichtiger Tag. Ich fühle mich sehr fokussiert jetzt auf die Zukunft der Beziehungen zwischen uns. Ich weiß, dass es für viele hier in Deutschland ein trauriger Tag ist, und es wird natürlich viele in Großbritannien geben, die darüber feiern. Aber ich glaube, dass es gut ist. Ich spüre eine gewisse Erleichterung, dass wir jetzt Klarheit haben über die Zukunft, und insbesondere für die Bürger auf beiden Seiten ist es sehr wichtig, dass wir jetzt Klarheit haben. Wir haben ein Austrittsabkommen ausgehandelt. Es ist schon ratifiziert worden. Und das Abkommen garantiert, dass die Briten, die auf dem Festland leben, und die EU-Bürger in Großbritannien, dass ihre Rechte geschützt werden und dass sie ihr Leben weiterführen können, wie sie jetzt sind.
Dossier Brexit
Heinlein: Ein trauriger Tag für viele in Europa, sagen Sie, Herr Botschafter. Wie einheitlich ist denn bei Ihnen in Großbritannien – und das interessiert uns – die Stimmungslage? Frust oder Freude? Fifty-Fifty wie beim Referendum?
"Hängepartie der letzten zwei Jahre war für alle schwierig"
Wood: Ich würde sagen, dass auch viele Remainer jetzt erleichtert sind, dass wir diese Klarheit haben. Die Hängepartie von den letzten zwei Jahren war für uns alle sehr schwierig, und die Tatsache, dass wir uns jetzt auf die Zukunft fokussieren können, ist für viele wichtig. Jetzt sollten wir nach vorne blicken.
Heinlein: Wie schwierig wird es denn für Ihren Premier Boris Johnson, diesen Riss in der Gesellschaft – und darüber schreiben und reden ja sehr viele – wieder zu kitten, die gespaltene Gesellschaft in dieser Brexit-Frage wieder zusammenzubekommen?
Wood: Jetzt beginnt eine Zeit der Heilung in Großbritannien. Die Regierung hat vor, die Schere zwischen ärmeren Regionen von Großbritannien und dem Südosten kleiner zu machen, hat ehrgeizige Pläne für Investitionsprogramme zum Beispiel im Norden von England, und das werden wir in den kommenden Monaten und Jahren sehen. Der Premierminister wird heute eine Rede darüber halten und Anfang nächster Woche eine Rede über das künftige Verhältnis mit der EU.
"Zu früh für zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland"
Heinlein: Noch weiter im Norden, Herr Botschafter, ist Schottland. Dort gibt es Diskussionen über ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Wie groß ist die Gefahr, dass aus Großbritannien künftig Kleinbritannien wird, wenn die Schotten gehen?
Wood: Innerhalb der nächsten fünf Jahre, während dieses Parlaments in Großbritannien, wird es kein zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland geben. Das letzte Referendum ist 2015 abgehalten worden und beide Seiten haben zurzeit gesagt, dass es eine Generationsentscheidung war. Und so früh ein zweites Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten, das kann man jetzt nicht rechtfertigen.
Heinlein: Ist das die englische Arroganz, die die Schotten nicht mögen, wenn ihnen aus London diktiert wird, ihr dürft in Zukunft kein Referendum machen, auch wenn es euch nicht passt, dass Großbritannien aus der EU ausscheidet, und wir Schotten eigentlich die Bande zu Brüssel halten wollen?
Wood: Offensichtlich wäre es einfach zu früh. Es gab vor fünfeinhalb Jahren eine sehr klare Entscheidung in Schottland. Es war eine Generationenentscheidung und die Politik aus London ist völlig klar darüber.
"Eine völlig neue Phase für beide Seiten"
Heinlein: Nun reden wir über die Zukunft. Das wollen Sie, Herr Botschafter. Die Ehe zwischen London und Brüssel ist nach 47 Jahren gescheitert. Wie geht es jetzt weiter in den geplatzten Beziehungen zwischen London und Brüssel? Es stehen ja Verhandlungen an in den nächsten Monaten. Wie schwierig wird das werden?
Wood: Wir sollten die Verhandlungen als eine Art von schwieriger Zusammenarbeit bezeichnen, würde ich sagen, weil es für beide Seiten sehr wichtig ist, dass wir ein gutes Handelsabkommen Ende des Jahres haben. Es ist eine völlig neue Phase für beide Seiten. Es ist nicht mehr der Fall, dass ein Mitgliedsstaat versucht, aus der EU auszutreten, sondern dass Großbritannien ein Drittstaat wird, der auf Augenhöhe mit der EU verhandelt. Zuhause in Großbritannien haben wir jetzt eine Regierung mit einer sehr großen Mehrheit, die weiß, was sie erreichen will, und das wird eine neue Dynamik in die Verhandlungen bringen, und es ist völlig im Interesse von beiden Seiten, dass wir jetzt die engst mögliche Partnerschaft zwischen Großbritannien als Drittstaat und der EU gestalten.
Heinlein: Es braucht eine neue Dynamik, Herr Botschafter. Was sind denn die wichtigsten Dinge bei den anstehenden Verhandlungen aus britischer Sicht, die in den nächsten Monaten in jedem Fall geregelt werden müssen?
Wood: Wir haben gesagt, die britische Regierung hat gesagt, dass wir ein ehrgeiziges, aber normales Handelsabkommen sehen möchten. Wir werden mehr darüber hören Anfang nächster Woche in der Rede vom Premierminister. Und in so einem Abkommen, wie es der Fall bei CETA ist oder bei Japan ist, müssen beide Seiten den richtigen Ausgleich von Vorteilen und Pflichten finden. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das tun können innerhalb dieses Jahres.
"Hohe Standards behalten"
Heinlein: Sie sagen, zuversichtlich sind Sie. Aber die Europäische Union hat ja glasklar gemacht, dass Großbritannien künftig nur den Zugang zum europäischen Binnenmarkt erhält, wenn sich Ihr Land, Großbritannien, auch künftig an alle Standards, Umwelt- und Sozialstandards halten wird. Wird sich Ihr Premier Boris Johnson darauf einlassen?
Wood: Er wird nächste Woche klar sagen, das erwarte ich, dass wir hohe Standards in Großbritannien behalten werden. Das erwarten unsere Wähler. Wir haben in der Wahlkampagne letzten Dezember sehr klar gesehen, dass es für die Wähler wichtig war, dass wir unsere sehr hohen Standards in Bereichen wie Umweltschutz, Verbraucherrechte, Arbeitnehmerrechte und so weiter, dass wir diese hohen Standards behalten. Es wird aber keine automatische Angleichung mit den Regelungen der EU geben, genau wie der Fall – ich habe es schon erwähnt – bei Kanada oder Japan ist. Wir werden als unabhängiger Drittstaat das Recht haben, unsere eigenen Regelungen zu machen, aber unsere wirtschaftlichen Bedingungen werden vergleichbar bleiben, weil wir sehr hohe Standards behalten werden.
Heinlein: Nun gibt es ja viele Stimmen, nicht nur bei uns auf dem Kontinent, die sagen, die Zeit wäre zu knapp, um ein vernünftiges Abkommen unter Dach und Fach zu bekommen. Es sind ja nur wenige Monate. Im März soll es losgehen, im November müssen die Verhandlungen dann beendet sein. Wie nervös ist man in Großbritannien, dass die Zeit nicht reichen wird?
Wood: Man darf nicht vergessen, wir kommen jetzt in eine Übergangsphase, wo Großbritannien Teil des Binnenmarkts bleibt, aber ohne Mitbestimmungsrecht in Brüssel. Wir werden nicht mehr Mitglied sein und wir werden kein Recht haben, uns an den Entscheidungen der EU zu beteiligen. Politisch ist so ein Status nicht ertragbar. Es kann nicht lange dauern. Und wir haben ein gemeinsames Ziel in der politischen Erklärung, die wir letztes Jahr ausgehandelt haben, bis Ende des Jahres ein umfassendes Abkommen auszuhandeln. Ich glaube, dass die Zeit genug ist, wenn beide Seiten viel Energie und politischen Willen zeigen. Nach meiner Erfahrung: Je mehr Zeit man für solche Verhandlungen hat, desto länger dehnen sie sich aus. Volldampf voraus!
"Rechte der Bürger auf beiden Seiten gut geschützt"
Heinlein: Sir Sebastian, eine Frage möchte ich noch loswerden an den Botschafter von Großbritannien. Viele in Deutschland lebende Briten haben eine deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Wie interpretieren Sie diese Entwicklung? Warum wollen viele Ihrer Landsleute Deutsche werden?
Wood: Vor Ende letzten Jahres war es noch nicht klar, ob wir ein Austrittsabkommen haben würden, das die Rechte von Bürgern auf beiden Seiten garantiert, und manche haben natürlich Vorkehrungen gemacht. Das verstehe ich natürlich. Aber jetzt ist es sehr wichtig für die Briten, die in Europa, die in der EU leben, zu verstehen, dass das Austrittsabkommen ihre Rechte versichert und garantiert und dass sie ihr Leben auf dem Festland-Europa weiterführen können, wie sie jetzt sind.
Heinlein: Können sie umgekehrt einem, in London lebenden deutschen Staatsbürger guten Gewissens heute hier im Deutschlandfunk versprechen, es wird sich ab 2021 auch für Dich nichts negativ verändern, Du wirst keine Nachteile haben durch den Brexit, weder privat noch beruflich?
Wood: Ja, das kann ich. Im Großen und Ganzen ist das der Fall, dass die Rechte der Bürger auf beiden Seiten, auch der EU-Bürger in Großbritannien gut geschützt sind: Zugang zum Arbeitsmarkt, zu sozialen Leistungen, zu öffentlichen Diensten und so weiter. Und die britische Regierung hat seit unserem Referendum immer wieder betont, dass die EU-Bürger, die in Großbritannien leben, für uns ein wichtiger Teil unseres Landes sind, einen großen Beitrag geleistet haben, dass wir sie lieben und dass wir nicht wollen, dass sie Großbritannien verlassen. Aber jetzt sind die Rechte vom Austrittsabkommen garantiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.