Dirk-Oliver Heckmann: Einmal hat Theresa May ja die Abstimmung im britischen Unterhaus über den Brexit-Vertrag schon mal verschoben, weil sie sicher war, keine Mehrheit zu erhalten. Morgen aber soll es soweit sein. Morgen heißt es für die Abgeordneten hop oder top. Die britische Premierministerin hat am Wochenende noch mal eindringlich vor einem Scheitern gewarnt, denn die Alternative sei ein harter Brexit ohne Abkommen, oder sogar gar kein Brexit. Allerdings zeichnet sich weiter keine Mehrheit ab.
Die oppositionelle Labour Party, die hütet sich, May beizuspringen. Innerhalb ihrer Konservativen Partei hat May keine Mehrheit und auch die nordirische DUP macht nicht mit. Zugehört hat Elmar Brok von der CDU, langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, jetzt Brexit-Beauftragter der christdemokratischen EVP-Fraktion. Guten Morgen, Herr Brok!
Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heckmann!
Heckmann: Herr Brok, wenn Sie den Abgeordneten im Unterhaus einen Rat geben sollten, was würden Sie sagen?
Brok: Dann würde ich sagen, dass man dieses Abkommen annehmen sollte, denn dieses Abkommen ermöglicht, dass man dann eine zwei, möglicherweise vier Jahre Übergangsregelung hat, bei der die gegenwärtige Binnenmarkt-Mitgliedschaft Großbritanniens bestehen würde. Es würde sich nichts Dramatisches tun.
In der Zeit könnte man einen neuen Vertrag, einen Freihandelsvertrag, der sehr weitgehend ist, aushandeln, auch andere Dinge vereinbaren, die mit innerer und äußerer Sicherheit, Forschung und so weiter zu tun haben, um auf diese Art und Weise den Schaden vom Brexit niedrig zu halten. Eine solche Übergangsfrist gibt es nur, wenn dieser Vertrag abgeschlossen ist.
Heckmann: Erwarten Sie denn auch, dass Theresa May doch noch eine Mehrheit bekommt?
Brok: Ich hoffe es, aber ich fürchte, dass Herr Meurer mit seiner Analyse recht hat. Allerdings ist es auch richtig: Wenn die Mehrheit knapp ist, gibt es nach den britischen Regeln noch mal die Möglichkeit, den Vertrag vorzulegen. Aber es sind viele dabei, die gar nicht heraus wollen aus der Europäischen Union, die auf ein neues Referendum hoffen, aber dieses Referendum kann nicht bis zum 29. März durchgeführt werden, wo eigentlich der Schlussstein gesetzt ist, wo nach den Regeln die Veranstaltung beendet ist und sie herausgehen müssen.
Und wenn das dann länger dauert, dann kommen die Europawahlen. Dann kommen Schwierigkeiten hinein, dass britische Abgeordnete neu gewählt werden müssen, die dann über den zukünftigen Kommissionspräsidenten, die zukünftige Kommission mit entscheiden und dann auch die Zukunft der Europäischen Union mitbestimmen, ohne dass sie anschießend noch dabei sein könnten. Denn ob das Referendum positiv ausgeht, mag bezweifelt werden.
"Es droht ein harter Brexit"
Heckmann: Wenn es überhaupt zu einem zweiten Referendum kommt. Das ist ja auch noch sehr unklar. Aber, Herr Brok, dann kommen wir mal zu dem Szenario, das wahrscheinlicher ist. Nämlich wenn Theresa May morgen die Abstimmung verliert im Unterhaus, was wäre dann aus Ihrer Sicht die Folge?
Brok: Die Labour Party mag dann einen Misstrauensantrag stellen. Ob der gewonnen wird, ist zu bezweifeln, denn die Konservative Partei wird nicht Neuwahlen mögen, weil sie Sorge haben muss, dass sie dort verliert, so dass das abgelehnt wird. Dann sind wir in der Tat in der Situation, die Theresa May auch beschrieben hat, dass man dann zu einem harten Brexit kommt, mit den schlimmen, insbesondere ökonomischen Konsequenzen für beide Seiten, aber insbesondere für Großbritannien.
Oder wir sind in einer Situation, dass sie auch durch eine Regierungsentscheidung erst mal den Artikel 50 Brief, das den Brief des Austritts zurücknehmen, denn nur durch den ist die Zwei-Jahres-Frist gelaufen, die am 29. März ausläuft. Nach dem letzten Urteil des Europäischen Gerichtshofs wäre das möglich. Aber auch dafür sehe ich jetzt keine Mehrheit. Das Problem in Großbritannien ist es: Sie haben Mehrheiten gegen alles, aber keine Mehrheit für irgendetwas, und das macht die Situation so dramatisch.
Heckmann: Der britische "Guardian" berichtet ja bereits, dass die EU-Kommission sich darauf einstelle, dass das Austrittsdatum verschoben wird, Artikel 50 noch mal auf die lange Bank geschoben wird. Sollte man darauf eingehen, wenn es dazu kommt?
Brok: Auf jeden Fall würde ich das heute behaupten, das zu machen. Wir werden danach zu überlegen haben, was, glaube ich, eher wahrscheinlich ist, wenn das Ergebnis nicht zu dramatisch wird, dass dann noch mal ein zweiter neuer Anlauf gemacht wird.
Heckmann: Ein neuer Anlauf gemacht wird, neue Verhandlungen aufgenommen werden?
Brok: Ein neuer Anlauf aufgenommen wird und noch mal abgestimmt wird.
"Sie werden dramatische Investitionsrückgänge in Nordirland haben"
Heckmann: Viele Abgeordnete haben ja ein Riesenproblem mit der sogenannten Backstop-Lösung. Die besagt, dass das gesamte Vereinigte Königreich automatisch in der Zollunion bleibt, wenn es keine Einigung auf ein Freihandelsabkommen gibt. Das Ganze soll ja verhindern, dass es zu einer harten Grenze in Nordirland kommt.
Viele Konservative fordern, dass das britische Unterhaus darüber entscheidet, ob diese sogenannte Backstop-Lösung greift oder nicht. Müsste man da nicht noch mal dran, wenn es doch noch zu Nachverhandlungen kommen sollte?
Brok: Da könnte man Klärungen erzeugen. Aber Sie müssen sehen: Diese Regelung ist dazu da, eine Versicherung zu sein. Wenn man eine Feuerversicherung hat und der Versicherungsgeber, die Versicherung selbst die Berechtigung hat zu entscheiden, ob die gilt oder nicht, dann kann man sie auch gleich lassen. Aus dem Grunde kann nicht das Unterhaus diese Entscheidung alleine haben.
Die harte Grenze in Irland, die ja dann auch EU-Außengrenze ist, würde ja bedeuten, dass dort wirtschaftlich und auch menschlich-familiär dramatische Konsequenzen eintreten und Nordirland dann auch möglicherweise wieder in diese Auseinandersetzung kommt, diese bürgerkriegsähnlichen Zustände, die es dort gegeben hat.
Heckmann: Wäre das wirklich so dramatisch, wie Sie das jetzt darstellen? Glauben Sie denn wirklich, dass die Nordiren und die Iren wieder zu den Waffen greifen würden, wenn es da Grenzkontrollen gibt?
Brok: Sie müssen sehen: Die Familien wohnen auf beiden Seiten. Wenn ich das platt sagen darf: Die Kühe stehen auf der einen Seite und die Molkerei ist auf der anderen Seite. Das hätte dramatische Folgen. Wenn Sie zwischen Dörfer gehen, müssen Sie mehrfach die Grenzen wechseln, und wenn da jedes Mal wieder Kontrollen durchgeführt werden, wird das schwierig. Sie werden dramatische Investitionsrückgänge in Nordirland haben. Das würde wieder dramatisch zu einem Sozialproblem werden.
Die Auseinandersetzungen waren ja nicht nur katholisch-evangelisch, sondern sie gingen auch entlang der Linien, will man ein geeintes Irland oder nicht, will man, dass die soziale Gleichheit in dem Land geschehen ist. Es waren ja harte Auseinandersetzungen gerade um das Wirtschaftlich-Soziale, zwischen den Bevölkerungsschichten. All dieses steht dann wieder in der Gefahr. Das Karfreitags-Verhandlungsergebnis, das dieses abgebaut hat, hat sehr eng mit der Europäischen Union zu tun, und hier haben wir, glaube ich, dann erhebliche Probleme. Wir wollen einen Freihandelsvertrag in beiderseitigem Interesse.
Wir sind doch auch an einem Freihandelsvertrag interessiert. Wir wollen doch nicht WTO-Regeln haben. Wir möchten keine Zölle haben. Wir möchten Handel und Wandel haben. Deswegen haben wir ein Interesse daran, dass wir diesen Freihandelsvertrag bekommen, und deswegen ist die Sorge ungerechtfertigt.
"Für meine Kandidatur kriege ich viel Aufforderung, viel Rückenwind"
Heckmann: Trotzdem sagt der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, man hätte Theresa May viel stärker entgegenkommen müssen. Man hätte dieses Freihandelsabkommen zum Beispiel direkt angehen können und auch müssen. Das habe man nur nicht gemacht, um andere Länder abzuschrecken, ebenfalls aus der EU auszutreten. War das nicht ein verheerender Fehler?
Brok: Nein, denn das hätte sicherlich Großbritannien gern gewollt, denn wir müssen hier bestimmte Vorbedingungen geregelt haben, die mit Bürgerrechten zu tun haben von Deutschen und allen Europäern, die in Großbritannien leben, die sich darauf verlassen haben, dass sie dort mit aller Berechtigung, die sie heute haben, weiter leben können. Sie haben ihr Leben darauf eingestellt. Die Fragen müssen geregelt werden, die mit den finanziellen Pflichten zu tun haben, und Ähnliches.
Auf dieses Verhandlungsmodell hat man sich auf beiden Seiten geeinigt. Günter Verheugen ist immer sehr klug, seitdem er nicht mehr in Brüssel ist, und hat, glaube ich, die Zusammenhänge nicht ganz verstanden.
Heckmann: Noch eine Frage zu Ihnen persönlich, Herr Brok. Der Vorstand der NRW-CDU hat Sie ja nicht für einen Listenplatz bei der anstehenden Europawahl gesetzt - nach fast 40 Jahren Mitgliedschaft. Wie sauer sind Sie darüber und haben Sie schon entschieden, ob Sie trotzdem kandidieren werden auf der Landesdelegiertenkonferenz in Siegburg?
Brok: Die Bezirksvorsitzenden haben mich auf einen Listenplatz gesetzt, der geschäftsführende Landesvorstand. Das sind alles nur Vorschläge. Der Gesamtvorstand ganz knapp nicht. Und ich werde mir vorbehalten, in knapp 14 Tagen auf der Delegiertenkonferenz zu kandidieren. Dafür kriege ich viel Aufforderung, viel Rückenwind. Ob ich es machen werde, werde ich im gleichen Augenblick entscheiden.
Heckmann: Wovon machen Sie es abhängig?
Brok: Das hat auch mit mir persönlich zu tun, damit, ob ich das mache oder nicht, zu tun. Aber es ist auch sinnvoll, dass man das mit Parteifreunden bespricht.
Heckmann: Elmar Brok war das, Brexit-Beauftragter der christdemokratischen EVP-Fraktion. Er gehört der CDU an. Herr Brok, danke Ihnen für Ihre Zeit an diesem Montagfrüh.
Brok: Ich danke Ihnen, Herr Heckmann.
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