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Brok: Türkei fehlt EU-Reife

Der CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok hält einen EU-Beitritt der Türkei nicht für wünschenswert. Das Gerangel um den Posten des NATO-Generalsekretärs habe gezeigt, dass das Land nicht reif sei für eine Vollmitgliedschaft. Die Europäische Union würde sich darüber hinaus mit einer erneuten Erweiterung übernehmen, sagte Brok.

Elmar Brok im Gespräch mit Friedbert Meurer | 08.04.2009
    Friedbert Meurer: Eine Woche lang jagte ein Gipfel den anderen. Erst brüteten die G20-Staats- und Regierungschefs über die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, dann zog die Karawane weiter zum NATO-Gipfel nach Straßburg und Baden-Baden, und am Sonntag folgte dann das Gipfeltreffen der EU-Chefs mit US-Präsident Barack Obama. Obama hat dann tags darauf in Ankara vehement dafür geworben, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen. Elmar Brok ist seit langen Jahren Europaabgeordneter der CDU, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments. Guten Tag, Herr Brok.

    Elmar Brok: Guten Tag!

    Meurer: War das eine Woche voll schöner Worte, der jetzt Taten folgen müssen?

    Brok: Die Worte waren im Wesentlichen schön, mit Ausnahme der Fragen, die mit dem NATO-Generalsekretär zu tun hatten. Aber wir haben ein besonderes Problem natürlich jetzt in der Umsetzung, und das Wesentliche wird dabei sein: Gelingt es, die positiven Beschlüsse von London bezüglich der Regelungen des internationalen Finanzmarktes wirklich und konkret in gesetzliche Regelungen oder vertragliche Regelungen hineinzubringen. Daran wird noch sehr viel Detailarbeit zu verschwenden sein.

    Meurer: Da reklamiert ja die EU die "European Leadership" für sich, also eine Führungsrolle in dieser Frage. Wird die EU dieser Führungsrolle wirklich gerecht bei der Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise?

    Brok: Es war die Europäische Union, die im November über das G8-Treffen, G20-Treffen diesen Termin am 2. April in London hinbekommen hat. Es war die Europäische Union, die vorbereitet mit Vorschlägen dort hingegangen ist. Und es ist, glaube ich, nicht ohne die Europäische Union möglich gewesen, den angelsächsischen Ansatz, möglichst ohne Regelungen einen Markt laufen zu lassen, zu überwinden. Die Krise hat dazu entscheidend geholfen; nun müssen wir sehen, dass Briten und insbesondere Amerikaner nicht daraus wieder ausbüchsen.

    Meurer: Aber die Amerikaner vermissen europäische Führungsstärke bei den Konjunkturprogrammen.

    Brok: Das ist so nicht richtig, denn die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer insbesondere haben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sehr viel geleistet. Nach einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds ist es so, dass Deutschland in der Stimuluswirkung der Konjunkturpakete weltweit an erster oder dritter Stelle liegt, sodass wir da nicht sehr viel Nachholbedarf haben gegenüber den Amerikanern.

    Meurer: Ihre Partner im Europaparlament, lassen sie sich von diesem Argument überzeugen, oder stehen die Deutschen nicht doch noch am Pranger?

    Brok: Nein! Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist mit dieser Politik so einverstanden. Es sind ein paar starke Sünder gewesen, wie die Ungarn, auch die Briten, die über ein solches Paket versucht haben, Europa noch sehr viel stärker in die Verantwortung zu nehmen, aber das ist selbst von anderen osteuropäischen Staaten abgelehnt worden. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Staaten keinen Bankrott anmelden müssen, aber wir müssen gleichzeitig auch darauf achten, dass jeder Staat für sich begründen muss, wofür er das braucht und wie er vermeiden will, dass Garantien, die gegeben werden, wirklich fällig werden.

    Meurer: Herr Brok, wir haben jetzt Halbzeit der EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens. Ist die EU überhaupt noch geschäftsfähig mit einer tschechischen Regierung, die nur eine Übergangsregierung ist?

    Brok: Die bisherige Regierung wird bis zum 8. Mai im Amt sein und dann sind vier der sechs Monate herum und ich glaube, dass bei allen guten Vorbereitungen, die sie gemacht haben, vieles noch erledigt wird. Gleichzeitig ist dies natürlich dennoch eine bittere Angelegenheit, dass aus puren innenpolitischen Gründen heraus eine solche Regierung gestürzt wird. Das ist fast ein einmaliger Fall und dies zeigt, dass wir auch mehr Kontinuität in der europäischen Politik brauchen. Deswegen ist auch dieser Vertrag von Lissabon so wichtig, dass wir dann einen permanenten Präsidenten des Europäischen Rates haben, dass wir einen permanenten Außenminister haben, wo wir nicht von Zufälligkeiten solcher Innenpolitik abhängig sind.

    Meurer: Wird der Vertrag von Lissabon an den Tschechen scheitern?

    Brok: Ich mache mir da sehr große Sorgen und ich mache mir da mehr Sorgen bezüglich der Entscheidung in Prag als in Irland. Wir hoffen, dass es trotz all dieser Schwierigkeiten im April noch über die Bühne geht, aber es kann durchaus sein, dass die Abstimmung in Prag auf nach den Neuwahlen im Oktober verschoben werden könnte.

    Meurer: In diese Halbjahrespräsidentschaft fallen jetzt auch die Europawahlen und da, Herr Brok, befürchtet man ja eine ziemlich niedrige Wahlbeteiligung. Liegt das daran, dass die Themen fehlen?

    Brok: Es liegt einmal daran, dass es bisher in der Europapolitik nicht die Personalisierung ist. Bei den Bundestagswahlen ist die Wahlbeteiligung sehr hoch, weil es um den Bundeskanzler geht. Es wird jetzt mit den Europawahlen auch um den Kommissionspräsidenten gehen, aber das ist noch nicht so bewusst. Zum Zweiten weiß man nicht, welche Macht inzwischen das Europäische Parlament hat, dass man ein anderes Europäisches Parlament wählt als vor 25 oder 30 Jahren. Das spielt sicherlich eine Rolle und es ist drittens - und mit den Themen haben Sie Recht: Es wird bisher in der öffentlichen Diskussion, in der Berichterstattung - das mag auch an dieser Personalfrage liegen - nicht so sehr über die Unterschiede diskutiert, die es zwischen politischen Parteien - auch im Europaparlament, im Ministerrat- gibt, bei der Gesetzgebung gibt, sodass die Ansätze zum Streit, die ja Stimmung bringen, aus dieser Stimmung heraus Wahlbeteiligung bringen, nicht so gegeben sind.

    Meurer: Riecht es nach Wahlkampf, wenn jetzt Kollegen von Ihnen aus der Union das Thema Türkei-Beitritt so forcieren? Die Entscheidung Beitritt der Türkei steht in diesem Jahr überhaupt nicht an.

    Brok: Nein, aber in diesen fünf Jahren werden sicherlich entscheidende Schritte gemacht werden, was die Frage in der Kommission angeht, wie die Verhandlungen weitergeführt werden, und es kann durchaus sein, dass in diesen fünf Jahren das Europäische Parlament aufgerufen wird zu sagen, ob ein Beitrittsvertrag unterschrieben werden darf oder nicht darf. Das Europäische Parlament hat die entscheidende Stimme in dieser Frage und deswegen ist es schon wichtig, wie man sich auf die Türkei einlässt, nämlich: Baut man die Beziehungen aus ohne Vollmitgliedschaft, oder ist die Vollmitgliedschaft eine Bedingung dafür. Ich meine, die Europäische Union kann es sich heute in ihrer Struktur nicht mehr leisten, so stark erweitert zu sein; sie würde sich übernehmen. Gleichzeitig ist die Türkei nicht so weit und das Verhalten von der türkischen Regierung mit der NATO-Generalsekretärsfrage, ich meine mehr die Begründung, nämlich islamische Staaten hätten angerufen und gesagt, man dürfe den nicht wählen wegen der Mohammed-Karikaturen, dies zeigt, dass die Türkei auch selbst nicht reif ist, um in einer solchen Gemeinschaft Vollmitglied zu sein.

    Meurer: Man kann ja darüber sachlich argumentieren, aber wie finden Sie es, dass der CSU-Politiker Bernd Posselt Gabriele Pauli, die Spitzenkandidatin der Freien Wähler, als "Türken-Gabi" bezeichnet, weil sie für den Beitritt ist?

    Brok: Dies ist eine Geschmacksfrage. Ich würde mich über andere Personen, insbesondere Damen, nicht so äußern.

    Meurer: Das war Elmar Brok, Europaparlamentarier der CDU, bei uns hier im Deutschlandfunk im Studio. Danke schön für Ihren Besuch und auf Wiedersehen.